Die Sängerin hat mit ihrem neuen Album-Cover für eine Kontroverse gesorgt. Sie bediene sexistische Stereotypen und schade dem Feminismus, lautet ein Vorwurf. Ihre Kritiker verstehen etwas falsch.
Das Internet hat einen Sexskandal. Verursacht von der Sängerin Sabrina Carpenter. Sie ist mit 26 Angehörige der Generation Z, von der es heisst, dass sie immer weniger Sex habe. Nun wenigstens reden alle darüber, und das seit Tagen.
Auslöser des Aufruhrs ist das Cover von Carpenters neuem Album, das Ende August erscheinen wird und das die amerikanische Sängerin in den sozialen Netzwerken angekündigt hat. Carpenter hat einst für Taylor Swift als Vorband das Publikum aufgewärmt. Inzwischen gewinnt sie selber Grammys und füllt Konzertstadien.
Auf besagtem Cover kniet Carpenter im engen, kurzen kleinen Schwarzen und in Highheels vor einem Mann im Anzug, sein Gesicht sieht man nicht. Der Mann zieht Carpenter an den Haaren, als führe er einen Hund an der Leine. Der Albumtitel «Man’s Best Friend» verstärkt die Assoziation. Mit erhitztem Gesicht, ein laszives Lächeln auf den roten Lippen, blickt Carpenter frontal in die Kamera. Ihr Blick signalisiert Wachheit, als sei sie durchaus Herrin der Situation.
Das Bild könnte aus der Werbung für einen gehobenen Sadomaso-Klub stammen. Sogar Humor lässt sich darin erkennen. Das Rollenspiel ist eindeutig. Doch dieses wollen viele Leute nicht sehen. Sie machen den direkten Bezug zur Wirklichkeit, künstlerische Mehrdeutigkeit hin oder her.
«Wirft die Emanzipation um Jahrzehnte zurück»
Seit die Sängerin den Post zu ihrem siebten Album Mitte Juni abgesetzt hat, hagelt es Kommentare, über 80 000 sind es bis jetzt allein auf Instagram. Die traditionellen Medien ziehen nach.
Das Cover sei entmenschlichend und entwertend, heisst es etwa. Es sei ein Hohn für alle Frauen, die häusliche Gewalt erleiden würden. Missbrauch werde so fetischisiert. Es wird auf den Rapper Sean «Diddy» Combs verwiesen, der wegen sexueller Gewalt an Frauen vor Gericht steht: Auf einer Videoaufnahme sieht man, wie er seine Ex-Freundin Cassie Ventura schlägt und an den Haaren durch den Hotelflur schleift.
Carpenter wird dafür kritisiert, dass sie #MeToo mit diesem Cover einen Bärendienst erweise. Ausgerechnet jetzt, da Donald Trump die Frauenrechte in den USA beschneide. Die Sängerin biedere sich dem männlichen Blick an, es gehe bei dieser Objektivierung der Frau allein um die Lust des Mannes. Und weiter: Ein solches Bild mache feministische Errungenschaften zunichte. «Das wirft die Emanzipation der Frau um Jahrzehnte zurück», tönt es noch dramatischer.
Daneben wird Carpenter aber auch für ihr Cover gefeiert. Ihre Fans halten es für ikonisch. Kunst eben. Sie sehen in ihr die Feministin, die tut, was ihr gefällt im Sinne einer Selbstermächtigung. Unfeministisch sei es hingegen, wenn Frauen anderen Frauen vorschrieben, was feministisch sei. Man sehe doch: Der Superstar geniesse die Sexualität. Und dies mit einem Augenzwinkern.
Sie liebt es selbstironisch
Sabrina Carpenter liebt es doppeldeutig, dabei macht sie sich auch über Männer lustig und über die eigene Schwäche für einen bestimmten Typus Mann. In ihrer ersten, bereits veröffentlichten Single des neuen Albums, «Manchild», singt sie von Männern, die Kind geblieben sind. «Ich schwöre, sie wählten mich, nicht ich sie», sagt sie und spielt die Unschuldige. Im Video sitzt sie mit Schweinen in der Badewanne und lässt einen Mann im Auto über eine Klippe stürzen.
In ihrem Hit «Please Please Please» schämt sie sich für ihre Liebesaffären, aber dies so vergnügt und unsentimental, dass man kein Mitleid hat. In Glitzerkleidchen inszeniert sie sich als Sexsymbol aus einer Zeit, in der das Pin-up-Girl noch in die Boulevardzeitung gehörte. Als Vorbilder nennt sie Brigitte Bardot und Dolly Parton.
Das Album-Cover zu «Man’s Best Friend» reiht sich in diese Selbstdarstellungen ein. Es drückt jene sexpositive Haltung aus, die viele Feministinnen befürworten. Sexpositiv bedeutet, dass jede Form von Sexualität bejaht wird. Jeder Mensch soll sich sexuell entfalten können, Normen sind zum Übertreten da. An Sexpositiv-Partys lautet das Motto: Alles kann, nichts muss. Zustimmung immer vorausgesetzt.
Phantasien lassen sich nicht zensieren
Die Retro-Ästhetik der Knienden mit der grossen Schlaufe am Kleid erinnert an Erotik-Thriller der achtziger und neunziger Jahre, «91/2 Weeks» mit Kim Basinger und Mickey Rourke oder «Basic Instinct» mit Sharon Stone und Michael Douglas. Filme, in denen es um eine ähnliche Erzählung ging: um Hingabe und Unterwerfung im Wechselspiel mit Dominanz und Macht.
Fotografiert hat Carpenters Cover der Modefotograf Bryce Anderson. Dieser spielt genauso gern wie sein Model mit Geschlechterrollen und Schönheitsidealen. Ein Einfluss der erotischen Fotografie von Helmut Newton und Terry Richardson ist erkennbar. Die Vulgarisierung des Sinnlichen, das Ausreizen des Verbotenen.
Dabei bietet diese Ästhetik gerade keinen Massstab für die gelebte Wirklichkeit. Stattdessen sind die Bilder Phantasien, die sich nicht um politische Korrektheit scheren. Das ist das Missverständnis: Sexuelle Phantasien lassen sich nicht zensieren. Versucht man es doch, besetzt man dafür umso mehr die Moral, wie jetzt viele Reaktionen zeigen.
Natürlich hat es Carpenter auf Provokation abgesehen. Sex ist gut für das Marketing. In einem Interview mit dem Magazin «Rolling Stone» sagte sie, wer sich über ihre anzüglichen Songs aufrege, würde oft mehr über sich selbst verraten und ihre Fixierungen. Ihre Kritiker liebten Sex offenbar: «Ihr seid besessen davon.» Falsch liegt sie nicht.