Der Boom bei den Therapien gegen Fettleibigkeit ist für die Schweiz ein Glücksfall. Hierzulande haben gleich drei führende Zulieferer ihren Sitz. Ohne ihre Hilfe kommen die Anbieter der Abnehmspritzen nicht aus.
Die Aussage lässt sich jedem Bericht zum boomenden Geschäft mit den neuartigen Abnehmspritzen entnehmen: Die Nachfrage übersteige bei weitem das Angebot. Oder anders gesagt: Viel mehr Übergewichtige würden sich gerne mit den neuen Medikamenten behandeln lassen, doch sie gehen allzu oft leer aus.
Novo Nordisk und Eli Lilly forcieren Kapazitätsausbau
Dabei spielt nicht nur eine Rolle, dass die Anbieter der Spritzen und ihre Zulieferer mit Produzieren nicht nachkommen. Engpässe gibt es auch bei spezialisierten Ärzten, die wegen des Ansturms nicht genügend Termine an Patienten vergeben können. In vielen Ländern wie Deutschland oder den USA scheitern die Behandlungen zudem oft daran, dass Krankenversicherungen bis anhin nur bedingt oder gar nicht die Kosten erstatten. Wäre die Abdeckung ähnlich umfassend wie beispielsweise in der Schweiz, wo die Grundversicherung für die Aufwendungen aufkommt, wäre das weltweite Unterangebot wohl noch viel ausgeprägter.
Was die Pharmaindustrie betrifft, besteht allerdings Hoffnung, dass sie der hohen Nachfrage zumindest bis in einigen Jahren gerecht werden kann. Novo Nordisk und Eli Lilly, die Anbieter der bis anhin verfügbaren Präparate Wegovy, Saxenda und Zepbound, nehmen Milliarden in die Hand, um ihre Produktionskapazitäten in den USA, Europa und in China zu erweitern.
Dazu gesellt sich eine Reihe von Auftragsfertigern, die entweder den Wirkstoff für die Medikamente herstellen oder die Abfüllung der Spritzen übernehmen. Auch sie investieren im grossen Stil in zusätzliche Kapazitäten. Und zu ihren Kunden zählen nicht nur Novo Nordisk und Eli Lilly, sondern auch zahlreiche Pharmafirmen wie Roche, Pfizer oder Amgen, die in den nächsten Jahren ebenfalls mit Therapien auf den Markt zu kommen hoffen.
Bachem, Corden und Polypeptide sind vorne dabei
Gleich drei Lohnhersteller mit starken Verbindungen zum Geschäft mit den Abnehmspritzen haben ihren Sitz in der Schweiz: Bachem, Corden Pharma und Polypeptide. Sie sind allesamt auf die Herstellung von Peptiden spezialisiert, auf denen die Präparate aus der Kategorie der sogenannten GLP-1-Agonisten beruhen. Es handelt sich um ein vergleichsweise anspruchsvolles Betätigungsfeld, das viel Erfahrung und Spezialwissen voraussetzt. Weltweit gibt es nur eine gute Handvoll Auftragsfertiger, die Peptide im industriellen Massstab herstellen.
Während Polypeptide in der Schweiz nur mit dem Topmanagement am Firmensitz in Baar vertreten ist, betreiben Bachem und Corden hierzulande auch Produktionsstätten. Der Hauptsitz von Corden befindet sich in Basel. Die Schweizer Produktionsstätten des Unternehmens liegen in Freiburg sowie in Liestal und Ettingen (beide Kanton Basel-Landschaft).
Neue Fabrik auf bestehendem Chemieareal
Wirkstoffe aus den begehrten Peptiden hat der breit aufgestellte Pharmazulieferer bis anhin aber ausschliesslich im Ausland hergestellt, in Brüssel, Frankfurt am Main und in Colorado. Dies soll sich nun aber ändern. Wie Corden am Dienstag bekanntgab, sollen über die nächsten drei Jahre 900 Millionen Euro in die Erweiterung der bestehenden Fabrik in Colorado sowie in den Bau eines Werks an einem neuen Ort «im Herzen von Europa» investiert werden. Auf Anfrage liess der Chef von Corden, Michael Quirmbach, durchblicken, dass man einen Standort auf einem bestehenden Chemieareal in der Schweiz favorisiere.
Den genauen Ort will die Firma, die sich seit zwei Jahren im Besitz der Private-Equity-Gesellschaft Astorg befindet, in drei Monaten bekanntgeben. Laut Quirmbach ist die Investition mit dem Aufbau von 230 Arbeitsstellen verbunden. Weitere 170 Stellen sollen in Colorado dazukommen.
Milliardeninvestition im Baselbiet und im Fricktal
Als Marktführer im Geschäft mit Peptiden verfügte Bachem schon bisher über gewichtige Kapazitäten am Hauptsitz in der Baselbieter Gemeinde Bubendorf. Doch das Unternehmen investiert nun über eine halbe Milliarde Franken in ein zusätzliches Produktionsgebäude. Das Vorhaben startete im vergangenen Jahr und soll 2026 abgeschlossen werden. Weitere rund 750 Millionen Franken will Bachem für eine zusätzliche Produktionsstätte in der Fricktaler Gemeinde Sisseln ausgeben. Noch sind die Bagger dort nicht aufgefahren. Die Inbetriebnahme ist gegen Ende dieses Jahrzehnts vorgesehen.
In Bubendorf ist Bachem personell bereits stark gewachsen. Mittlerweile werden dort rund 1600 Mitarbeitende beschäftigt – vor vier Jahren waren es laut einem Unternehmenssprecher unter 1000 gewesen. Und 400 weitere Angestellte sollen in den nächsten Jahren am Stammsitz noch dazukommen. Den Bedarf für das neue Werk in Sisseln veranschlagt Bachem auf 500 Arbeitskräfte.
Woher die vielen Schichtarbeiter nehmen?
Die Rekrutierung der vielen neuen Mitarbeitenden stellt die Firma vor erhebliche Herausforderungen. Auch in der Nordwestschweiz ist es schwierig geworden, Leute für den Schichtbetrieb zu motivieren. Doch ohne Arbeiten rund um die Uhr wird Bachem die hohe Nachfrage nach Peptiden nicht bewältigen können.
Im Moment wird am riesigen neuen Produktionsgebäude in Bubendorf noch gebaut. Das Unternehmen muss trotz dem grossen Druck, den Kunden und Aktionäre mit Blick auf eine rasche Fertigstellung ausüben, aufpassen, nicht überhastet vorzugehen. Ein Warnruf war ein Unfall, der sich Ende Juni auf der Grossbaustelle ereignete. Weil eine Leitung wegen Überdrucks barst, wurden elf Bauarbeiter leicht verletzt. Sie mussten vorab wegen eines Knalltraumas das Spital aufsuchen. Bis auf eine Person stehen alle Betroffenen wieder im Einsatz. Es werde auf der Baustelle normal weitergearbeitet, sagt der Sprecher.