Der Kampf um das Home-Office ist noch nicht ausgestanden. Viele Firmen versuchen mit Zuckerbrot und Peitsche, ihre Leute ins Büro zurückzuholen, doch diese wollen nicht. Erkundungen in die Psychologie des Arbeitsplatzes.
Der Chef kann es nicht verstehen. Die Regelung für ein flexibles Home-Office ist weiterhin grosszügig, längst nicht alle Kollegen arbeiten fünf Tage pro Woche im Büro. Doch als er ankündigt, einige Einzel- und Doppelbüros in Gruppenbüros umwandeln zu wollen, schlägt ihm der Widerstand des Teams entgegen. «Das kann doch nicht sein», stöhnt er.
Widerstand gegen Umzugs- und vor allem Verdichtungsaktionen ist normal. Ein Arbeitsplatz ist mehr als die Summe aus Schreibtisch, Computer und Bürostuhl. Es ist auch ein Revier.
Das Büro ist Revier und Statussymbol
Die Bewohner markieren es mit Familienfotos, dekorieren es mit Wandbildern, schotten es mit Stapeln von Arbeitsunterlagen ab. Mitunter bekommt der Chef sogar das Gefühl, er betrete ein zweites Zuhause.
Zudem gilt: Je schöner und grösser der Raum, desto wichtiger die Person. Denn das Büro ist auch Statussymbol. Nimmt man jemandem «sein» Büro oder «seinen» Arbeitsplatz weg, muss sich der Betroffene in der sozialen Hierarchie tiefer einreihen. Nicht jeder steckt das gut weg.
Vor allem aber geht es bei der Bürofrage um die Art des Arbeitens. «Es gibt immer mehr kreative und wissensbasierte Tätigkeiten», sagt Hartmut Schulze, Professor für angewandte Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dafür braucht es beides: Rückzugsmöglichkeiten für eine ungestörte Einzelarbeit, aber auch Räume, die sich für gemeinsame Tätigkeiten im Team eignen.
Im Grossraum wird der Abend länger
Im Einzelbüro ist die Ablenkung gering. Es gibt keine Kollegen, die laut telefonieren oder beunruhigend stark husten. Es bietet auch Privatsphäre. Niemand hört, wie man sich die Nase putzt oder einen Arzttermin abmacht.
Im Grossraum hingegen ist man nie allein. «Es ist sehr anstrengend, sich auf die eigene Arbeit zu konzentrieren, wenn jemand neben dir die ganze Zeit telefoniert», sagt der Mitarbeiter eines Bauzulieferers. «Wenn der laute Kollege den ganzen Tag das Grossraumbüro unterhält, bin ich am Abend nudelfertig», klagt die Bewohnerin eines Grossraumbüros.
«Ich fand im Grossraum cool, dass alle irgendwo gleich waren und auch die Chefs im gleichen Raum sassen», stellt hingegen ein junger Journalist fest. Und in der Tat: Es gibt – neben den geringeren Kosten – gute Gründe für grössere Büros. An erster Stelle steht die Zusammenarbeit, der unkomplizierte Austausch zwischen den Teammitgliedern. Ein schneller Zuruf oder eine kurze Rückfrage: Die Kollegen sind immer in Sicht- und Rufweite.
Manchen Führungskräften gefällt das sehr, den Mitarbeitenden tendenziell weniger. Aus einem Grund: Statt Privatsphäre herrscht soziale Kontrolle. «Man kann beobachten, dass in Grossraumbüros am Abend länger gearbeitet wird», sagt Martin Kleinmann, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Zürich. «Das frühzeitige Verlassen des Büros kann zu einem Spiessrutenlaufen werden.» Um den Kommentar zu vermeiden: «Wie, du gehst schon?», harren Grossraum-Angestellte am Abend länger aus als nötig.
Das bedeutet aber nicht, dass sie auch mehr schaffen und produktiver sind. Da am Morgen niemand den frühen Vogel sieht, lohnt sich das frühe Kommen aus sozialer Perspektive weniger. Spät zu kommen, sei hingegen weniger schlimm, sagt Kleinmann. Das Ankommen, selbst wenn spät, werde im Unterschied zum Gehen weniger kritisch wahrgenommen.
Dass unter dem Strich eine hohe Präsenzzeit resultiert, könnte der Chef eigentlich begrüssen. Doch die Zeiten ändern sich. Heute bemühen sich Unternehmen, ihre Mitarbeiter weder zu vergraulen noch zu verheizen, schliesslich herrscht Fachkräftemangel. Dazu gehört auch, den Stress-Level der knappen Talente nicht unnötig hochzujagen mit schlechten Bedingungen.
Das Monsterbüro ist Geschichte
Das war lange anders. Um die Jahrtausendwende brüstete sich die UBS noch stolz, das grösste Grossraumbüro der Welt zu betreiben. In einem Handelsraum in Stamford, rund eine Stunde von New York entfernt, arbeiteten an endlosen Tischreihen bis zu 4000 Banker. Der Handelsraum galt als Symbol der Macht, der Grösse und des Einflusses. Heute ist das Monsterbüro Geschichte. Die Bilder der Banker-Legebatterie lösen nur noch kaltes Schaudern aus. Mit der Finanzkrise wurde der Raum zum Symbol für die Hybris der Finanzindustrie.
