Der Schweizer Schmuck- und Uhrenhersteller zeigt sich in sehr guter Verfassung. Auch dank der Krise im Sektor kann er es mit dem deutlich grösseren Konkurrenten aus Frankreich aufnehmen.
LVMH ist die absolute Grösse im Luxussektor. Der französische Konzern vereint so manche der bekanntesten Marken unter seinem Dach; jeder sechste weltweit verkaufte Luxusartikel geht auf sein Konto. Dank des höchst erfolgreichen Geschäftsmodells, der unangefochtenen Marktposition und des entsprechenden Erfolgs an der Börse hat LVMH es in den Reigen der europäischen Granolas geschafft, den Gegenentwurf zu den US-amerikanischen «Magnificent Seven».
Doch die Konkurrenz schläft nicht, insbesondere die Schweizer: Zumindest an der Börse hat Richemont den Luxusgiganten im vergangenen Jahr abgehängt.
Grund genug für The Market, nach der Vorstellung des niederländischen Champions ASML die Luxusbranche unter die Lupe zu nehmen. Wie sieht es operativ aus, wer hat derzeit und für das laufende Jahr die Nase vorn? Und worauf sollten Anleger setzen?
Bernard Arnault hat ein Luxusimperium erschaffen
Bernard Arnault war der lachende Dritte, als sich die damaligen Konzernchefs Henry Racamier und Alain Chevalier nach der Grossfusion zwischen Louis Vuitton (LV) und Moët Hennessy (MH) 1987 zu LVMH unversöhnlich zerstritten. Über die darauffolgenden Jahre erschuf der französische Geschäftsmann ein Luxusimperium; 2011 übernahm er Bulgari, 2018 Dior, 2021 Tiffany & Co – und fand in Johann Rupert mit Richemont einen Nachahmer.
Heute stehen unter dem Konzerndach von LVMH 75 Maisons, sprich Luxushäuser von Schmuck bis Champagner, die unter eigenem Namen, mit eigenen Läden und eigenem Marketingkonzept unabhängig voneinander auftreten. Richemont führt immerhin 28 Geschäftseinheiten, wobei der Fokus gegenwärtig stark auf den Schmuckhäusern Cartier und Van Cleef & Arpels liegt.
Auch mit Blick auf die Umsatz- und die Gewinnzahlen kann LVMH bisher niemand etwas vormachen: In den vergangenen zwölf Monaten dürfte sie rund 84 Mrd. € erwirtschaftet haben, ein leichter Rückgang gegenüber 2023, aber viermal mehr als die Schweizer.
Mehr als ein Viertel des Erlöses fällt als operativer Gewinn an, bei Richemont waren es zuletzt immerhin fast 22%. Unangefochten bleibt die Kapitalrendite der Franzosen.
Nur ein Jahr nach LVMH aus der Rembrandt-Gruppe hervorgegangen, schrieb Richemont unter Patron Johann Rupert zwar ebenfalls eine erfolgreiche Wachstumsstory. Der Konzern kämpfte in den vergangenen Jahren aber immer wieder mit hausgemachten Problemen. Zuletzt erwies sich die Onlineverkaufsplattform YNAP als verlustreicher Flop. Jetzt aber könnte sich das Blatt wenden, die Krise im Luxusgütermarkt entpuppt sich für den Konzern mit Sitz in Genf als Chance.
Die Krise ist noch nicht ausgestanden
2024 ist nicht nur LVMH geschrumpft. Das Beratungsunternehmen Bain & Company geht davon aus, dass der gesamte Luxusgütermarkt den stärksten Rückgang seit fünfzehn Jahren – sprich: seit der grossen Finanzkrise und mit Ausnahme der Pandemie – verzeichnete. Bereits 2023 hatte nicht an die starke Erholung in den zwei Jahren davor anknüpfen können.
Am schlechtesten lief es für die Uhrenindustrie: Die Verkäufe sind rund 7% zurückgegangen, die Preise im Zweitmarkt eingebrochen. Das spiegelt sich mitunter im miesen Abschneiden von Swatch Group, dem Schweizer Hersteller macht aber auch das Missmanagement der Eigentümerfamilie Hayek zu schaffen. Deutlich besser lief es den Unternehmen im Schmuckgeschäft – insbesondere Richemont brillierte. Insgesamt konnte der starke Rückgang in China durch die grosse Nachfrage aus Japan nicht ausgeglichen werden.
