Ein Haus voller Geschichte und Geschichten lädt im Bäderquartier zur Einkehr ins Atrium. Und wer will, hat nur fünf Schritte bis zum Bett.
Da war also wieder einmal Valentinstag vergangene Woche, und alles in mir sträubte sich dagegen, meiner Liebsten Blumen zu schenken. Das tue ich zwar gerne, aber bevorzugt ohne konkreten Anlass und sicher nicht aufgrund des Imperativs einer geschäftstüchtigen Branche.
Diesmal aber führt uns eine Fügung just am besagten Tag zu viert zu einer Blume, nämlich ins gleichnamige Hotel in Baden. Und dass eine der Begleiterinnen auch noch Blumer heisst, macht den Strauss perfekt.
Das vor 603 Jahren erstmals erwähnte Gasthaus im Bäderquartier, das mit dem «mineralienreichsten Thermalwasser der Schweiz» wirbt, verströmt eine romantische Nostalgie. Das beginnt schon im Lift: Vor 125 Jahren wurde hier mit viel Planungsaufwand ein hydraulischer Aufzug eingebaut, den 1948 ein elektrisch betriebener ablöste. Er ist bis heute in Betrieb, mit dem Gitterkäfig des Urmodells als «Talstation». Bei einer Renovation wurde ein Fensterchen in die Kabine eingefügt, durch das wir ins 150-jährige Atrium blicken, in dem wir speisen werden.
Dieser Lichthof bietet Raum zum Atmen, man tafelt in unaufgeregter Atmosphäre an Tischchen, die auf zwei Etagen am Geländer der Galerie angeordnet sind. Gusseiserne Stützen reihen sich vor lachsfarbenen Wänden; der Ort ist aus der Zeit gefallen, fast wähnt man sich in einem Wes-Anderson-Film. Hollywoodstars sind hier allerdings noch nicht abgestiegen, dafür immerhin schon Hermann Hesse plus ein paar Bundesräte. Apropos Gäste: Ab und zu geht eine der mit roten Polstern schallisolierten Türen auf — von der Galerie aus gelangt man auch zu den 32 Hotelzimmern, jedes ist etwas anders gestaltet.
Die Brüder Silvio und Patrik Erne, in diesem Haus aufgewachsen und als Hoteliers ausgebildet, haben den Betrieb vor zwei Jahrzehnten von ihren Eltern übernommen. 1972 hatten diese das denkmalgeschützte Ensemble erworben. Es verbindet ein Stück Bäderarchitektur aus vorindustrieller Zeit mit einem Anbau aus der Biedermeier-Epoche und ist in den letzten Jahren laufend mit moderner Infrastruktur ausgestattet und renoviert worden. In frischem Glanz erstrahlt etwa der Belle-Époque-Saal, den Gruppen ab zehn Personen für Afternoon-Tea reservieren können.
Ein Haus voller Geschichten ist das, auch für True-Crime-Fans ist eine dabei: Vor knapp einem halben Jahrtausend wurde hier während eines Kuraufenthalts ein Adelsmann im Badehemd erstochen – womöglich vom «Blumenwirt», dessen Gattin der Gast zu offensichtliche Avancen gemacht haben soll. Aber wenden wir uns Appetitlicherem zu, beginnend mit dem Amuse-Bouche, Lachstatar auf Frischkäse-Mousse.
Statt des Fünf-Gang-Menus (Fr. 95.–) wählen wir à la carte. Der «Nüsslisalat Grossmutterart» (Fr. 19.–) könnte bei diesem Preis etwas grösser portioniert sein, und Dill gehört da für meinen Geschmack nicht wirklich hinein. Dafür passen die Brioche-Croûtons und der gewürfelte «Speck vom Thurgauer Apfelschwein» prima. Ein saftiges Kalbssteak (Fr. 52.–) ist ähnlich zubereitet wie eine Cotoletta alla milanese, wird aber begleitet von einer kräftigen Morchelsauce; dazu glasiertes Gemüse mit Biss und Butterspätzli mit Muskat-Note, die so fein sind, dass wir Nachschlag wünschen (verrechnet mit Fr. 8.–). Auch die knusprige Entenbrust mit Serviettenknödel (Fr. 46.–) wird sehr gelobt.
Und als Mitglied der Tafelgesellschaft zum Goldenen Fisch ist das Team um den Aargauer Küchenchef Lukas Rüfenacht diesbezüglich ebenfalls auf der Höhe. Das belegt das auf den Punkt gegarte Filet vom «Alpenzander» (Fr. 44.–), wohl aus der Zucht in Susten stammend und serviert auf formidablem Randenrisotto. Der als Dessert bestellte Pandorato (Fr. 30.– für zwei) erweist sich als warmer Panettone mit einem Kern aus Fior-di-Latte-Glace – eine Variation der sizilianischen Tradition, Brioches mit Gelato zu füllen.
Ebenfalls bemerkenswert ist die originelle Auswahl an einheimischen Tropfen. Der Ammonit vom hoteleigenen Rebberg in Wettingen etwa wird auch offen angeboten, die Neugierde aber treibt uns zum Cortipasso 2020 (Fr. 60.–): Der vordere Namensteil verweist auf die Cortis Schweizer Weine GmbH mit Sitz in Baden, eine Lieferantin des Hauses, der hintere auf die Zweitvergärung im Stil eines Ripasso. Diese Waadtländer Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Cabernet franc ist süffig, kommt aber nicht ganz an den aus Pinot noir gekelterten Rhy Passo der Baselbieter Kellerei Siebe Dupf heran.
Alles in allem bietet dieser einzigartige Ort zu vernünftigen Preisen ein stimmiges Gesamtpaket, ob am Valentins-, Mutter- oder an jedem anderen Tag.
Restaurant
Atrium
im Hotel Blume
Kurplatz 4, 5400 Baden
Telefon 056 200 02 00
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
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