Allianz und SAP, aber auch Gesellschaften abseits der ausgetretenen Anlegerpfade beobachtet Jan Viebig als oberster Anlagestratege der Privatbank Oddo BHF. Und er sagt, was die Lehren von Altmeister Warren Buffett mit einem deutschen Hersteller von Kinderspielzeug zu tun haben.
Trotz hoher Energiekosten und der überbordenden Verwaltung finden sich in Deutschland gute Unternehmen. Selbst zuverlässige Wertsteigerer aus dem Segment der Small und Mid Caps sind trotz ihrer Erfolge oft unbeliebt und unterbewertet. Auch in der Schweiz wird manche Perle von den meisten Anlegern übersehen. Jan Viebig hat als Investmentchef von Oddo BHF grosse und kleine Unternehmen gleichermassen im Blick.
Schaut man auf den Dax, fällt eine Zweiteilung auf: Wenige grosse Unternehmen reüssieren, wie etwa SAP. Die meisten anderen hinken hinterher.
Ja, so eine Zweiteilung gibt es wirklich. Lassen Sie mich etwas ausholen. Deutschland leidet momentan an einer ganzen Reihe schwerwiegender Krisen. Da sind die hohen Energiekosten, aber auch der Verwaltungsaufwand, den Unternehmen betreiben müssen. Rund 20% der Arbeitszeit fliessen in die Bürokratie und schaffen keinen Wert. Deswegen meiden wir derzeit Unternehmen, die unter diesen Krankheiten leiden. Dazu gehören die energieintensive metallverarbeitende Industrie oder auch die Autobranche. Das zeigt ja auch der Dax: Der Rückgang der Gewinne der Autobranche belastet den Index. Wir investieren teils gar nicht in solche Branchen. Dazu kommt: Deutschlands Gewicht im MSCI Welt liegt unter 3%. Wir haben hierzulande eben keine Nvidia oder Broadcom geschaffen, keinen Tech-Riesen. Das lastet wie ein Mühlstein auf Deutschlands Potenzialwachstum, also dem langfristigen Wachstum: Die Kenngrösse liegt bei 0,4% – ein Drittel dessen, was wir früher hatten.
Eine Ausnahme ist SAP, ein deutsches Tech-Unternehmen, das sich auch in Ihren Fondsportfolios findet.
Stimmt. Bei SAP zum Beispiel ist das Betriebsergebnis im dritten Quartal währungsbereinigt um 28% gestiegen. Auch der Umstieg auf die Zukunftstechnologie Cloud hat sehr gut geklappt, der Cloud-Erlös kletterte im dritten Quartal währungsbereinigt um 27%. Das ist ein enormes Wachstum.
Wonach beurteilen Sie das künftige Potenzial von Unternehmen, beispielsweise bei SAP?
Das sind vor allem drei Faktoren. Erstens achten wir auf eine hohe Kapitalrentabilität. Zweitens schauen wir, ob Unternehmen strukturell wachsen, also unabhängig von der Entwicklung des Bruttoinlandprodukts. Das ist gerade jetzt in Deutschlands Wachstumstief wichtig. Und drittens muss eine Gesellschaft für uns Wettbewerbsvorteile haben, ganz im Sinne von Warren Buffett und seinem «Moat», dem Burggraben, der es für Konkurrenten schwierig macht, sich auf diesem Markt ähnlich erfolgreich zu positionieren. All das hat SAP. Und erst ganz am Schluss dieses Prozesses steht die Frage, ob das Unternehmen auch halbwegs vernünftig bewertet ist. Dann können wir investieren. Bei SAP sind wir schon seit Jahren dabei.
Trotz der Bewertung mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 40?
SAP ist sicher nicht mehr billig, aber weit entfernt von extremen Bewertungen. Es ist halt ein gutes Unternehmen zu einem vernünftigen Preis, wie Buffett es sagte und damit eine gute Anlage bezeichnete.
Auch Allianz findet sich in einigen Ihrer Fonds. Weil das auch eine Gesellschaft ist, die drei Viertel des Umsatzes ausserhalb Deutschlands erwirtschaftet?
Sie wollen mit Blick auf die Streuung ja nicht nur Technologieunternehmen in einem Portfolio, sondern auch solche aus anderen Branchen. Wichtig sind uns, wie gesagt, Gesellschaften mit hoher Kapitalrentabilität. Da gehört Allianz seit vielen Jahren dazu. Beispielsweise hat sich der operative Profit im vergangenen Quartal um gut 14% erhöht. Dann fragt man sich, was das Unternehmen macht mit diesem Geld. Im Fall von Allianz wird zum Beispiel regelmässig eine hohe Dividende ausgeschüttet. In der Summe ein gut geführtes und international aufgestelltes Unternehmen, das wir auch schon seit Jahren halten. Ein Brot-und-Butter-Investment, wenn Sie so wollen. Aber wir versuchen auch, nicht nur in die grossen Flaggschiffe zu investieren.
