Der Basler Pharmakonzern stärkt sein Obesity-Portfolio durch eine Kooperation mit Zealand Pharma. Die Dänen sind führend in einer Technologie, die Experten zufolge den GLP-1-Medikamenten überlegen sein könnte.
Im Wettstreit um die besten Medikamente gegen Fettleibigkeit steht meist die Klasse der GLP-1-Präparate im Fokus. Sowohl die Abnehmspritze von Novo Nordisk (Wegovy) als auch die von Eli Lilly (Zepbound) – beide derzeit Verkaufsschlager unter den Abnehmpräparaten – enthalten GLP-1-Agonisten. Diese zügeln den Appetit und führen so zu einem Gewichtsverlust. Auch Roche hat sich mit der Übernahme von Carmot Therapeutics Ende 2023 ein Obesity-Portfolio gesichert, das vor allem auf das Hormon GLP-1 abzielt.
Mit der am Mittwochmorgen verkündeten Partnerschaft mit Zealand Pharma lenkt Roche die Aufmerksamkeit auf einen konkurrierenden Ansatz, der sich laut Experten als überlegen gegenüber GLP-1 erweisen könnte: den Amylin-Agonisten. Amylin ist wie GLP-1 ein Hormon, das im Körper eine Rolle bei der Regulierung von Stoffwechselprozessen spielt. Doch anstatt den Appetit zu zügeln, sorgt es dafür, dass die Sättigung früher eintritt – die Vorfreude auf ein gutes Essen, die viele Menschen als Lebensqualität empfinden, bleibt also bestehen.
Roche: Zealand-Partnerschaft zielt auf Amylin-Technologie ab
Noch wichtiger: Der Amylin-Ansatz weist in ersten Studien von Zealand Pharma auf deutlich geringere Nebenwirkungen hin. Patienten, die GLP-1-Präparate einnehmen, klagen häufig über Übelkeit und Muskelschwund. Gemäss den Pharma-Experten von Bank of America führen GLP-1-Medikamente zu einem Muskelabbau von 25 bis 40%, was vor allem bei älteren Patienten problematisch sein kann.
Generell gilt im Wettstreit um das beste Abnehmpräparat: Der Markt sieht sehr genau hin bei der nächsten Generation von Schlankheitsmitteln – und schaut vor allem darauf, ob und wie sich die neuen Medikamente differenzieren können. Dank der besseren Verträglichkeit und der positiven Wirkung gegen Muskelschwund wird Amylin das Potenzial zugesprochen, eine bedeutende Alternative zum GLP-1-Ansatz zu werden. Entsprechend hoch sind die Chancen für Unternehmen, die diesen Ansatz verfolgen, sich ein möglichst grosses Stück vom milliardenschweren Obesity-Markt zu sichern. Je nach Schätzung – die allerdings stark auseinandergehen – könnte dieser Markt bis 2030 auf bis zu 200 Mrd. $ anwachsen.
Roches neuer Partner aus Dänemark gilt als führend in der Amylin-Technologie. The Market empfahl die Aktien von Zealand Pharma risikoaffinen Anlegern bereits mehrfach als vielversprechende Wette im Obesity-Markt – zuletzt Anfang Februar.
Gewinne werden geteilt
Die Vereinbarung mit Roche sieht vor, den Wirkstoff Petrelintide, einem Amylin-Analogon, für das Zealand im Dezember eine Phase-IIb-Studie gestartet hat, gemeinsam weiterzuentwickeln. Das lang wirkende, einmal wöchentlich gespritzte Mittel soll gemeinsam in den USA und Europa vermarktet werden, während Roche Exklusivrechte für den Rest der Welt erhält. Die Basler sind zudem für die Herstellung und Lieferung verantwortlich.
Die Dänen erhalten im Gegenzug eine Vorauszahlung in Höhe von 1,65 Mrd. $. Hinzu kommen Meilensteinzahlungen in Höhe von 1,2 Mrd. $ (bei Beginn der Phase-III, die als wahrscheinlich gilt) sowie 2,4 Mrd. an umsatzbasierten Meilensteinzahlungen. Insgesamt könnten Zealand damit Mittel von bis zu 5,3 Mrd. $ zufliessen – das sind mehr als die 5,1 Mrd. $, die Zealand bis gestern an Marktkapitalisierung auf die Waage brachte.
Der Deal sieht vor, dass Gewinne – aber auch mögliche Verluste – in Europa und den USA jeweils zu 50% aufgeteilt werden. Besonders interessant für Zealand-Aktionäre: Die 50/50-Regel gilt nicht nur für die Monotherapie mit Petrelintide, sondern auch für eine Kombination mit Roches GLP-1-Hoffnungsträger CT-388, den die Basler durch die Übernahme von Carmot erworben haben. Roche plant, CT-388 auch in Kombination mit Petrelintide zu testen.
Damit entstünde eine ähnliche Kombination wie Cagrisema, das von Novo Nordisk entwickelt wird, zuletzt aber beim erzielten Gewichtsverlust enttäuscht hatte. Die ZKB sieht für die Kombination aus Petrelintide und CT-388 ein Umsatzpotenzial von mehr als 5 Mrd. Fr.
