Er gilt als einer der wichtigsten Zürcher Architekten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Weitestgehend unbeachtet geblieben sind zwei von Georg Lasius entworfene Bauten an der Freiestrasse, die ein Ensemble mit dem Atelier von Arnold Böcklin bilden. Ein geplanter Abriss droht die Zeugnisse des innovativen Bauens vor 150 Jahren zu vernichten.
Er lehrte an der Bauschule des Polytechnikums, der heutigen ETH Zürich, sechzig Jahre lang. Von 1862 an, als Gottfried Semper ihn als Privatdozenten anstellte. Schliesslich als Professor für Baukonstruktionslehre und architektonisches Zeichnen bis zum Jahr 1923. Stilistisch setzte Georg Lasius mit vielen Gebäuden die Neurenaissance seines Lehrers Semper fort. Das zeigt sich beispielsweise an den Fassaden des Hauses zum Schneggen am Limmatquai (1864–66) oder des jetzigen Bankgebäudes der Bank Julius Bär (1871–73) an der Bahnhofstrasse.
Aus heutiger Sicht wegweisender ist das Chemiegebäude der ETH Zürich an der Universitätsstrasse: Mit seiner damals durchaus umstrittenen, ja zum Teil heftig angefeindeten schlichten Fassade aus vollformatigem Backstein lehnte sich der dreiflüglige Baukörper an den funktionalen Industriebau der Zeit an. Georg Lasius (1835–1928), der das Gebäude zusammen mit Alfred Friedrich Bluntschli entworfen hat, stammte aus dem norddeutschen Oldenburg und hatte in Hannover im Büro von Conrad Wilhelm Hase gearbeitet, dem Begründer der «Hannoverschen Backsteinschule», die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Norddeutschland aus weit nach Europa ausstrahlte. Lasius löste in Zürich einen Boom des Bauens mit Sichtbackstein aus, der weite Teile der Stadtquartiere prägen sollte und bis 1914 andauerte.
Professorenhäuser in der Wiese
Vergleichsweise wenig bekannt ist zu Unrecht Lasius’ eigenes Wohnhaus «Auf der Hoeh’». Er hatte es 1876 für sich und seine Familie an der Freiestrasse 138 gebaut, gemeinsam mit dem Nachbargebäude «Marienhöhe» (Nr. 134) für seinen Kollegen Adolf Kraemer, den Leiter der Landwirtschaftsabteilung am Polytechnikum. Die Freiestrasse war gerade erst angelegt worden, die beiden Professorenhäuser standen damals inmitten von Wiesen, Gärten und Rebbergen auf freiem Feld. Erst 1893 wurden die zuvor selbständigen Gemeinden Hottingen und Hirslanden nach Zürich eingemeindet.
Angesichts der stilistisch eklektischen Formenopulenz der um 1900 entstandenen Villen ringsum in ihren diversen Neo-Stilen wirken Lasius’ Pionierbauten auf der Südseite der Freiestrasse fast unscheinbar. Das war durchaus gewollt: Anders als die repräsentativen Gebäude von Lasius zeigen sich die privaten Zwillingsbauten gestalterisch zurückhaltend und sind damit Zeugnis für das im ausgehenden 19. Jahrhundert bürgerlich bescheidene Auftreten eines akademischen Milieus, das auf prätentiöse Selbstdarstellung verzichten konnte.
Zu Recht kommt ein im Mai 2024 vorgelegtes Gutachten zur Schutzwürdigkeit, verfasst von Jasmin Schäfer und Stefan M. Holzer am Kompetenzzentrum Baudenkmal der ETH Zürich, zum Schluss, dass die beiden Professorenhäuser städtebaulich und architektonisch moderner als die nachfolgenden Villen der Umgebung sind. Zwar wurden die Sichtbackstein-Lisenen, welche die Baukörper einst rahmten, später verputzt, sonst ist der Erhaltungszustand der beiden Bauten aber trotz Vernachlässigung relativ gut, insbesondere hinsichtlich der wandfesten Innenausstattung von Lasius’ eigenem Wohnhaus.
