Während in Chile schon lange Kupferbergbau im grossen Stil betrieben wird, spielt Argentinien in der Branche noch immer eine untergeordnete Rolle. Die Projekte sind vielversprechend, doch der Startschuss steht noch aus. Ein Besuch in der Provinz San Juan.
Der Helikopter schraubt sich zu den Gipfeln der argentinischen Anden hoch. Der Pilot fliegt möglichst eng an den Bergflanken, um den tückischen Windböen auszuweichen. Die greifen immer wieder nach dem Fluggerät und schütteln es durch in der dünnen Luft. Nach etwa einer Stunde Flugzeit aus der Provinzstadt San Juan setzt er zur Landung an – auf rund 3500 Metern Höhe.
Unten liegt ein Camp, das aussieht wie eine Forschungsstation auf dem Mond – nur mit blauem Himmel darüber, starker Sonne und einem eiskalten Wind, selbst um die Mittagszeit. Container stehen in Reih und Glied, neben Funkmasten, Dieselgeneratoren und einem Flüsschen – sonst nichts als Geröll.
Willkommen in Los Azules, einer der grössten unerschlossenen Kupferlagerstätten der Welt.
Sicherheit wird grossgeschrieben im Camp
Die 50 Menschen, die im Spätherbst (entspricht dem Spätfrühling auf der nördlichen Hemisphäre) hier noch arbeiten – Geologen, Lagerpersonal, Fahrer – halten die Infrastruktur am Laufen, bevor das Camp für den Winter geschlossen wird. Über den Sommer waren hier 900 Personen im Einsatz. Sie arbeiten 14 Tage durch, danach haben sie 14 Tage frei. Acht Stunden dauert die Fahrt nach San Juan.
Sicherheit wird grossgeschrieben. Die Pick-ups fahren im Schritttempo. Wenn sie das Camp verlassen, melden die Fahrer sich per Walkie-Talkie ab. Wer ins Freie tritt, muss einen Helm aufsetzen und Sicherheitsschuhe tragen, obwohl bis jetzt nicht gebaut wird.
Weit und breit gibt es keine Ortschaft. Die Grenze zu Chile ist mit dem Pick-up nur zwei Stunden entfernt. Im Sommer treiben chilenische Hirten ihre Ziegenherden über die Berge zu den wenigen grünen Flecken an den Wasserläufen. Sie verarbeiten die Milch zu Käse und bringen ihn auf die Märkte Chiles.
Durch das Geröll wurde eine Piste in den Berg gefräst. Von einer Plattform aus lassen sich die gewaltigen Ausmasse der künftigen Mine erahnen. In einem Tal zwischen drei Bergketten soll sich das Tagebau-Bergwerk auf einer Fläche von 2,5 mal 4 Kilometern in den Berg fressen. Drei Brecher hintereinander werden das Gestein zerkleinern, das über Förderbänder in ein anderes Tal transportiert und dort auf Membranen geschüttet wird. Hier, in dieser Hochlandwüste, sollen in wenigen Jahren jährlich 180 000 Tonnen Kupfer gewonnen werden. Es wäre eine der 20 grössten Kupferminen der Welt.
Die Nachfrage nach Kupfer steigt – die Produktion stagniert
Die globale Rohstoffindustrie blickt gespannt auf Projekte wie Los Azules. Denn die Nachfrage nach dem Metall wird stark steigen. Als besonders leitfähiges Material ist Kupfer unabdingbar für Elektrofahrzeuge, erneuerbare Energien, Rechenzentren und die Infrastruktur für künstliche Intelligenz. Der Bergbaukonzern BHP prognostiziert, dass die weltweite Kupfernachfrage bis 2035 um eine Million Tonnen pro Jahr steigen werde, ausgehend von einem Verbrauch von 26 Millionen Tonnen im Jahr 2024.
Gleichzeitig stagniert die Produktion in wichtigen Förderländern wie Chile, Peru oder den USA. Der Kupferpreis hat sich innerhalb von zehn Jahren bereits verdoppelt und liegt heute bei knapp 11 000 Dollar pro Tonne. Der renommierte Hedge-Funds-Manager Pierre Andurand spekuliert, dass der Kupferpreis in den nächsten Jahren auf bis zu 40 000 Dollar pro Tonne steigen könnte.
Deswegen steht San Juan im Zentrum der Aufmerksamkeit der Branche: Denn dort wartet ein halbes Dutzend erschlossener, aber noch nicht in Betrieb genommener Kupferprojekte auf ihren Start. Internationale Rohstoffkonzerne wie Glencore, BHP, Rio Tinto, Lundin und McEwen Copper haben sich hier positioniert.