Partnerschaft ergibt für Roche Sinn
«Für Roche ist die Partnerschaft eine sinnvolle Nutzung ihrer Bilanzmittel, um den Ausbau ihrer Aktivitäten im Adipositas-Markt voranzutreiben sowie eine ordentliche Aufstockung der Carmot-Vermögenswerte», sagt Thomas Heimann, Analyst bei der auf Biotech-Gesellschaften spezialisierten Investmentfirma HBM Partners. Bei der Optimierung von CT-388 blieben jedoch noch Fragezeichen hinsichtlich der Verträglichkeit, der Produktionskapazität und des Abschneidens gegenüber anderen Amylin-Analoga und Inkretinen bezüglich der Wirksamkeit.
Auch Vontobel-Analyst Stefan Schneider hält die Partnerschaft für Roche für sinnvoll – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Basler erst 2023 mit der Übernahme von Carmot in die Bereiche Herz-Kreislauf, Nieren und Stoffwechsel eingestiegen sind. «Um die verschiedenen Erkrankungsformen besser adressieren und zugleich mit zahlreichen Anbietern konkurrieren zu können, muss Roche sein Therapieangebot weiter ausbauen», schreibt Schneider in einer Research-Note von heute Morgen.
Die Roche-Aktien profitieren am Mittwoch von der angekündigten Partnerschaft. Bis zum Nachmittag steigt der Kurs in einem insgesamt freundlichen Markt um 5,5 % auf über 312 Fr. und erreicht damit den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Allerdings hatten die Aktien – ebenso wie der Gesamtmarkt – am Dienstag stark korrigiert. Die Zealand-Partnerschaft verstärkt das positive Momentum, das Roche seit Jahresbeginn geniesst.
Für The Market zählt Roche zu den Aktienfavoriten für 2025. Die Obesity-Fantasie ist dabei jedoch nur einer von vielen Katalysatoren, die der Aktie Auftrieb verleihen könnten: Der Covid-Sondereffekt ist 2025 gänzlich herausgewaschen, so dass das robuste Wachstum wieder sichtbar wird. Die Effizienzinitiativen von CEO Thomas Schinecker werden an der Börse noch nicht genug berücksichtigt. Zudem könnten noch im laufenden Jahr anstehende Studienupdates den Aktienkurs positiv beeinflussen (mehr zum ausführlichen Investment Case von Roche können Sie hier lesen).
«Roche-Deal ein Best-Case-Szenario für Zealand»
Für Zealand ist die Roche-Partnerschaft wiederum ein kleiner Ritterschlag, betonte Schinecker doch zuletzt immer wieder, sich bei Forschung und Entwicklung auf potenzielle «Best-in-Class»-Therapien zu konzentrieren, was sich Roche gemäss Medienmitteilung auch von Petrelintide erhofft. Die Aktien von Zealand, die wie viele Aktien im Obesity-Bereich in den letzten Wochen durch die Höhen und Tiefen von Novos Cagrisema in Mitleidenschaft gezogen wurden, legen heute um bis zu 35% zu.
Trotzdem notiert der Kurs noch immer rund ein Drittel unter seinem Höchst vom letzten Sommer. Dass die Aktien nicht noch stärker anziehen, könnte damit zu tun haben, dass viele Anleger auf eine Übernahme spekulieren, die mit einer entsprechend hohen Prämie zum aktuellen Aktienpreis einhergehen würde. Diese Fantasie ist mit der Auslizenzierung des wichtigen Assets nun gedämpft worden.
Trotzdem begrüsst Thomas Leu, Portfoliomanager beim Healthcare-Spezialisten Bellevue, die Konditionen des Deals, die «erhebliche wirtschaftliche Vorteile für Zealand bieten und gleichzeitig das Mitwerberecht in wichtigen Regionen sichern.» Die Dänen seien durch die Partnerschaft in einer guten Position, sich in den kommenden Jahren zu einem etablierten Biotechnologieunternehmen zu entwickeln.
Für Leu, der den Deal als «Best-Case-Szenario» für die Dänen bezeichnet, bestätigt und wertet die Zusammenarbeit mit Roche das laufende klinische Programm von Zealand auf. Die Dänen profitierten von einem «umfangreichen Know-how in den Bereichen klinische Entwicklung, Regulierung, Marketing und Vertrieb.» Zudem erhalte das Unternehmen Zugang zu Produktionskapazitäten und Kapital für eine mögliche Expansion.
Auch The Market glaubt weiterhin an den langfristigen Investment Case von Zealand Pharma. Anleger sollten jedoch beachten, dass eine Investition mit hohen Risiken verbunden ist. Der Weg zu marktreifen Produkten ist noch lang, 2026 könnte es mit Survodutide, einer Kombination aus einem GLP-1- und einem Glucagon-Agonisten, so weit sein. Petrelintide, das Zealand nun mit Roche weiterentwickelt, dürfte frühesten Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen. Mögliche Enttäuschungen in der Entwicklung dürften jeweils zu starken Kursrückschlägen führen.