Die ehemalige Nationalspielerin Nora Häuptle übernimmt in Sambia ein Team mit enormem Potenzial und einer belasteten Geschichte.
Nora Häuptle gehört zu den grössten Trainertalenten des Landes, und doch kennt man sie in der Schweiz vor allem als Fussballexpertin im SRF-Studio. Das liegt daran, dass die 41-Jährige einen unkonventionellen Karriereweg gewählt hat. Wenn im Sommer in der Schweiz die Europameisterschaft gespielt wird, wird die Ostschweizerin zwar ebenfalls an der Seitenlinie stehen. Doch über 2000 Kilometer weit weg: Sie wird das Frauen-Nationalteam von Sambia am Afrikacup in Marokko coachen. Es ist der erste Höhepunkt als Nationaltrainerin des südafrikanischen Landes; Erfahrungen auf dem afrikanischen Kontinent hat sie jedoch bereits in den vergangenen zwei Jahren als erfolgreiche Nationaltrainerin von Ghana gesammelt.
Diese Woche verbringt Häuptle in ihrem Schweizer Zuhause in Bern, sie wartet auf die Arbeitsbewilligung aus Sambia. Dass ihr Engagement auf grosses Interesse stösst, hat mit ihren neuen Spielerinnen zu tun: Racheal Kundananji und Barbra Banda gehören zur Weltelite, ihre Transfers in die amerikanische Profiliga haben Rekordablösesummen von mehreren hunderttausend Franken generiert – gewaltige Zahlen im Frauenfussball. Unter anderem aufgrund dieser beiden Spielerinnen sagt Häuptle, ein solches Jobangebot könne man gar nicht ablehnen.
Schwere Vorwürfe gegen den früheren Trainer
Dass Sambia in den letzten Jahren wiederholt in den Schlagzeilen war, hat jedoch auch einen dunklen Hintergrund. Die jüngsten Erfolge, die WM- und Olympiateilnahmen, wurden überschattet von gegen den Trainer Bruce Mwape gerichteten Vorwürfen sexueller Übergriffe. Diese wurden vor und an den WM 2023 von Spielerinnen erhoben.
Der sambische Fussballverband hatte bereits 2022 bestätigt, dass es Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs im nationalen Frauenfussball gebe, dass diese untersucht und an die Fifa weitergeleitet worden seien. Mwape hat ein Fehlverhalten stets bestritten. Häuptle weiss natürlich, dass diese Vorgeschichte Fragen aufwirft. Doch sie sagt, sie wolle sich kein Urteil erlauben, solange die Fifa-Untersuchung nicht zu einem Resultat gekommen sei. Sie betont, wie wichtig ihr Werte und Integrität in ihrer Arbeit seien.
Auch wenn sie nicht in Sambia weilt, hat die Schweizerin mitbekommen, dass die Medienresonanz auf den Trainerwechsel riesig war. Die Reaktionen hat sie als positiv wahrgenommen, doch aus diesen erwachse auch eine grosse Erwartungshaltung. «Das Interesse am Fussball hat in Afrika noch einmal eine ganz andere Dimension», sagt sie, «neben dem vielfach harten Alltag ist er ein Ventil. Die Menschen identifizieren sich stark mit dem Nationalteam.» In Sambia sind es vor allem die Fussballerinnen, die das Volk stolz machen. Dank ihren Erfolgen sind sie zum Aushängeschild des Landes geworden, noch vor den Männern.
So anspruchsvoll die Aufgabe wird, Häuptle ist gut vorbereitet. Sie hat in den letzten zwei Jahren als Nationaltrainerin von Ghana viel gelernt: über Afrika, aber vor allem über sich selbst. Etwa, nicht sofort emotional zu werden, wenn etwas für sie Unbegreifliches geschieht, sondern einen Moment lang zu prüfen, wie sie darauf reagieren will. Sie sagt dazu: «Die Balance halten inmitten von Volatilität.» Denn wer würde die Dinge zusammenhalten, wenn sie emotional nicht stabil bliebe?
Herausforderungen gibt es nach unseren westlichen Vorstellungen andauernd, es beginnt beim Zeitbegriff, der sich von unserem unterscheidet, geht über fehlendes Wasser bei den Duschen in der Kabine bis zu Spielerinnen, die sich die Heimfahrt mit dem Bus nach einem Training nicht leisten können.
Zu Beginn ihrer Zeit in Ghana als Chefin des Fussball-Ausbildungszentrums kam es vor, dass Ältere sie zur Seite nahmen. Eine Frau habe sie gefragt: «Hast du schon einmal ein Strassenschild gesehen hier in Ghana?» Häuptle überlegte und sagte, ausser ein paar Ampeln in der Hauptstadt eigentlich nicht. Die Frau sagte: «Du kommst hierhin und stellst zehn Signaltafeln auf und willst, dass alle diese respektieren. Aber die Menschen brauchen Zeit, um so viel aufnehmen zu können. Mach doch mal eine Tafel, und dann schaust du, dass diese wahrgenommen wird.»
Mit der Zeit fand die Trainerin den Mut zur Reduktion und ihre Rolle; sie konnte Leuchtturm sein, wenn es einen brauchte. «Das hat mir viel Ruhe und Souveränität gegeben», sagt sie.
In Ghana hat sie Demut gelernt
Je länger Häuptle erzählt, desto einsichtiger wird, warum sie am richtigen Ort ist. Sie hat erkannt, wie gross ihr Wirkungsgrad in einer Umgebung ist, die viel Entwicklungsbedarf hat. Das wäre in einem europäischen Verband mit gefestigten Strukturen anders. Die Sportwissenschafterin sagt von sich, sie sei gut darin, Potenzial zu erkennen und auszuarbeiten. In ihren Augen ist das Potenzial in Sambia riesig. «Mit dem, was ich kann, kann ich den Fussball einen Schritt weiterbringen», sagt sie.
Aber Häuptle scheut sich auch nicht, sich Unbekanntem auszusetzen. Im besten Fall reift man so nicht nur als Fussballlehrerin, sondern nimmt Dinge mit, die einen fortan begleiten. Neben vielen kleinen Sachen habe sie in Ghana Demut gelernt, sagt sie – also etwas ziemlich Grosses.
In den nächsten Wochen wird Häuptle durch Sambia reisen, wie sie das bereits vor zwei Jahren in Ghana gemacht hat. Sie will alles spüren: die Menschen, das Klima, den Fussball überall im Land. Vor ihrer Zeit auf dem afrikanischen Kontinent war sie kurz Nationaltrainerin in Israel. Dort habe sie viel zu früh Urteile gefällt, sagt sie heute. Auf dieser Reise will sie alle Sensoren offen haben, ohne zu urteilen.
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Nora Häuptle betreut als Kolumnistin auch Freizeitsportthemen in der NZZaS.