Jürg Müller / Keystone
Im Mai 1999 kam es an Auffahrt und Pfingsten in der Schweiz zu grossflächigen Hochwassern. In zahlreichen Regionen traten Seen und Flüsse über die Ufer.
«Dramatische Hochwasserlage in zahlreichen Regionen» – so titelte die NZZ am 14. Mai 1999 eine Bildstrecke zu Überschwemmungen im Kanton Zürich. Auf den damals in der Zeitung noch schwarz-weissen Fotos türmen Einsatzkräfte der Feuerwehr Sandsäcke auf und bahnen sich Autos einen Weg durch überflutete Strassen. Der Kanton befände sich im «Würgegriff gewaltiger Wassermengen», hiess es im Bericht.
Doch nicht nur Zürich hatte vor 25 Jahren mit enormen Wassermassen zu kämpfen. Die ganze Schweiz wurde im Mai 1999 erst an Auffahrt und dann an Pfingsten von grossflächigen Frühlingshochwassern heimgesucht. Sie verursachten Schäden in Höhe von 580 Millionen Franken, wie die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in einer Mitteilung zum 25. Jahrestag schreibt. Der Grossteil der Schäden fiel im Kanton Bern an, betroffen war aber das gesamte Mittelland.
«In Thun stand das Wasser an Auffahrt 1999 bei vielen Leuten in der Wohnung», erinnert sich Christoph Hegg, Acting Director bei der WSL. Er verantwortete gemeinsam mit einem Kollegen einen Bericht zu den damaligen Ereignissen. Das linke Ufer des Thunersees habe sich beim Höchststand des Hochwassers 400 Meter weiter landeinwärts als gewöhnlich befunden.
Aufnahmen aus dem Berner Mattequartier zeigen Menschen, die fast wie in Venedig auf Booten durch die Gassen navigieren. Mehrere hundert Personen mussten in Sicherheit gebracht werden. Auch in Rheinfelden wurde die Altstadt evakuiert. In einigen Gemeinden in der Region Untersee beim Bodensee standen die ufernahen Häuser wochenlang unter Wasser. Seen und Flüsse traten vielerorts über die Ufer, und es kam auf Schienen und Strassen zu Streckenunterbrüchen.
Viel Niederschlag und gesättigte Böden
Die Ursache für die grossflächigen Hochwasser lag laut der WSL in der Kombination aus starken Regenfällen und dem «Lawinenwinter 1998/99». Zwischen Januar und März schneite es mehrmals überdurchschnittlich viel und bis in die Niederungen. Die hohe Schneedecke führte in den Bergen zu zahlreichen Lawinen, die mehrere Todesopfer forderten.
Im April regnete es überdurchschnittlich viel. Dazu begann der viele Schnee nun zu schmelzen, bereits im März in den tieferen Lagen, ab Ende April dann auch in der Höhe. Die Böden waren jedoch bereits übersättigt, weshalb der grosse Teil des Schmelzwassers in die Voralpenseen floss. Diese konnten das viele Wasser zunächst noch auffangen.
Am 11. Mai 1999, kurz vor dem langen Auffahrtswochenende, begann es entlang des Alpennordrandes tagelang zu regnen. Die bereits mit Schmelzwasser gefüllten Seen konnten die zusätzlichen Wassermengen nicht mehr aufnehmen und überliefen. Auch die Flüsse, die in die und aus den Seen fliessen, traten über die Ufer.
An Pfingsten, zehn Tage später, regnete es erneut. Zwar kürzer, dafür aber stark. Wieder traten Seen und Flüsse grossflächig über ihre Ufer.
Lehren für die Zukunft
«Die Niederschlagsereignisse an Auffahrt und Pfingsten waren zwar unterschiedlich, aber in beiden Fällen war es das Zusammentreffen wassergesättigter Böden, der Schneeschmelze und der Regenfälle, was zu den grossflächigen Überschwemmungen führte», sagt Christoph Hegg von der WSL. Die Hochwasser hätten gezeigt, dass die dämpfende Wirkung der Seen Grenzen habe.
Aus den vor 25 Jahren gemachten Erfahrungen wurden verschiedene Massnahmen abgeleitet, um Schäden nach Hochwasser zu begrenzen. So wurde ein Warnsystem für Naturgefahren durch Bund und Kantone aufgebaut, am Thunersee wurde ein Entlastungsstollen errichtet, und es gab Verbesserungen bei der Seeregulierung.
Eine weitere Erkenntnis für die WSL war, wie wichtig eine gute schneehydrologische Einschätzung sei. «Für uns war dieses Ereignis eine grosse Motivation, die Schneewassermenge systematisch über die ganze Schweiz zu berechnen», sagt Manfred Stähli, Leiter der Forschungseinheit Gebirgshydrologie und Massenbewegungen.
Heute wird die Schneesituation in der Schweiz durch die WSL laufend analysiert, und es werden Vorhersagen gemacht, wie viel Schmelzwasser kurzfristig zu erwarten ist. Solche Informationen wären auch 1999 hilfreich gewesen. Die Hochwasser hätten zwar nicht verhindert werden können, aber es wäre mehr Zeit geblieben, um sich darauf vorzubereiten.