In der EU ist künftig in gewissen Fällen der Einzug von illegal erworbenen Vermögen eher möglich als in der Schweiz. Und die Strafen bei Sanktionsverstössen können schwerer sein. Das sagen zwei Berichte des Bundesrats.
Die Schweiz mache zu wenig für die Umsetzung der Sanktionen gegen Russland. Dieser Vorwurf war in den letzten zweieinhalb Jahren oft zu hören – zum Teil aus dem Ausland, häufiger aus dem linken politischen Lager im Inland. Der naheliegende Vergleichsmassstab ist die EU; die Schweiz hat fast alle Russland-Sanktionen der EU übernommen.
Die EU hat 2024 ihre Regeln mittels zweier neuer Richtlinien verschärft. Die eine Richtlinie macht den EU-Ländern Mindestvorgaben zum Umgang mit Verstössen gegen Sanktionen. Die andere stellt Regeln über das Einziehen von illegal erworbenen Vermögenswerten auf. Die Mitgliedländer müssen die Richtlinien bis Mai 2025 bzw. November 2026 umsetzen. Die EU-Regeln sind damit künftig in einigen Punkten strenger als die der Schweiz. Dies stellte der Bundesrat am Mittwoch in zwei Berichten fest.
Erleichterte Konfiszierung
Seit dem russischen Überfall von 2022 auf die Ukraine ist eine zentrale Frage in Sanktionsdiskussionen, unter welchen Umständen der Einzug von blockierten russischen Vermögenswerten zulässig ist. In der EU wie in der Schweiz ist ein solcher Einzug im Grundsatz nach wie vor nur bei illegal erworbenen Vermögen möglich – und dies nur unter der Voraussetzung einer strafrechtlichen Verurteilung der Betroffenen.
Die neue EU-Richtlinie zum Vermögenseinzug hat allerdings eine erweiterte Möglichkeit geschaffen. Ist eine Person strafrechtlich verurteilt, kann der Staat unter Umständen auch Vermögensteile dieser Person einziehen, die nicht in Verbindung mit der nachgewiesenen Straftat stehen. Die Voraussetzung dafür: Ein Gericht ist überzeugt, dass solche Vermögensteile ebenfalls aus einer Straftat stammen. Diese Straftat muss aber nicht bewiesen werden. Wie der Bundesrat feststellt, ist in der Schweiz eine solche erweiterte Einzugsmöglichkeit nur vorgesehen, wenn der Betroffene einer kriminellen Organisation angehört oder diese unterstützt. Das ist ein deutlich engerer Rahmen.
Weitere Rechtsunterschiede in Sachen Vermögenseinzug betreffen laut dem Bundesrat unter anderem die Verwendung eingezogener Gelder (die EU-Richtlinie erlaubt auch eine Verwendung zugunsten von Drittstaaten wie der Ukraine), die Organisation der Behörden (die EU-Richtlinie sieht zentralisierte Behörden für Aufspürung, Sicherstellung und Verwaltung von illegalen Vermögenswerten vor) sowie die strategische Ebene (die EU verlangt von den Mitgliedländern eine nationale Strategie zu diesem Thema).
Einzug bei Sanktionsverstoss
Die EU-Richtlinie zum Umgang mit Sanktionsverstössen schafft zudem eine neue Piste zum Einzug gesperrter Vermögenswerte. Bei Verschleierung von Vermögenswerten, die hätten blockiert werden müssen, kann der Staat künftig zugreifen, wenn die Verschleierung auffliegt. Das Schweizer Embargogesetz sieht dagegen eine Konfiszierung von blockierten Vermögenswerten nicht vor.
Nicht Bestandteil der erwähnten EU-Richtlinien und der zwei Bundesberichte ist der Umgang mit den blockierten Vermögen der russischen Zentralbank. Diese Werte gelten als legale Vermögen. Der weitaus grösste Teil der weltweit blockierten Werte der Zentralbank liegt bei Euroclear in Belgien: etwa 180 bis 200 Milliarden Euro. Euroclear ist ein Pfeiler des internationalen Finanzsystems – als zentraler Verwahrer von Wertpapieren und als Abwickler von Wertpapiertransaktionen sowie Zins- und Dividendenzahlungen.
Die EU hat dieses Jahr nach langem Ringen einen Kniff beschlossen: Man könne wenigstens die Erträge aus den Anlagen der sonst bei Euroclear zinslos herumliegenden Russland-Vermögen einziehen. 2023 hatte Euroclear aus solchen Anlagen Erträge von 4,4 Milliarden Euro erzielt. Diese Erträge gehören laut EU-Lesart nicht der russischen Zentralbank. Deklarierte Begründung: Die blockierten Gelder brachten nur dank der Wiederanlage durch Euroclear Erträge.
Diese Argumentation ist ökonomischer Unsinn und juristisch wacklig: Dem Eigentümer von Werten gehören in der Regel auch deren Erträge, und ohne Blockierung durch die EU hätte Russlands Zentralbank auch Erträge daraus erwirtschaften können. Doch der politische Wille in der EU hat juristische Zweifel übersteuert.
In der Schweiz waren im April dieses Jahres russische Zentralbankvermögen von 7,2 Milliarden Franken blockiert. Diese lagen nicht bei einer Verwahrungsstelle wie Euroclear, sondern bei «normalen» Finanzinstituten. Diese tätigen nicht von sich aus Anlagen von gesperrten Kundenvermögen. Die Frage von Sondererträgen stellt sich dadurch nicht. Zumindest ist das die Lesart der Schweizer Behörden. Auch der EU-Kniff zum Zugriff auf Erträge betrifft nur blockierte Gelder bei zentralen Verwahrungsstellen.
Bussenkluft bei Firmen
Rechtliche Differenzen zwischen EU und Schweiz gibt es auch bei den generellen Strafbestimmungen für Verstösse gegen die Sanktionsregeln. Die angedrohten Freiheitsstrafen liegen allerdings in der gleichen Grössenordnung, wie der Bundesrat festhält. Bei Bussen für natürliche Personen gibt es in der EU keine offizielle Obergrenze, in der Schweiz dagegen schon (100 000 Franken; dazu kann noch eine Geldstrafe von bis zu 540 000 Franken kommen).
Eine grosse Differenz betrifft juristische Personen. Die EU sieht für diese Bussen bis zu 40 Millionen Euro vor. Das Schweizer Embargogesetz kennt keine Firmenstrafen. Und im allgemeinen Verwaltungsstrafrecht beträgt die maximale Firmenbusse symbolische 5000 Franken (Erhöhung auf 50 000 Franken geplant). Gemäss dem allgemeinen Strafgesetzbuch ist eine Unternehmensbusse bis 5 Millionen Franken möglich, wenn sich eine Straftat mangels betrieblicher Organisation keiner natürlichen Person zurechnen lässt. Diese Regel greift in der Praxis selten.
Die Regierungsberichte geben keine Empfehlungen ab. Der Bundesrat sagte am Mittwoch nichts über einen allfälligen Handlungsbedarf und ordnete auch keine speziellen Prüfungen an. Er erklärte nur, dass die Entwicklungen im Ausland weiter verfolgt würden. Das Fazit daraus: Der Bundesrat sieht zurzeit keinen Anlass, die Schweizer Regeln zu ändern.