Laut Bain sind weltweit betrachtet nicht die Top 1% der Konsumenten luxusmüde, im Segment darunter herrscht schlechte Stimmung. Gerade Jüngere konsumieren weniger und identifizieren sich weniger mit einzelnen Marken. Das hat auch mit der Preispolitik der Hersteller zu tun: Im Nachgang der Pandemie haben sie – gerade LVMH – ihre Preise auch aufgrund der hohen Nachfrage zum Teil um 30 bis 40% erhöht. Beliebt sind dafür Einkäufe in Outlets und auf Reisen. Damit schrumpft die Konsumentenbasis, um die die Unternehmen kämpfen, Ältere und Reiche erhalten mehr Gewicht. Ausserhalb dieser Kundensegmente ist ein Downtrading erkennbar: Die Käufer wenden sich günstigerem Luxus zu, etwa im Beauty-Bereich.
Diese Konsumtrends dürften sich 2025 weitgehend fortsetzen, was nicht auf eine breite, sondern eher auf eine punktuelle Erholung im anspruchsvolleren Segment hindeutet. Das Wachstum wird von der westlichen Nachfrage und derjenigen aus dem Nahen Osten gestützt. Die Herausforderungen in China sind derweil gross. In den sozialen Medien gingen die chinesischen Behörden wiederholt gegen zur Schau gestellten Konsum vor, während konkrete Massnahmen im Rahmen des angekündigten Konjunkturstimulus bisher ausgeblieben sind.
Für Berenberg-Analyst Nick Andersen ist der Markt damit selbst mittelfristig zu optimistisch, was die Erholung betrifft: «Wir erwarten, dass der Gegenwind aufgrund der Demografie, der Verschuldung und der politischen Situation zu Enttäuschungen bei den chinesischen Luxusausgaben führen wird.» Seiner Meinung nach könnten diese auch in den kommenden Jahren stagnieren.
Laut Zuzanna Pusz, Luxusaktienanalystin bei UBS, wird das Augenmerk in der anstehenden Berichtssaison ausser auf China auf den USA liegen. Nach dem Pandemieboom und der folgenden Rückkehr zum Trend sind die amerikanischen Konsumaussichten intakt. Ausserdem rücke die Preisentwicklung in den Fokus. «Sie wird ein wichtiger, aber gleichzeitig umstrittener Treiber für das organische Wachstum im laufenden Jahr sein.»
In diesem Umfeld kann Richemont auch gegenüber LVMH ein paar Argumente spielen.
Vorteil 1: Richemont dominiert derzeit im Schmuckgeschäft
Es ist keine neue Wahrheit, aber in der Krise ist es noch wichtiger: Gerade im Luxussegment sind starke Marken entscheidend. Entsprechend ausgabefreudig zeigen sich die Konzerne mit Blick auf Marketingbemühungen, ein wichtiger Skalenvorteil: LVMH gab 2023 rund 10 Mrd. € dafür aus und damit mehr als die gesamte Konkurrenz zusammen, Richemont brachte es im Geschäftsjahr 2023/24 (per Ende März) immerhin auf 2 Mrd. €.
Und das hat sich für die Schweizer gelohnt: Cartier und Van Cleef dominieren gegenwärtig im Schmucksegment. Laut Citi-Analyst Thomas Chauvet eint Richemont derzeit die zwei stärksten Marken, die Nachfrage bleibe auf absehbare Zeit hoch, die Visibilität sei überdurchschnittlich gut. Insgesamt dürfte sich das Segment auch 2025 am besten behaupten. Dabei erweist sich als Vorteil, dass die Hersteller – und insbesondere auch Richemont – beim Schmuck in den letzten Jahren zurückhaltender waren mit Preiserhöhungen, auch wenn die Marge zuletzt etwas gelitten hat.
Bei LVMH tragen Schmuck und Uhren lediglich 3% zum Umsatz bei, fast drei von vier Euro verdient der Konzern dagegen mit Lederwaren. Das ist auch im Vergleich mit anderen Konzernen wie Gucci (53%), Prada (46%) und Hermès (41%) ausserordentlich viel. Gerade bei Handtaschen ist angesichts des stagnierenden Marktes und des Kampfs um Kunden laut einer Stifel-Studie ein niedriger Eintrittspreis – Angebote unter 1500 $ – wichtig, wo Louis Vuitton und Dior gegenüber dem Durchschnitt eher zu teuer sind. Dafür kann Louis Vuitton mit ihren ikonischen Designs bei der kaufkräftigen, älteren Klientel punkten.
