Soll die Schweiz analog zur EU bei den Russland-Sanktionen die rechtsstaatlichen Garantien einschränken? Nein, findet der Mitte-Politiker Beat Rieder. Auf den Sanktionslisten stünden auch Personen, die nicht darauf gehörten.
Vor zwei Jahren, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, hat sich der Bundesrat innert Kürze den Sanktionen der EU gegen Russland angeschlossen und unter anderem Einreise- und Vermögenssperren und Finanzmassnahmen eingeführt. Ob das angesichts der schwierigen Situation unausweichlich war, um international nicht in die Schusslinie zu geraten, oder ob die neutrale Schweiz eine andere, eigenständige Lösung hätte suchen müssen, darüber wurde zu Beginn heftig gestritten.
Inzwischen ist die EU beim 13. Sanktionspaket angelangt, und auch dieses wurde, wie die anderen zuvor, von Bundesrat Guy Parmelins Wirtschaftsdepartement letzte Woche übernommen. Die Schweiz ist bestrebt, die EU-Sanktionen peinlich genau umzusetzen. Die Sanktionsmaschinerie läuft routiniert, die Ukraine-Verordnung wird alle paar Wochen angepasst, zum Teil treten die Änderungen noch am selben Tag in Kraft. Hunderte von Personen und Unternehmen befinden sich mittlerweile auf den Listen.
Kritik am achten Sanktionspaket
Doch in der Schweiz sind nicht alle gewillt, sich mit diesen ausserordentlichen Verhältnissen einfach abzufinden und weiterhin darüber hinwegzusehen, dass das EU-Sanktionsregime, das die Schweiz mitträgt, auch Fragwürdiges enthält. Wortführer dieser Gruppe ist Beat Rieder, Walliser Ständerat der Mitte-Partei. Er befindet sich schon seit längerem im Clinch mit Bundesrat Guy Parmelin beziehungsweise dessen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das für die Sanktionen zuständig ist. Konkret stört sich Rieder, der als Anwalt und Notar tätig ist, am achten Sanktionspaket der EU gegen Russland, das der Bundesrat im November 2022 übernommen hat. Dieses verbietet unter anderem hiesigen Anwälten, russische Unternehmen rechtlich zu beraten, und das unter Strafandrohung.
Rieder ist nicht der Einzige, der das Verbot der Rechtsberatung kritisiert. Es gibt viele Juristen, die es für rechtsstaatlich fragwürdig, wenn nicht unhaltbar ansehen, dass man bestimmte Personen oder Firmen aus politischen Gründen auf Sanktionslisten setzt und ihnen dann den Rechtsschutz teilweise verweigert.
Im letzten Sommer forderte Rieder Bundesrat Guy Parmelin mit einer Interpellation dazu auf, die entsprechende Regelung bis im September aufzuheben. Seiner Ansicht nach verletzt das Verbot der Rechtsberatung die in der Verfassung statuierte Garantie auf rechtliches Gehör. Zudem sieht Rieder weder in der Ukraine-Verordnung noch im so grosszügig wie vage formulierten Embargogesetz eine genügende gesetzliche Grundlage, um Strafen auszusprechen. Für eine Sanktion brauche es ein klares unmissverständliches Gesetz, das lerne jeder Student im ersten Semester.
Der Wirtschaftsminister wollte das Problem zunächst vermittelnd aus der Welt schaffen. Er regte einen Austausch zwischen Rieder und den Verwaltungsjuristen an; diese erachten das Verbot der reinen Rechtsberatung als angemessen, weil die Vertretung vor Gericht erlaubt bleibt. Die Gespräche führten aber nicht zu der erhofften Annäherung. Und so doppelte der Walliser Mitte-Politiker am Montag in der kleinen Kammer mit einer Motion («Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen») nach.
Parallelen zu den schwarzen Listen der Uno
Die Debatte wurde am Montag aber noch nicht geführt, sondern das Geschäft erst zur Vorprüfung an die zuständige Parlamentskommission gewiesen. Dies auf Antrag des Genfer SP-Ständerates Carlo Sommaruga. Die Motion werfe komplexe juristische Fragen auf, die zuerst vertieft diskutiert werden müssten, ebenso wie die aussenpolitischen Implikationen, die bis zu einem Bruch mit der EU im Bereich der Russland-Sanktionen führen könnten, sagte Sommaruga.
Beat Rieder zeigte sich mit diesem Vorgehen zwar einverstanden, warnte aber davor, aus seiner Motion eine «weitere Untote» zu machen. Die erste Untote ist laut Rieder die seit 2009 im Parlament hängige Motion von Dick Marty, dem kürzlich verstorbenen freisinnigen Tessiner Politiker. Marty hatte in seinem Vorstoss die ominösen schwarzen Listen des Uno-Sicherheitsrates kritisiert. Wer auf einer dieser Sanktionslisten landet – vielleicht zu Recht, vielleicht aber auch wegen falscher oder dubioser Informationen –, wird mit Reise- und Vermögenssperren belegt und hat praktisch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren und vom weltweiten Paria-Status wegzukommen. Die rechtsstaatlichen Garantien fehlen weitgehend.
Die Parallelen der schwarzen Uno-Listen und des mangelhaften Rechtsschutzes zum EU-Sanktionsregime sind augenfällig. Es sei nicht so, dass die EU nur Russen aufliste, sagte Rieder im Plenum, bereits finde man auf den Listen auch ukrainisch-russische Doppelbürger. Die Kommission müsse das Geschäft nun sehr schnell beraten, denn irgendwann könne auch der erste Schweizer auf einer Liste auftauchen. «Wir werden sehen, ob Sie dann immer noch ruhig hier sitzen können und sagen werden, dass uns das nicht interessiert und wir diesen Personen die Rechtsberatung und die Rechtsverteidigung verweigern.»