Denn in der Grossraum-Euphorie der 1970er und 1980er Jahre ging eines vergessen: Das Büro vermittelt auch Zugehörigkeit. Offensichtlich ist dies bei Unternehmen, die eine sogenannte Shared-Desk-Policy verfolgen: Niemand hat einen festen Arbeitsplatz. «Woran erkennt man dann, dass man dazugehört?», fragt der Arbeitspsychologe Kleinmann.
Man checkt am Morgen dort ein, wo etwas frei ist, und hinterlässt den Arbeitsplatz am Abend idealerweise papier- und krümelfrei. Üblich ist das bei den grossen Banken und Versicherungen, aber auch den Unternehmensberatungen, wo die Mitarbeitenden traditionell häufig bei den Kunden sind und die Unternehmen Geld sparen, wenn sie für hundert Mitarbeitende nur sechzig oder achtzig Arbeitsplätze bereitstellen müssen.
Die Folgekosten der Kosteneinsparung: Die Menschen sehen sich zu Funktionsträgern degradiert und fühlen sich nicht als Person wahrgenommen. Die Loyalität sinkt, das Halten der Mitarbeiter ist schwieriger.
Viele Chefs treibt heute die Frage um, wie sie ihre Mitarbeiter im Home-Office emotional bei der Stange halten. Wer vollständig im Satellitenmodus arbeitet, verliert möglicherweise tatsächlich das Gefühl, dazuzugehören. Doch wer täglich in ein ungeliebtes Büro gezwungen wird, wird dadurch sicher nicht loyaler. Hingegen können gerade die Freiheit, das Vertrauen und die Möglichkeit, den Arbeitsort zumindest an einigen Tagen selbst zu wählen, die Bindung an das Unternehmen durchaus stärken.
Der Zeitgeist spielt mit
Vor diesem Hintergrund hoffen viele Firmen auch auf die Anziehungskraft von Bürodesign und -architektur. Heute ist der letzte Schrei ein Mix in eleganten Farben aus wohligen Sesselgruppen für einen angenehmen Austausch, schallgeschützten Boxen für Videokonferenzen und ungestörtes Arbeiten sowie Sitzungszimmern in unterschiedlichen Grössen.
Denn Grossraum ist nicht gleich Grossraum. Einige sind grosszügig gestaltet, andere dicht besetzt. In der Tendenz würden die Arbeitgeber aber das Bedürfnis sowohl nach Räumen für eine effektive Zusammenarbeit wie auch nach Rückzugsmöglichkeiten für Einzeltätigkeiten oder Online-Calls zum Teil systematisch unterschätzen, sagt der FHNW-Professor Schulze.
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— Intivity (@intivityatwork) January 19, 2024
In den trendigen Bürolandschaften von heute zeigt sich jedenfalls: Wer die Wahl hat, sucht häufig ein ruhiges Plätzchen. Viele Mitarbeiter verschanzen sich in privaten oder halbprivaten Telefonkabinen oder besetzen Sitzungszimmer, um dort ungestört arbeiten zu können. Das führt zu dem paradoxen Effekt, dass die Grossraumbüros immer stiller und leiser werden.
Kopfhörer statt Kleinbüro
Umstritten ist der Mittelweg – also Gruppenbüros für zwei, drei, vier oder zwölf Personen. Während im Grossraum die Stimmen der Einzelnen im allgemeinen Gemurmel untergingen, könne man sich dem Telefongespräch eines Kollegen im Kleingruppenbüro kaum entziehen, berichten die einen; einige Experten sprechen deshalb auch von der schlechtesten aller Bürowelten.
Andere schätzen es, einen Raum mit vertrauten Kollegen zu teilen. Grundsätzlich gilt, dass sich die Arbeitsbedingungen umso besser gestalten lassen, wenn sich weniger Personen ein Büro teilen. «Zwei oder drei Leute können sich abstimmen, wann das Fenster zum Lüften geöffnet wird. Bei zwanzig Personen funktioniert das nicht», so Professor Kleinmann.
Wer sich wo wohlfühlt oder eben nicht, ist auch eine Frage des Naturells. Manche Menschen grenzen sich gerne ab, andere wollen nicht vereinsamen. «Das Schöne am Grossraum ist, dass man immer mitbekommt, wenn alle in die Mittagspause gehen», sagt eine Angestellte, die mit elf Kollegen das Büro teilt. Beim «Telefonterror» liegt der Ausweg auf der Hand: «Ich arbeite meistens mit schallisolierenden Kopfhörern», verrät ein Kollege.
Falsche Argumente für eine gute Sache
Viele Arbeitgeber versuchen ihren Mitarbeitern die offenen Umgebungen im Sinne von «New Work» und agilem Arbeiten schmackhaft machen. Störend wird es, wenn ihre Agenda de facto davon getrieben ist, die Bürofläche zu verringern und so Kosten zu sparen. Niemand lässt sich gern für dumm verkaufen. Das sollte der Chef wirklich verstehen.