Vorteil 2: China verliert an Gewicht
Im Vorteil ist Richemont derzeit auch dank des ausbalancierten geografischen Profils. Mit 26% bringt der Grossraum China – inkl. Macau und Hongkong – einen im Vergleich zu anderen Herstellern eher kleinen Umsatzbeitrag, das Unternehmen ist aber ähnlich exponiert wie LVMH (31% in Asien ohne Japan). Insbesondere im ersten Halbjahr 2024 profitierten die Schweizer von starken Verkäufen in Japan. Dieser Effekt dürfte sich angesichts der Währungsentwicklung kaum wiederholen, wichtiger sind die USA.
Im wichtigsten Einzelmarkt konnte Richemont den Umsatz im ersten Halbjahr 2024/25 um mehr als 10% steigern. Und die Analysten sind sich einig: Die Nachfrage aus den USA dürfte auch in den kommenden zwölf Monaten stützen.
Richemont hat aber auch in China die Investitionen hoch gehalten, gar einen neuen Laden eröffnet. Es sind Ausgaben wie diese, die in der Schmuckindustrie die Fixkosten hoch halten, selbst wenn der Umsatz stagniert oder gar rückläufig ist. Noch schwerer wiegen dabei Produktionskosten. Entsprechend wichtig ist Effizienz. Laut Chauvet von Citi hat der Schweizer Konzern nicht nur ein gutes Lagermanagement, er verfolge auch «ein vernünftiges ‹Pay-as-you-go›-Konzept im Kosten- und Investitionsmanagement».
Vorteil 3: Richemont steht insgesamt gestärkt da
Insgesamt steht Richemont gestärkt da. Nicht nur, weil mit der Lösung für YNAP ein Bremsklotz wegfällt und eine positive Nachricht mit Blick auf den Verkauf weiteren Impuls gäbe. Laut Chauvet sei das Geschäft insgesamt fundamental stärker als in früheren Abschwüngen. Der Konzern verfüge dank des Wachstums über eine stärkere Schlagkraft, die Produktionsvorlaufzeiten seien verkürzt und die Kontrolle des Vertriebs insgesamt verbessert worden.
Auch die Nachfolge scheint geregelt. Der 74-jährige Patron dürfte die Geschicke an seinen Sohn Anton Rupert weitergeben. Bereits im Sommer hat Rupert senior Nicolas Bos zum CEO des Gesamtkonzerns gemacht. Bos ist seit über dreissig Jahren bei Richemont und hatte zuletzt die Schmuckmarke Van Cleef & Arpels zum heutigen Erfolg geführt. Auch der 75-jährige Bernard Arnault hat dieses Jahr weitere Schritte für einen geordneten Übergang unternommen. Mittlerweile sind vier seiner Kinder im Aufsichtsgremium, und seit Juni 2024 führt Stéphane Bianchi als Group Managing Director die Maisons.
Ebenfalls wie bei LVMH – die Arnaults halten 48,6% der Aktien und 64,3% der Stimmrechte – behält die Familie aber die faktische Kontrolle: Gut 50% der Richemont-Stimmrechte und rund 10% der Anteile sind im Besitz der Ruperts. Ausgerechnet Bernard Arnault hält seit vergangenem Sommer gemäss eigenen Aussagen «eine sehr kleine Position» an Richemont. Die Publikmachung sorgte einmal mehr für Fusionsgerüchte.
Mögliche US-Zölle sorgen für Unsicherheit, M&A für Chancen
Die grösste Ungewissheit für die europäischen Luxusgüterhersteller geht derzeit von der US-Handelspolitik unter dem designierten Präsidenten Donald Trump aus. Immerhin kommen 28% der weltweiten Luxusnachfrage aus den USA. «Zölle sind negativ für den Sektor, wenn alle anderen Dinge unverändert bleiben – aber die Dinge bleiben nie unverändert», glaubt Berenberg-Analyst Andersen. Trumps Handelspolitik werde den Dollar wohl weiter stärken, womit etwaige Zölle teilweise oder vollständig ausgeglichen würden. Mögliche Zweitrundeneffekte wie der Einfluss auf die Wirtschaft im Allgemeinen seien aber schwierig abschätzbar.
