Der einstige Beatles-Schlagzeuger hat als singender Sympathieträger ein auf leise Art überzeugendes Album herausgebracht. Es hat etwas von einem musikalischen Emanzipationsversuch.
Richard Starkey, besser bekannt als Ringo Starr, war das Beatles-Mitglied, das am wenigsten künstlerische Wertschätzung genoss. Nicht einmal der Produzent George Martin, sonst als Diplomat bekannt im kreativen Umfeld der wichtigsten Pop-Gruppe aller Zeiten, hatte ein gutes Wort für den Schlagzeuger übrig, der kaum eigene Lieder schrieb und nur selten ans Mikrofon trat.
Dabei schlugen sich Ringos Charme und Humor immer wieder in der Musik der Band nieder. Widersprüchliche und doch einprägsame Songtitel wie «A Hard Day’s Night» und «Tomorrow Never Knows» gehen auf ihn zurück. Und kein anderer hätte den Lennon/McCartney-Song «With a Little Help from My Friends» so herrlich niedergeschlagen intonieren können.
Jugendlicher Altstar
Dank seinem neuen Album «Look Up» ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nun wieder einmal ganz auf ihn gerichtet. An einer Medienkonferenz im Januar empfängt er auf Zoom die versammelte Weltpresse. Für seine 84 Jahre wirkt der Musiker und Millionär mit dem dunkel gebliebenen Haar und der schwarzen Lederjacke erstaunlich jugendlich. Zu seiner Linken sitzt der Amerikaner T-Bone Burnett, der Produzent von Ringos neuem Album.
Ringo Starr und Burnett halten sich gerade in Nashville auf, der Hauptstadt der Country-Musik. Das ist kein Zufall. «Look Up» ist ein Country-Album geworden, das auch mit einem Auftritt im Ryman Auditorium, der Geburtsstätte der historischen Americana-Revue «Grand Ole Opry», beworben wird.
Überraschend kommt Ringos Rückgriff auf das uramerikanische Country-Genre nicht. Schon bei den Beatles durfte er Songs wie «Honey Don’t» und «Act Naturally» vortragen, die Carl Perkins und Buck Owens bekannt gemacht hatten. «Ich hatte immer eine grosse Affinität zum Country», bestätigt der Brite. «Als gefühlvoller Mensch gefiel mir diese Musik, in der es um ganz alltägliche Probleme geht. Um die Frau, die einen gerade verlassen hat, um den Hund, der verstorben ist – oder um das Kleingeld, das einem für die Jukebox fehlt.»
Als Knabe verehrte Ringo Starr den singenden Schauspieler Gene Autry. Für die Kindervorstellungen von Autrys Filmen soll er sich selber als Cowboy verkleidet haben. Aber neben Cowboys und Country liebte er bald auch den Blues und den Rock’n’Roll. «Wenn ich mir eine richtig gute Stimme wünschen könnte, dann würde sie wie die von Jerry Lee Lewis klingen.» Da passt es, dass sich auch Burnett zu den Fans von Jerry Lee Lewis zählt, dem wildesten weissen Rock’n’Roller der ersten Generation.
Zum ersten Mal begegneten sich der britische Musiker und der amerikanische Produzent nach der Auflösung der Beatles, als Ringo Starr in Los Angeles lebte. «Damals fanden in meinem Haus viele Partys statt», sagt der Schlagzeuger, der sich unterdessen auch als bildender Künstler profiliert. «Und T-Bone war immer dabei – obwohl ich ihn nie persönlich eingeladen hatte. Er hat sich einfach an einen meiner Freunde gehängt, der eine Einladung von mir erhalten hatte.»
Ein sonniger Drall
Die Country-Musik erlebt gerade einen Boom. Mit Kalkül aber habe «Look Up» nichts zu tun, versichert Ringo. «Ich hatte T-Bone wegen Musik für ein ganz anderes Projekt angefragt. Ein paar Wochen später kam er mit neun fertigen Songs auf mich zurück, die zufällig alle Country-Nummern waren. Also haben wir zusammen ein Country-Album eingespielt.»
Durch Plattenproduktionen für Los Lobos, Gillian Welch und Alison Krauss sowie den Einsatz traditioneller Musik in zahllosen Kinofilmen hat T-Bone Burnett den Respekt der Country- und der Americana-Community gewonnen. Viele bedeutende Country-Musikerinnen und -Musiker spielen und singen auf «Look Up» mit – etwa Molly Tuttle, Larkin Poe und die bereits erwähnte Alison Krauss.
Trotzdem ist «Look Up» klanglich durchmischt. Mit ihren rückwärts eingeschlauften Gitarrenläufen und schwebenden Keyboard-Klängen wirkt zum Beispiel die Eröffnungsnummer «Breathless» geradezu neopsychedelisch. Schunkel-Songs wie «Rosetta» wiederum haben zwar den sonnigen Drall der 1950er Jahre, aber keine nostalgische Patina.
Ein grosser Sänger war Ringo nie, eher ein musizierender Sympathieträger. Das zeigt sich jetzt auch wieder auf «Look Up». Mit der Trennungsballade «Time On My Hands», seinem Lieblingssong im neuen Repertoire, überzeugt er immerhin mit melancholischer Gravität.
«Weil Ringo eine sehr gute Diktion und eine schöne Stimme hat, war die Arbeit mit ihm sehr einfach», erklärt Burnett. «Zudem hält er mit seinen Drums nicht einfach den Beat. Er zeichnet mit ihnen die Geschichten in den Songtexten nach. Das unterscheidet Ringo von vielen anderen Musikern, die nur ihren nächsten Einsatz im Kopf haben.»
Mut und Trost
Man ist froh, Ringo Starr und T-Bone Burnett bei bester Laune zu begegnen. Trotzdem erweist sich ihre fünfzehnminütige Zoom-Konferenz als leise Enttäuschung. Die Fragen mussten zum Vornherein eingegeben werden, Tagesthemen wie Donald Trumps Rückkehr ins Weisse Haus und die Brände um Los Angeles werden von der Moderatorin weggeschwiegen.
Ob er mit seiner ermutigenden Musik und seiner optimistischen Grundhaltung anderen Menschen Hoffnung in schwierigen Zeiten geben wolle, lautet die Frage eines mexikanischen Kollegen, die dann doch in Richtung Tagesaktualität zielt.
Und Ringo antwortet beinah wehmütig: «Ich wurde 1940 geboren, in einem Jahr, als es um uns Menschen weiss Gott nicht gut bestellt war.» Die Welt falle aber immer wieder in Situationen zurück, die von Wahnsinn, Gewalt und Ungerechtigkeit geprägt seien. Auch deshalb werde es immer ein Bedürfnis nach musikalischem Trost geben. «Ich gebe meine Parole ‹Peace and Love› über alle mir verfügbaren Kanäle durch – in der Hoffnung, dass andere Menschen sie aufgreifen.»
Ringo Starr: Look Up (Roccabella / Universal Music).