Nach heftigen Kämpfen im Süden des Gazastreifens ist es den israelischen Streitkräften gelungen, zwei gefangene Männer zu retten. Gleichzeitig hat Israel die Luftangriffe auf die Stadt intensiviert, wo Hunderttausende von Flüchtlingen ausharren.
Im Schatten der Nacht drangen Soldaten der israelischen Streitkräfte (IDF) ins Herz von Rafah vor – jener Stadt, die bislang von den Kämpfen weitgehend verschont geblieben war. Ziel der Operation war es, zwei israelische Geiseln zu befreien, die am 7. Oktober von Terroristen in den Gazastreifen entführt worden waren. «Die Einsatzkräfte trafen gegen 1 Uhr morgens heimlich am Ziel ein und führten auf dem Gelände und im zweiten Stock, wo die Geiseln festgehalten wurden, eine sehr komplexe Aktion durch», erklärte der Armeesprecher Daniel Hagari am frühen Montagmorgen.
Gemäss ihm lieferten sich die Soldaten ein Feuergefecht mit mehreren Terroristen, während sie die beiden Männer zu gepanzerten Fahrzeugen brachten. Laut Hagari wurde die Operation mit starkem Beschuss aus der Luft unterstützt, weil die Terroristen das Feuer auch aus naheliegenden Gebäuden eröffnet hatten. Insgesamt habe der Einsatz rund eine Stunde gedauert. Die beiden Geiseln seien in guter Verfassung und würden inzwischen in einem Spital in Israel versorgt. Verteidigungsminister Yoav Gallant sprach am Montag von einer «beeindruckenden Rettungsoperation».
Der Einsatz war offenbar während langer Zeit von der Armee gemeinsam mit dem Inlandgeheimdienst Shin Bet geplant worden. Es ist erst das zweite Mal, dass die IDF israelische Geiseln erfolgreich befreien konnten. Im Oktober war die 19-jährige Soldatin Ori Megidish gerettet worden. Mitte Dezember hatten Armeeangehörige versehentlich drei Geiseln erschossen, obwohl diese mit entblösstem Oberkörper und einer weissen Fahne auf die Soldaten zugekommen waren.
Luftangriffe auf Rafah
Bei den in der Nacht auf Montag befreiten Geiseln handelt es sich um den 61-jährigen Fernando Marman und den 70-jährigen Louis Hare. Sie waren am 7. Oktober von Hamas-Terroristen aus dem Kibbuz Nir Yitzhak entführt worden. Drei weitere entführte Familienmitglieder waren bereits Ende November im Rahmen der Feuerpause freigelassen worden. Die Familie wurde laut Medienberichten am Montag im Spital wiedervereint. Nach wie vor werden mehr als 130 Geiseln im Gazastreifen festgehalten, wobei laut israelischen Angaben mehrere bereits tot sind.
Die beiden Männer, die die israelische Armee laut eigenen Angaben aus Gaza befreit hat: Fernando Simon Marman (l.) und Louis Hare.
Laut Angaben der Armee wurde in der Nacht eine «Welle von Angriffen» auf die Stadt verübt. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtet, dass dabei mehr als hundert Menschen getötet und Hunderte weitere Personen verletzt wurden. Es ist unklar, ob diese Angriffe allein im Zusammenhang mit der Rettungsoperation standen oder bereits Teil jener grösseren Offensive auf Rafah sind, die Benjamin Netanyahu am Freitag angekündigt hatte.
Der israelische Ministerpräsident erklärte, er habe die Armee angewiesen, einen kombinierten Plan zur Zerschlagung der Hamas in Rafah sowie zur Evakuierung der Zivilbevölkerung vorzulegen. Am Sonntag sagte Netanyahu in einem Interview, nördlich von Rafah gebe es genügend Gebiete, wo die Zivilisten sicher seien.
Ägypten droht mit Aussetzung des Friedensabkommens
Die Ankündigung hatte internationale Besorgnis ausgelöst. In Rafah befinden sich mehrere hunderttausend Menschen, die vor den Kämpfen in anderen Teilen des Gazastreifens geflüchtet sind und nun in improvisierten Zeltlagern leben. In einem Telefongespräch mit Netanyahu am Sonntag warnte der amerikanische Präsident Joe Biden davor, eine Militäroperation in Rafah ohne einen «glaubwürdigen» Plan zum Schutz der Zivilbevölkerung durchzuführen. Die Uno hat ihrerseits davor gewarnt, dass eine Offensive auf Rafah eine bereits existierende Katastrophe nur noch verschlimmern würde.
Zudem hat laut Medienberichten Ägypten angedroht, im Falle eines Vorstosses auf Rafah das Friedensabkommen mit Israel auszusetzen, das seit 1979 Bestand hat. Die Regierung in Kairo fürchtet eine Flüchtlingswelle aus dem Gazastreifen auf die ägyptische Sinai-Halbinsel und hat in den vergangenen Wochen seine Grenzbefestigungen weiter verstärkt.
Derweil gehen die Verhandlungen rund um ein erneutes Abkommen zur Befreiung von Geiseln offenbar weiter. Die «Times of Israel» zitiert einen amerikanischen Beamten, laut dem in den Gesprächen «echte Fortschritte» erzielt werden konnten, obwohl es noch einige Lücken zu schliessen gebe. Vergangene Woche hatte Netanyahu einem Vorschlag der Hamas für ein Abkommen eine deutliche Absage erteilt und sprach von «wahnhaften» Bedingungen der Terrorgruppe.