Der Luxussektor stand bisher nicht im Fokus der Handelspolitik, wohl auch, weil die grossen Volumen in anderen Bereichen anfallen. Sollten Zolleinschränkungen die Konzerne aber tatsächlich empfindlich treffen, wäre LVMH wohl im Vorteil, auch gegenüber Richemont: Die Franzosen produzieren an 23 Standorten in den USA, die Tochtergesellschaft Tiffany hat ihren Hauptsitz weiterhin in New York.
Und die Unsicherheit schafft auch Opportunitäten. Die Unternehmen zeichnen sich im Allgemeinen durch eine hohe Cashflowgenerierung und starke Bilanzen aus, LVMH und Richemont ragen dabei noch heraus: Die Free-Cashflow-Rendite betrug zuletzt 3,6 respektive 3,7%.
Auch Richemonts Nettocashbestand wächst wieder. Das eröffnet Übernahmenfantasien. Andersen von Berenberg schätzt, dass sich die Franzosen noch im Schmuckbereich verstärken wollen. Demgegenüber setzt Richemont zwar erklärtermassen auf organisches Wachstum, die Nettoliquidität dürfte über die kommenden zwei Jahre aber schnell steigen. Das eröffnet Chancen.
Herausfordernde Bewertung
Der Boom nach der Pandemie hat zu einer Bewertungsverschiebung im Luxussektor geführt. Die Aktien von Richemont, LVMH und anderen grossen Konzernen sind – basierend auf Gewinnvielfachen wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis – heute markant teurer. Ein langfristiger Vergleich ist damit schwierig. Gleichzeitig sind die Unternehmen komplexe Gebilde, die sich schwer miteinander vergleichen lassen. Eine Alternative bietet die Analyse der einzelnen Unternehmensteile im Konkurrenzvergleich.
Bei Richemont haben die Segmente eine unterschiedliche Ausgangslage, gerade in der Krise. Knapp 70% des Umsatzes erwirtschaftete der Konzern zuletzt im hochmargigen Schmucksegment, wenngleich nicht alle Marken die gleiche Profitabilität erreichen. Diesem Bereich kann nicht zuletzt dank der intakten Wachstumsaussichten für das kommende Jahr eine höhere Bewertung beigemessen werden.
Ähnlich dominant ist die Sparte Fashion & Leather Goods von LVMH. Hier erwirtschaften die Franzosen ebenfalls hohe Renditen, auch wenn das Geschäft heterogen ist: Mehrheitlich sehr exklusive Marken wie Dior und überdurchschnittlich teure Produkte von Louis Vuitton haben im gegenwärtig schwierigen Umfeld eine andere Ausgangslage als etwa die Produkte von Marc Jacobs, wo man schon mit ein paar hundert Franken dabei ist.
Kurz- bis mittelfristig sind die Aussichten vor dem Hintergrund der Konsumstimmung in China eingetrübt. Noch schwieriger ist die Situation in der Sparte Weine und Spirituosen, die ohnehin weniger rentabel ist. Auch im Uhren- und Schmuckbereich bekundete LVMH zuletzt eher Mühe. Dafür profitiert sie von der höheren Nachfrage nach Beauty-Produkten.
Vor dem Hintergrund der Wachstumsaussichten für das laufende Jahr und der operativen Verbesserungen bei Richemont ist das ähnliche Bewertungsniveau – beide Konzerne weisen derzeit ein Verhältnis von Unternehmenswert zu operativem Gewinn auf Stufe Ebitda von 12,5 für 2025 aus – gerechtfertigt. Dies, obschon die Schweizer punkto Profitabilität und Rentabilität nicht an den Branchenprimus herankommen. Den Vergleich mit den Luxusmodeherstellern Burberry (EV/Ebitda 2025: 11) und Moncler (12) müssen beide Aktien nicht scheuen.
Fazit: 2025 dürften die Vorteile in Richemonts Portfolio überwiegen, der Wert des starken Schmucksegments wird von der Börse eher noch unterschätzt. Damit bleiben die Titel widerstandsfähig, in der Krise ist das Potenzial nach oben nach der guten Performance 2024 und bei einem Kurs um 140 Fr. aber mittlerweile auch beschränkt.