Argentinien könnte mit diesen Projekten nach dem Weltmarktführer Chile neben Peru und Kongo-Kinshasa zu den grössten Kupferproduzenten weltweit aufsteigen. Die auf Bergbau spezialisierte Londoner Analysefirma Hallgarten & Company stellte jüngst die Frage: «Wird San Juan das neue Chile?»
Von der Rinderzucht zum Bergbau
Genau darauf hofft Martín Ossa.
Er war zwölf, als er zum ersten Mal eine Expedition in die Anden begleitete. Ein britischer Geologe hatte seinen Vater als Führer engagiert, um mit Maultieren über schmale Pfade Gesteinsproben aus entlegenen Tälern zu holen – genau dort, wo heute Los Azules entsteht.
Später, mit 14, leitete Ossa die Touren bereits selbst: zwei Wochen hin mit Proviant, zwei zurück mit den Gesteinsproben. Seine Familie züchtete damals Rinder, die sie im Sommer auf die höher gelegenen Weiden an den Wasserstellen in den Andentälern trieb. «Wir kannten jeden Winkel der Anden bis nach Chile», sagt Ossa.
Die Expeditionen waren erfolgreich: Ein britischer Geologe entdeckte grosse Kupfer-Vorkommen. Die Familie Ossa gründete den Bergbauzulieferer Caterwest, die Landwirtschaft betrieb sie bald nur noch nebenbei. Ossa studierte Finanzen, arbeitete als Controller in Santiago und New York. 2008 beschloss er, nach San Juan zurückzukehren, um das Familienunternehmen zu professionalisieren.
Heute ist er 45 Jahre alt. Caterwest beschäftigt 405 Mitarbeiter und betreibt rund zwei Dutzend Camps für Geologen und Minenarbeiter in den Anden. Das Unternehmen liefert Lebensmittel in die Lager, betreibt die Kantine und reinigt die Räume. Die Camps sind nur per Trucks mit Vierradantrieb zum Teil über unwegsames Gelände zu erreichen. Im Winter sind die Lager eingeschneit. Im Sommer herrscht Wüstenklima.
Obwohl Argentiniens Wirtschaft in den letzten zehn Jahren mit politischen und wirtschaftlichen Krisen zu kämpfen hatte, ist der Umsatz von Ossas Unternehmen kontinuierlich gewachsen. Für Ossa ist das aber erst der Anfang. «Wenn eine der Minen dort oben neu in Betrieb geht, müssen wir die Zahl der Mitarbeiter verdreifachen.» Alles sei vorbereitet. Nur der Startschuss fehle noch.
Konzerne zögern mit ihren Investitionen
Warum legen die Konzerne nicht einfach los und beginnen mit der Produktion? Schliesslich winken hohe Gewinne.
Ein Mann, der das beantworten kann, ist Michael Meding. Der Deutsche setzt sich mit Herzblut und Beharrlichkeit dafür ein, dass es in Los Azules endlich losgeht. Er leitet für den Bergbaukonzern McEwen das Kupfergeschäft. Der kanadische Konzern hat 2012 die Lagerstätte gekauft, die der britische Geologe auf Martín Ossas Tour vor mehr als 30 Jahren entdeckt hatte.
Der 51-jährige Deutsche lebt seit 15 Jahren mit Unterbrechungen in Argentinien, die meiste Zeit in San Juan. Meding redet schnell und vor allem Klartext – auch über die Probleme. Das ist selten in einer Branche, in der sich viele nicht in die Karten blicken lassen wollen: «Kupferprojekte sind teuer – es gibt kaum kleine Projekte, die sich lohnen.» Nur die grossen Bergbaukonzerne hätten das Kapital, um solche Projekte zu stemmen. Denn Kupferminen werden für jahrzehntelange Förderzyklen geplant.
Zudem sei Argentinien ein schwieriger Standort. «In Argentinien eine Mine zu eröffnen, ist schon kompliziert – in den argentinischen Anden eine Mine zu eröffnen, ist noch komplizierter», sagt Meding. Damit meint er zum Beispiel die fehlende Infrastruktur: Es gibt keine Strassen, Schienen oder Stromleitungen in die Berge.
Industrieller Bergbau hat in Argentinien keine Tradition. Ganz anders in Chile, auf der anderen Seite der Anden, wo schon seit einem Jahrhundert Bergbau im grossen Stil betrieben wird. Dort wird entsalztes Meerwasser vom Pazifik bis auf 4000 Meter gepumpt, um die knappen Wasserressourcen zu schonen. In Argentinien muss das alles erst aufgebaut werden.
