Die Legende vom Räuber, der den Armen hilft, hat Wu Tsang am Schauspielhaus als Fabel für Gross und Klein inszeniert. Der schlaue Fuchs Robin Hood wird von einer woken Eule beraten.
Wenn eine Premiere im Schauspielhaus schon um 19 Uhr angesetzt ist, dann hat das einen Grund. Das erwachsene Publikum schafft es nach Arbeitsschluss gerade noch, ein Sandwich oder eine Pizza zu verdrücken, um gesättigt und rechtzeitig im Theater zu erscheinen. Vor allem aber findet die Aufführung so früh statt, dass auch Kinder mitdürfen. Bei «Robin Hood» handelt es sich nun nämlich um ein märchenhaftes Stück, das die Regisseurin Wu Tsang für Alt und Jung inszeniert hat.
Dass man mit ein und demselben künstlerischen Werk mehrere Generationen mit verschiedenen Aussagen ansprechen kann, dafür gibt es gute Beispiele. Bei «Asterix» oder bei den «Simpsons» etwa lachen alle Familienmitglieder – aber über unterschiedliche Witze.
In Fabeln wiederum wird die kindliche Naivität mit fixen Tier-Charakteren angesprochen, während sich auf einer symbolischen Bedeutungsebene menschliche Makel und Konflikte manifestieren. Der russische Autor Jewgeni Schwarz etwa hat in Zeiten des Stalin-Terrors seine Kritik an den politischen Verhältnissen mit äsopischen Theatermärchen ausgedrückt.
Eine «Biest-Ballade»
Mit diktatorischen Verhältnissen ist Wu Tsang glücklicherweise nicht konfrontiert. Wenn sie aber den Räuber Robin Hood, der der Legende nach den Armen hilft, nun auch als theatrale Fabel auf die Bühne bringt, erwartet man schon eine gewisse politische Brisanz.
Tatsächlich beginnt das als «Biest-Ballade» bezeichnete Stück mit Unterdrückung und Klassenkampf. Die Eichhörnchen nämlich schuften Tag für Tag auf dem Getreideacker; die Ernte aber müssen sie in steigenden Anteilen dem menschlichen Landbesitzer abgeben. Eingezogen wird die übertriebene Steuer – gleich denkt man an überzogene Zölle – von einer zynischen, hinterlistigen Katze (June Ellys Mach) in elegantem, silbergrauem Pelz. Unterstützt wird sie vom Sheriff, einem ebenso bösen wie dummen Hund im Wolfspelz (grossartig: Sebastian Rudolph).
Wie die Eichhörnchen in die Landwirtschaft geraten sind, wissen sie nicht mehr. Sie besingen ihr trauriges Schicksal nun in traurigen Balladen. Und sie träumen von der Eiche, die sie als heiligen Baum verehren. Zu ihrem Mythenschatz gehören überdies Geschichten vom schlauen Fuchs Robin Hood, der sich als Freiheitskämpfer gegen die Landbesitzer auflehnt.
Als das jüngste Eichhörnchen (Nancy Mensah-Offei) wegen fehlenden Respekts vom Sheriff verhaftet und im Kerker festgesetzt wird, wo es einem Ende als Hunde- oder Katzenfutter entgegensieht, ist Robin Hood (Tosh Basco) rechtzeitig zur Stelle. Er befreit das ängstliche Tierchen und führt es in den dunkeln Wald, wo sich seine Clique, eine anarchistische Biester-Bande, eingenistet hat.
Robin Hood mag ein freundlicher Typ sein und ein talentierter Bogenschütze obendrein, der zielsicher Eicheln von den Bäumen schiesst. Das Sagen aber haben bei den Biestern die Frauen: Eine woke Eule erklärt hier, dass Freiheit nur im Verbund mit Achtsamkeit funktioniere. Und die Wüstenfüchsin Mariam (Yèinou Avognon) schmiedet einen Plan, der zur Befreiung aller Eichhörnchen führen wird.
Selbst der Sheriff, wegen Fehlverhaltens von der Katze denunziert und vom Herrchen entlassen, landet bei den Biestern. Kann man ihm trauen?, fragen sich die Eichhörnchen. Liegt es nicht an seiner hündischen Natur, dass er den Starken gehorcht und die Schwachen schikaniert? Dass die Eichhörnchen zuletzt Toleranz üben, hat der Sheriff der Eule zu verdanken: Die sogenannte Natur sei bloss «ein Mythos», erklärt sie – unter besseren sozialen Verhältnissen werde aus dem Hund ein solidarischer Kumpan.
Stimmt das? Hat die Eule recht? Da gibt es jedenfalls Stoff für familiäre Nachbesprechungen. Insgesamt aber ist die Aufführung wenig kontrovers – bestenfalls verträumt, schlechtestenfalls einschläfernd. Das liegt zunächst am deutschen Text, den die Schauspielerinnen und Schauspieler unterschiedlicher nationaler Herkunft je mit einem besonderen Akzent einfärben. Er erweist sich als behäbig und brav – von wenigen Witzen abgesehen.
Lachende Kinder
Es geht Wu Tsang eben weniger um politischen Pep als um Poesie. Die Stärken ihres «Robin Hood» liegen im atmosphärischen Zusammenspiel diverser Ausdrucksmittel. Mit dem Getreidefeld im Bühnenbild (Nina Mader, Carlos Soto) etwa korrespondieren die stets tänzelnden Bewegungen der Eichhörnchen. Ihre buschigen Schwänze und Ohren zittern wie Espenlaub – oder eben wie die Ähren, die sie ernten. Und die suggestive Musik (Asma Maroof) schafft bald mit treibenden Grooves, bald mit zauberhaften Synthi-Klängen eine magische Klangkulisse, in der sich die Figuren eines ergänzenden Schatten-Theaters wie schemenhafte Spiegelungen der Protagonisten ausnehmen.
Die beherzten Kinderlacher während der Premiere deuten darauf hin, dass die Produktion eher auf das jüngere Publikum zugeschnitten ist. Ältere Semester hätten sich Robin Hood vielleicht etwas heroischer, souveräner gewünscht. Ähnlich jenem Recken, der in den siebziger Jahren ins Fernsehen galoppierte. Der nonchalante Räuber verschwendete damals keinen Gedanken an Achtsamkeit, um stattdessen tatkräftig die bösen Reichen auszurauben und den Armen zu helfen. Er sang auch toll: «Robin Hood, Robin Hood reitet durch die Lande, voller Stolz und Wagemut, folgt ihm seine Bande.»