Eine Frage noch zu Allianz: In Verhandlungen mit Amundi wurde erörtert, die Fondstochter Allianz Global Investors mit dem deutlichen grösseren Vermögensverwalter aus Frankreich zusammenzulegen. Wäre das ein Werttreiber?
Asset-Manager stehen derzeit unter Druck, die Margen fallen. Also sind Grössenvorteile gefragt. Allerdings wäre es wichtig zu wissen, wie so ein Verkauf oder auch ein Zusammenschluss konkret aussehen würde. Um also auf Ihre Frage zu antworten: Es könnte ein Werttreiber sein, aber nicht der wesentliche.
Sie sind bei Tonies investiert. Die stellt kleine Boxen her, auf die Kinder spezielle Spielfiguren stellen, dann wird ihnen eine Geschichte erzählt. Spielzeug als Geldanlage?
Das ist ein Unternehmen, das wir nur in kleinen Gewichtungen in ausgewählten Fonds haben – aber sehr spannend, weil man dort sehen kann, wie künstliche Intelligenz in der Praxis genutzt wird. Ich habe selbst drei Kinder. Als sie kleiner waren, habe ich ihnen vorgelesen. Aber nicht alle haben dafür die Zeit oder die Musse. Die Toniebox könnte dann eine Möglichkeit sein, die Kinder zu unterhalten, weil die verwendete KI personalisierte Geschichten nach den Ideen der Kleinen erfindet.
Ein KI-Play, wenn man so will?
Zumindest ein schönes Beispiel dafür, wie KI wirken kann. Derzeit geht es bei dieser Technologie vor allem um vergleichsweise abstrakte Fragen: um gute Modelle, um Daten und Halbleiter. Die Investoren konzentrieren sich vor allem auf die Halbleiter. Tonies schafft nun abseits dessen einen konkreten Anwendungsfall, ein Produkt abseits des Mainstreams. Davon gibt es nicht so viele.
Ist diese Box ein Schloss mit Burggraben im Sinne von Buffett?
Wenn ich mich bei meinen Kindern recht erinnere, wollten sie immer genau das neue Spielzeug, das andere auch haben. Das ist in meinen Augen einer der Tonies-Treiber. Aber es ist kein einfaches Geschäft, weil zum Beispiel sichergestellt sein muss, dass durch die Geschichten der KI keine Markenrechte verletzt werden, etwa mit Storys über Batman.
Damit wäre Marvel nicht glücklich.
Genau. Ausserdem darf kein Inhalt erstellt werden, der für Kinder nicht geeignet ist. Und weil das eine fordernde Aufgabe ist, ist der erfolgreiche Umgang damit auch eine Art von Burggraben. Als wir bei einem Kurs um 4 € eingestiegen sind, gingen wir davon aus, dass die pessimistische Sicht des Marktes eines Tages revidiert werden würde.
Wenn wir einmal auf Schweizer Unternehmen schauen, findet sich bei Ihnen Accelleron. Sie produziert Turbolader für Schiffe und wartet sie auch. Wie zyklisch ist dieses Geschäft?
Das ist tatsächlich etwas, worüber man sich Sorgen machen kann. Allerdings profitiert Accelleron in unseren Augen vom strukturellen Wachstum des Handels und der Schifffahrt. Die zweite Frage oder Sorge ist die, ob Abgasturbolader sich eines Tages überholt haben werden. Accelleron ist bei dieser Technik weltweit führend. Würden Verbrennungsmotoren aber nicht mehr in der Schifffahrt verwendet werden, fiele ihr Geschäft weg. Doch auch diese Sorge ist übertrieben. Einer der Gründe für den starken Kursanstieg ist, dass die von Accellerons Turboladern beatmeten Motoren auch für alternative Treibstoffe wie Wasserstoff oder Methanol offenstehen. Die Gesellschaft ist also ein schönes Beispiel für Technologieoffenheit. Ausserdem wird der Wirkungsgrad der Motoren durch ihre Technik verbessert, weil so mehr Luft in der Brennkammern strömt. Also ein Unternehmen mit Produkten, die man viel länger brauchen wird, als der Markt es erwartet.
Das macht aber allein noch keine gute Aktie.