Los Azules braucht Kapital
Stellantis, der europäisch-amerikanische Autokonzern, hat bereits 275 Millionen Dollar in Los Azules investiert, um künftig Kupfer für seine E-Autos aus Argentinien zu beziehen. Der anglo-australische Bergbaukonzern Rio Tinto steuerte 100 Millionen bei. Im nächsten Jahr könnte mit dem Bau der Infrastruktur und der Mine begonnen werden. 2029 soll dann die Produktion beginnen.
Der Zeitplan ist ehrgeizig. Um ihn einzuhalten, braucht Meding Kapital. Viel Kapital. 232 Millionen Dollar kostet die Machbarkeitsstudie. Und dann sind es noch einmal 2,5 Milliarden Dollar, bis die Mine produzieren kann.
Deswegen reist Meding alle paar Wochen von San Juan aus in die Welt. Zu Entwicklungsbanken in Asien und Europa, zu Finanzierungsevents der Bergbaubranche in Nordamerika oder wenn es in der EU um kritische Rohstoffe geht. «Die Kongresse sind wie Speed-Datings», sagt Meding. «30 Präsentationen vor Investoren in drei Tagen.»
Doch obwohl die Kupferpreise steigen und eine Versorgungslücke abzusehen ist, ist es schwierig, Geld für eine Kupfermine zu bekommen. Investoren steckten ihr Geld lieber in den Technologiesektor, sagt Meding. Zudem fördere Trump die amerikanische Bergbauindustrie und ziehe viel Kapital an. Dieses Geld fehle dann weltweit für andere Minenprojekte. Dass die Kupfergewinnung im Ruf stehe, dreckig, giftig und gefährlich zu sein, helfe auch nicht.
Meding wirbt deswegen mit der Nachhaltigkeit von Los Azules. Dort soll Kupfer mit Hilfe der Bio-heap-leaching-Technologie, die der Partner Rio Tinto beisteuert, gewonnen werden: Das aufgeschüttete Erz wird mit einer Lösung aus Mikroorganismen, Wasser und Schwefelsäure berieselt. Durch elektrolytische Verfahren können aus der Lauge direkt neben der Mine Kupferkathoden hergestellt werden.
Argentinien hat einen schlechten Ruf – bis jetzt zumindest
Bis 2038 soll die Mine komplett kohlendioxidneutral produzieren. Grünen Strom will der argentinische Versorger YPF liefern. Auch der Wasserverbrauch sei deutlich geringer als bei herkömmlichen Verfahren, sagt Meding. Das Wasser werde in einem geschlossenen Kreislauf genutzt und wiederverwendet. Als eines der ersten Kupferminenprojekte hat Los Azules Ende vergangenen Jahres die Umweltgenehmigung der Provinz für Bau und Betrieb erhalten.
Doch auch Argentiniens schlechter Ruf ist hinderlich bei der Suche nach Investoren. Immer wieder hat das Land seine Gläubiger im Regen stehenlassen – oder Zusagen nicht eingehalten. Auch in San Juan.
Dort kam es zu einer spektakulären Investitionspleite: Der kanadische Bergbaukonzern Barrick Gold wollte ab 2009 die Pascua-Lama-Mine im argentinisch-chilenischen Grenzgebiet entwickeln, eine der grössten Gold- und Silberminen der Welt. 2013 wurde der Bau der Mine aus Umweltbedenken gerichtlich gestoppt. Barrick musste die Investition von fünf Milliarden Dollar abschreiben.
Unter Präsident Javier Milei ändert sich das Investitionsklima zum Besseren: Der libertäre Präsident hat ein Sonderprogramm für Konzerne verabschiedet, die mehr als 200 Millionen Dollar investieren – genannt Rigi. Es bietet Grossinvestoren verlässliche Rahmenbedingungen: reduzierte Steuern, Schutz vor Kapitalverkehrskontrollen, internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Diese Garantien sollen für 30 Jahre gelten. Los Azules will in das Programm aufgenommen werden. Meding sagt: «Es ist ein Signal der Regierung, dass sie es ernst meinen.»
Für Meding ist es ein gutes Zeichen, dass die grossen Bergbaukonzerne wie Rio Tinto und BHP wieder in Argentinien investieren – nachdem sie das Land in der Zwischenzeit verlassen haben. Dennoch: Vertrauen gewinnt man nicht über Nacht wieder. Er, der Minenexperte, drückt das so aus: «Vertrauen gewinnt man in Gramm – und verliert es in Kilogramm.»