1979 wurden beide Bauten durch einen niedrigen Zweckbau miteinander verbunden. Dieser ist ohne jeden baugeschichtlichen Wert und beeinträchtigt den Freiraum zum angrenzenden Atelier von Arnold Böcklin, das Lasius 1885 auf der rückwärtigen Parzelle als schieferverkleidete Holzkonstruktion mit Flachdach realisierte. Der ursprüngliche Ensemble-Charakter der drei Gebäude ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, da das Ateliergebäude heute von der seinerzeit noch nicht trassierten Böcklinstrasse im Süden aus erschlossen wird.
Revolutionäre Bauweise
Während das Böcklin-Atelier unstrittig als Denkmal klassifiziert ist und seit 1987 unter Schutz steht, wurden die beiden Zwillingsbauten bei der Inventarisierung offensichtlich vergessen. Dass dieses Defizit bis heute besteht, erstaunt umso mehr, als im die Stadt Zürich betreffenden, 1992 erschienenen Band des von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte herausgegebenen «Inventars der neueren Schweizer Architektur 1850–1920» die Autorschaft von Lasius und die Baudaten dokumentiert sind.
Dort wird auch auf eine Publikation hingewiesen, die für die Bewertung von Lasius’ eigenem Haus von höchstem Interesse ist. Denn Lasius realisierte sein Domizil als Experimentalhaus mit einem neuartigen Heizungstyp und berichtete darüber 1879 in der Zeitschrift «Die Eisenbahn», die wenige Jahre später in der «Schweizerischen Bauzeitung» aufging. «Warmluftheizung mit continuirlicher Feuerung» heisst der Beitrag. In diesem wird die revolutionäre Bauweise der Gebäudehülle in Form einer doppelten Schale aus Backsteinwänden mit Hohllochziegeln und einer dazwischenliegenden, sechs Zentimeter starken Luftschicht erklärt.
Während in Deutschland derlei wärmegedämmte Konstruktionen dank einer spezialisierten Ziegelindustrie schon erprobt wurden, betrat Lasius damit in Zürich komplettes Neuland. Die von ihm verwendeten Hohllochziegel waren zu dieser Zeit in Zürich und der Schweiz noch exotisch, die rechteckigen Tonröhren für die ebenso innovative Warmluftheizung musste er gar aus dem nördlichen Nachbarland importieren.
Nachgerade prophetisch schrieb er 1879: «Es ist aber gewiss richtiger, ein etwas grösseres Baucapital für besser construirte Wände und Zimmerverschlüsse aufzuwenden, um in der täglich wiederkehrenden Ausgabe für Heizung zu sparen, als umgekehrt. Ja, wenn nur die nöthige Einsicht und das Verständniss im Publikum dafür vorhanden wäre, müsste es sich selbst bei Speculationsbauten lohnen, so zu handeln, wo es sonst begreiflich nicht geschehen wird.» Dem ist nach fast 150 Jahren nichts hinzuzufügen – Lasius war hinsichtlich der energetischen Optimierung der Gebäudehülle unzweifelhaft ein Visionär. Aufnahmen mit einer Wärmebildkamera haben unlängst nachgewiesen, dass das System auch heute noch perfekt funktioniert.
Der Abriss der Zwillingshäuser wurde in Unkenntnis der Bedeutung dieser Bauten geplant. Es wäre beschämend, wenn es tatsächlich dazu käme. Damit ginge nicht nur ein Bauensemble eines der einflussreichsten Zürcher Architekten seiner Zeit verloren, sondern auch ein Prototyp energieeffizienten Bauens, der die Brücke schlägt vom technologischen Fortschritt des 19. Jahrhunderts zu den heute virulenten Fragen des haushälterischen Umgangs mit Energie und Ressourcen.