Der grüne Vizekanzler Robert Habeck möchte sich mithilfe eines ganz besonderen Accessoires in die Herzen der Deutschen stehlen: des Küchentischs. Wieso er damit gegen den Strom schwimmt.
Ein Accessoire ist gemeinhin eine Tasche, ein Schal, Schmuck vielleicht. Robert Habeck, grüner Vizekanzler mit Ambitionen angesichts der deutschen Regierungskrise, denkt da grösser: Er schmückt sich mit einem Tisch. Einem Küchentisch, um genau zu sein. An einem solchen inszenierte er sich vor einem Monat öffentlichkeitswirksam in den sozialen Netzwerken, die er eine Weile gemieden hatte, und reaktivierte seine persönlichen Accounts. Wenn man Kanzler werden will, wie Habeck verkündete, muss man sich volksnah zeigen: «Ich bin hier bei Freunden in der Küche», so beginnt der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. «An Tischen wie diesen kommen Menschen zusammen.»
Damit schwimmt Habeck gleich mehrfach gegen den Strom. Zum einen setzt er hoffnungsfroh auf Ruhe, Bescheidenheit, Besonnenheit, Eigenschaften, die den Reden anderer Politiker gerade eher abgehen. Und zum anderen schien auch die Küche ein Auslaufmodell zu sein. Architektonisch schien der Fall recht klar: Eine abgeschlossene Küche braucht es nicht mehr, stattdessen fliessen die Räume ineinander, grosse Ess- und Wohnzimmer mit Kochinseln statt einer Küche mit Tür sind gefragt. Auch die Möbel, die in diesen Räumen stehen, sind Hybride, da gibt es Theken, an denen gefrühstückt wird, im Home-Office gearbeitet oder abends Matheaufgaben geschrieben werden. Oder Tische, die so tief sind, dass man sie gerade zum Sofa stellen kann. Und Sitzgelegenheiten mit Polstern, die selbst nicht so recht wissen, ob sie ein Sessel oder ein Stuhl sein wollen.
Der Küchentisch als Urmutter
Jetzt aber soll die Küche wieder da sein und uns vereinen. Mit ihr der Küchentisch in Erwachsenen-Höhe als Mittelpunkt der Familie, ob bluts- oder seelenverwandt, quasi eine möbelgewordene Urmutter, die wir gerade tröstend zu brauchen scheinen, wo doch alles so kompliziert ist. Traditionell ist die Küche auch den Frauen vorbehalten; schon die gehypten Tradwives, Frauen wie die ehemalige Miss America Hannah Neeleman oder Estee Williams, die sich auf Instagram und Tiktok wie brave Hausfrauen von damals inszenieren und voller Hingabe, aber schön frisiert Granola und Croissants zubereiten, halten sich vor allem in diesen Räumen auf.
Und nun also Robert Habeck, der so das Vertrauen der deutschen Wählerinnen und Wähler gewinnen will, wohlwissend, dass Klimawandel-Bekämpfung gerade bei den meisten Menschen nicht ganz oben auf der Liste steht. Das Gefühl, irgendwo zu Hause zu sein, wo freundliche Menschen sind und wo es gutes Essen gibt, aber schon.