Genau, dazu müssen die Zahlen noch stimmen. Bei Accelleron beispielsweise steigt der freie Cashflow. Hinzu kommt: Wenn sich der Markt irrt und die Verbrennungstechnologie eben doch nicht obsolet ist, dann schafft das einiges an Aufwärtspotenzial.
Angesichts dieser guten finanziellen Situation: Was kann das Unternehmen damit machen? Zukäufe würden doch ins Leere laufen, da es schon Weltmarktführer ist.
Ich kann Ihnen sagen, was wir uns nicht wünschen: Zukäufe zum Beispiel. Besser wäre es, den Cashflow in das eigene Unternehmen zu investieren, um den Cashflow in der Zukunft zu steigern. Die zweitbeste Alternative wäre es, das Geld über die Dividende zurückzugeben oder in Aktienrückkäufe zu investieren.
Lassen Sie uns über Burckhardt Compression sprechen, die mit einer vermeintlich altmodischen Technologie – Kompressoren – ebenfalls erfolgreich unterwegs ist. 2023 wuchs der Umsatz fast 30%.
Das ist eine Schweizer Gesellschaft, ganz ähnlich wie Belimo, die wir in den Portfolios haben. Sie stellt Kompressoren etwa für Gasterminals oder die Wasserstoffmobilität her, ist dort führend. Wir sprachen vorhin ja über Buffett: Der fragt immer gern, wie stabil der Umsatz ist. Die Antwort bei Burckhardt Compression ist das Servicegeschäft, das einen bedeutenden Anteil des Umsatzes liefert. Deshalb wächst das Unternehmen stark und stabil. Wir halten die Aktien schon länger.
Länger, was heisst das?
Fünf Jahre aufwärts. Es sei denn, die Unternehmen machen Fehler. Ohne Namen zu nennen, zum Beispiel durch Sponsoring von Fussballspielern, durch viel Geld für Marketing, wodurch Kapital vernichtet wird. So etwas wollen wir nicht. Wenn eine Gesellschaft daher ihren Cashflow nicht mehr steigern kann, ist das ein Warnsignal.
Was bedeutet die schwache Baukonjunktur für Belimo?
`Belimo stellt Heizungstechnik und Klimaanlagen her, sie ist dort führend. Wenn man so will, ist das ein weiteres Beispiel für Energieoffenheit: Die Produkte sorgen dafür, dass Häuser die Energie effizienter nutzen. Dazu kommt: Belimo stellt auch viele Produkte für Rechenzentren her, ein Grossthema. Auch da schauen wir auf den Free Cashflow, der zuletzt auf 169 Mio. € gestiegen ist.
Haben Sie weitere Unternehmen im Portfolio, die am Boom der Rechenzentren verdienen?
Ja, seit langem zum Beispiel Schneider Electric. Der Markt kommt irgendwann darauf, dass mit dem Unternehmen auch das Thema Rechenzentren abgedeckt wird. Dazu sind Technologie und Expertise erforderlich, die Schneider bietet.
Lassen Sie uns abschliessend über die Aussichten von SDax und MDax sprechen. Ihre Renaissance wird seit Jahren berufen, aber zumindest derzeit dauert der Schwächezustand der deutschen Nebenwerte noch an.
Historisch gesehen haben Small und Mid Caps üblicherweise einen Preisaufschlag im Vergleich zu Blue Chips, weil sie ein höheres Wachstum aufweisen. Einen grossen Abschlag gab es vor allem 2004, dann wieder 2008 und eben derzeit. Also lautet die Frage, wo dieser Abschlag herkommt. Einer der Gründe ist die enorme Konzentration am Aktienmarkt. Die Wertentwicklung der grossen Indizes wurde von nur wenigen Unternehmen befeuert, im Dax etwa auch von SAP. Das verzerrt den Blick. Ausserdem dürfen sich die Finanzierungsbedingungen für die kleineren Gesellschaften in den kommenden Jahren wieder verbessern, dank der tendenziell fallenden Zinsen. Aus diesen Gründen schauen wir uns einige Unternehmen langsam wieder an.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wolters Kluwer, eine nicht mehr kleine Gesellschaft und relativ wenig beachtet. Sie erwirtschaftet langweiligen, guten Cashflow. So etwas sehen wir uns an. Unter anderem, weil wir davon ausgehen, dass das kommende Jahr volatiler wird.
Zur Person
Professor Jan Viebig
Jan Viebig ist CIO von Oddo BHF SE und Co-CIO der Oddo-BHF-Gruppe. In dieser Position überblickt er unter anderem die Anlagepositionen der Fonds des Hauses.