Der britische Premierminister Sunak will die Bevölkerung davon überzeugen, der Konservativen Partei eine weitere Chance zu geben. Er setzt auf die zaghafte wirtschaftliche Erholung und auf seinen umstrittenen Rwanda-Plan.
Rishi Sunak hat am Mittwoch die Flucht nach vorn ergriffen. Am späten Nachmittag kündigte der Premierminister vor seinem Amtssitz an der Downing Street Nummer 10 die Abhaltung von vorzeitigen Neuwahlen an. Zuvor hatte er bei einer Audienz bei König Charles III. die Auflösung des Parlaments beantragt, womit der Wahltag nach einer sechswöchigen Kampagne auf den 4. Juli fallen wird.
In seiner Ansprache im strömenden Regen machte der konservative Premierminister auch gleich deutlich, mit welchen Themen er in den Wahlkampf ziehen will. So erinnerte er die Wählerinnen und Wähler daran, wie er ihnen während der Pandemie als Finanzminister finanzielle Unterstützung hatte zukommen lassen. Dies verband Sunak mit dem Versprechen, die Bevölkerung in Zeiten erhöhter geopolitischer Unsicherheit auch in Zukunft zu beschützen.
Sinkende Inflation
Gleichzeitig verwies Sunak auf die verbesserte wirtschaftliche Lage. Dank einem Wachstum von 0,6 Prozent im ersten Quartal des Jahres hat das Land eine Phase der Stagnation hinter sich gelassen. Zudem ist die Teuerung im April auf 2,3 Prozent gesunken. Als Sunak im Herbst 2022 die Nachfolge von Liz Truss antrat, belief sich die Inflation noch auf 11 Prozent – weshalb Sunak den Rückgang als Erfolg verkaufen will. «Jetzt kommt für Grossbritannien die Zeit, seine Zukunft zu wählen», erklärte Sunak. «Entweder wir bauen auf unseren Fortschritten auf, oder wir gehen mit Labour in eine Zukunft der Unsicherheit.»
Die fünfjährige Legislatur wäre spätestens im Januar 2025 zu Ende gegangen. Bisher waren die meisten Beobachter davon ausgegangen, dass Sunak mit dem Wahltermin bis im Oktober oder November zuwarten würde. Unterhauswahlen im Herbst hätten womöglich den Vorteil gehabt, dass die Bevölkerung die zaghafte wirtschaftliche Erholung auch in ihren Portemonnaies zu spüren begonnen hätte.
Nun aber sind Sunak und seine Berater offenbar zu dem Schluss gelangt, dass sich die Ausgangslage nicht mehr wesentlich verbessern wird. Der Schatzkanzler Jeremy Hunt hat derzeit auch kaum noch budgetären Spielraum, um die Wähler im Herbst mit zusätzlichen Steuersenkungen zu ködern.
Nicht zuletzt hofft der Premierminister, dass vor den Wahlen der erste Ausschaffungsflug nach Rwanda durchgeführt werden kann. Zwar ist zweifelhaft, ob das Programm zur Ausweisung von Asylsuchenden in das ostafrikanische Land viele Migranten von der Überfahrt über den Ärmelkanal abhalten wird. Doch bei einem Wahltermin Anfang Juli könnte Sunak seinen Rwanda-Plan noch als Errungenschaft präsentieren.
Grosser Rückstand in Umfragen
Sunak hat mit dem Wahltermin im Juli Freund und Feind überrascht. Doch wirkte die Inszenierung seines Auftritts ebenso glücklos wie seine bisherige Amtszeit. Ein Wolkenbruch durchnässte Sunak während seiner Rede richtiggehend, und im Hintergrund spielten Aktivisten mit ohrenbetäubender Lautstärke die bekannte Labour-Hymne mit dem Titel «Es kann alles nur besser werden» ab.
Vor allem aber geht Sunak mit den Wahlen im Juli ein immenses Risiko ein. Die Konservative Partei weist in den Meinungsumfragen einen Rückstand von rund 20 Prozentpunkten auf die Labour-Opposition auf. Nun vergibt sie sich die Chance, vor der Ausrufung von Neuwahlen noch Boden gutzumachen. Letztmals hatte der konservative Premierminister John Major 1997 in ähnlich schlechter Ausgangslage eine Unterhauswahl ausgerufen, worauf Labour unter Tony Blair einen Erdrutschsieg errang.
Der Labour-Chef Starmer begrüsste in einer kurzen Ansprache Sunaks Ankündigung. Er erklärte, seine Partei habe einen Plan, um das Chaos unter konservativer Führung zu beenden. Er verwies auf den desolaten Zustand des Landes vom Gesundheitswesen bis zur Wasserqualität in den Flüssen und Seen. Und er betonte, nach vierzehn Jahren konservativer Regierung sei Grossbritannien bereit für einen Wechsel.