Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh hat seinen Rücktritt angekündigt. Offiziell macht er den Gaza-Krieg dafür verantwortlich. Tatsächlich liegen die Gründe jedoch tiefer: Die palästinensische Autonomiebehörde soll erneuert werden.
Mohammed Shtayyeh wählte dramatische Worte. Der Krieg in Gaza liesse ihm keine Wahl, als sein Amt niederzulegen, verkündete der palästinensische Ministerpräsident am Montag in Ramallah. «Der Schritt ist eine Folge der Aggression gegen Gaza und der unvergleichlichen Eskalation im Westjordanland und in Jerusalem», sagte er. Das alles käme einem Angriff auf das palästinensische Volk und dessen politisches System gleich.
Gemeinsam mit Shtayyeh nimmt auch gleich die gesamte Regierung ihren Hut. Der angekündigte Rücktritt des Kabinetts, so fügte der 66-Jährige an, wäre bereits vor einigen Tagen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas besprochen worden. Shtayyeh, ein verdientes Kadermitglied von Abbas’ Fatah-Partei, hatte der zur Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gehörenden Palästinenserregierung seit 2019 vorgestanden.
Das politische Ende des Ministerpräsidenten kommt nicht überraschend. So hatte sich in den letzten Tagen bereits abgezeichnet, dass es innerhalb der PA Veränderungen geben wird. Dass dabei Shtayyeh gehen muss, hat allerdings weniger mit der schrecklichen Lage in Gaza zu tun als vielmehr mit dem zunehmenden Druck von aussen.
Folgt nun ein Technokratenkabinett?
Denn Shtayyeh galt als Mann des Status quo. Und dieser wird durch niemanden so sehr verkörpert wie durch den eigentlichen Machthaber in Ramallah – den Palästinenserpräsidenten Abbas. Der greise Fatah-Chef hatte Shtayyeh einst als treuen Verwalter eingesetzt. Doch nun verlangen Amerikaner und mehrere arabische Staaten eine Neuausrichtung der von Korruption und Stillstand zerfressenen Palästinenserbehörde.
Eine erneuerte PA, so ihre Hoffnung, könne möglicherweise in Zukunft in Gaza anstelle der Hamas die Macht übernehmen. Wie genau eine derartige Verwaltung aussehen soll, ist aber unklar. Immer wieder schwirren mögliche Szenarien umher. So meldete der Fernsehsender Sky News Arabia aus Abu Dhabi, dass auf Shtayyehs Kabinett nun eine Technokratenregierung unter Mohammed Mustafa, dem Chef des palästinensischen Investitionsfonds, folgen werde.
Gleichzeitig ist auch von einer neuen Rolle für Abbas die Rede. Der greise Präsident, so heisst es, soll in Zukunft möglicherweise eine symbolische Position bekleiden und Platz für jemand Neues machen. Bereits scharren mögliche Nachfolger mit den Hufen. Zuletzt brachte sich etwa Mohammed Dahlan, der von den Vereinigten Arabischen Emiraten protegierte einstige Fatah-Sicherheitschef aus Gaza, ins Gespräch.
Israel hat einen eigenen Nachkriegsplan
Die letzten Wahlen in den palästinensischen Gebieten fanden allerdings 2006 statt. Zudem herrscht Abbas nur über das Westjordanland – der Gazastreifen war nach einem innerpalästinensischen Bürgerkrieg 2007 an die Hamas gefallen. Und innerhalb der palästinensischen Gesellschaft hat der Ruf der Fatah schwer gelitten: Sie ist nicht nur wegen ihrer Korruption verhasst, sondern auch wegen ihrer Zusammenarbeit mit Israel.
Unklar ist auch die zukünftige Rolle der Hamas. Zuletzt hiess es in arabischen Medien, die Exil-Chefs der in Gaza mit dem Rücken zur Wand stehenden Islamisten seien einer Zusammenarbeit mit der verfeindeten Fatah angeblich nicht abgeneigt. Auch ein Technokratenkabinett würden sie prinzipiell unterstützen. Sogar von einem möglichen Beitritt der Hamas zur Dachorganisation PLO war die Rede.
Nun wollen sich die verschiedenen Palästinenserfraktionen diese Woche in Moskau zu Gesprächen treffen. Israel hat allerdings angekündigt, eine PA-Regierung in Gaza nicht zu akzeptieren. Und mit der Hamas ist nach dem 7. Oktober aus israelischer Sicht sowieso kein Staat zu machen. Stattdessen hat Ministerpräsident Netanyahu seinen eigenen Nachkriegsplan vorgelegt, in der von einer nicht genau definierten lokalen Zivilverwaltung die Rede ist.