Christian Klein kann auf ein tolles Jahr 2024 zurückblicken. Der Manager hat SAP zum mit Abstand grössten deutschen Konzern gemacht, doppelt so wertvoll wie alle Autohersteller zusammen. Jetzt könnte das Wachstum den eigenen Erfolg an der Börse behindern.
SAP strotzt vor Kraft: Der Aktienkurs notiert auf Rekordniveau, und das «Handelsblatt» kürte den Konzernchef Christian Klein vor kurzem zum «Manager des Jahres 2024». Das sah vor viereinhalb Jahren im Oktober 2020 noch ganz anders aus. Der damals 40-jährige Klein musste die mittelfristigen Ziele kassieren. Daraufhin stürzte der Aktienkurs ab, und der Konzern aus Baden-Württemberg galt als Sanierungsfall.
Kleins Strategie war es unter anderem, SAP noch viel stärker vom Software-Anbieter für Geschäftsprozesse bei Unternehmen zum Cloud-Dienstleister umzubauen und fit für das Zeitalter der künstlichen Intelligenz (KI) zu machen. Die Strategie ging auf. Der Aktienkurs von Europas grösstem IT-Konzern hat sich seitdem verdreifacht. Die Früchte zeigten sich vor allem im starken vergangenen Jahr. Doch das bringt auch ein Problem mit sich: SAP ist für den deutschen Leitindex DAX zu gross. Deshalb wird seit längerem darüber spekuliert, ob SAP die Frankfurter Börse verlässt und nach New York übersiedelt.
Siegeszug der IT-Konzerne
Der Börsenwert des Weltkonzerns aus dem badischen Städtchen Walldorf beträgt derzeit 300 Milliarden Euro. SAP ist damit das teuerste an der Börse kotierte deutsche Unternehmen und doppelt so viel wert wie die vier Autokonzerne Mercedes-Benz, BMW, Porsche und Volkswagen gemeinsam. Auch die Nummern zwei und drei im DAX, Siemens und die Deutsche Telekom, kommen zusammen nur auf etwa die gleiche Marktkapitalisierung wie der Software-Konzern.
Für den SAP-Finanzvorstand Dominik Asam spiegelt die Entwicklung nicht nur den Unternehmenserfolg, sondern ist auch ein Resultat des wirtschaftlichen Umbaus, wie er am Dienstag bei der Präsentation der guten Geschäftszahlen für das vergangene Jahr sagte.
IT-Konzerne hätten heute einen viel grösseren Anteil an der Gesamtwirtschaft als noch vor mehreren Jahrzehnten. 1980 habe es beispielsweise mit IBM nur ein Unternehmen in den Top Ten der wertvollsten Börsenkonzerne gegeben. Im Jahr 2000 seien es mit Intel, Microsoft, Cisco Systems und Nokia bereits vier gewesen, und nun seien es acht, inklusive Tesla, das im Prinzip ebenfalls ein IT-Konzern sei.
Die Aktionäre von SAP können sich über die Entwicklung freuen, denn die Papiere haben allein im vergangenen Jahr rund 75 Prozent zugelegt, seit Jahresbeginn 2025 sind es bereits wieder gut 10 Prozent. Jüngst hatte auch die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump den Kurs befeuert, umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur für künstliche Intelligenz zu planen. Dabei sollen 500 Milliarden Dollar unter anderem in Rechenzentren fliessen. Da auch SAP immer stärker auf generative KI in seinen Geschäftsbereichen setzt, könnte das Unternehmen davon ebenso profitieren wie der amerikanische Konkurrent Oracle.
Deutsche Börse im Dilemma
Nutzniesser der Hausse der SAP-Aktien sind zugleich alle Anleger im DAX. SAP hat nämlich entscheidend dazu beigetragen, dass der Leitindex im vergangenen Jahr erstmals in seiner gut 36-jährigen Geschichte die Marke von 20 000 Punkten und kurze Zeit später von 21 000 Punkten geknackt hat. Doch inzwischen wird der Erfolg von SAP zum Problem für die Deutsche Börse – und dadurch auch wieder für SAP selbst.
Im DAX gibt es eine regulatorische Kappungsgrenze, die das Gewicht eines einzelnen Papiers im Index limitiert. Bis vor einem Jahr durfte ein Titel nicht mehr als 10 Prozent des Indexes ausmachen, dann erhöhte die Deutsche Börse den Schwellenwert auf 15 Prozent. Ein wichtiger Grund dafür war, dass mit dem Industriegase-Konzern Linde das damals wertvollste deutsche Unternehmen die Börsenkotierung in Frankfurt aufgegeben hatte und in die USA gewechselt war .
Ohne die Kappungsgrenze entsteht für Anleger ein Klumpenrisiko, wenn der Anteil eines Unternehmens am DAX immer grösser wird. Zudem dürfen einige Anbieter von Anlagefonds ein Unternehmen aus Risikogründen nur mit einem Gewicht von 10 Prozent in ihren Produkten gewichten. Deshalb war vielen Fondsgesellschaften schon die Erhöhung der Kappungsgrenze auf 15 Prozent ein Dorn im Auge. Derzeit erreicht SAP ein Indexgewicht von gut 16 Prozent.
Grosser Trend zur generativen KI
Doch der Deckel ist auch für die jeweiligen Unternehmen ein Problem. Würde beispielsweise das Indexgewicht eines Titels 20 Prozent ausmachen, dürften Investmentfonds dieses nämlich nur mit maximal 15 Prozent abbilden, was die Performance des Unternehmens bremsen und es gegenüber anderen Firmen benachteiligen würde.
Für die Deutsche Börse ist das ein Dilemma, in dem jedoch auch andere Börsenbetreiber stecken. So hat ASML, ein Anbieter von Maschinen für die Halbleiter-Branche, im niederländischen Index ein Gewicht von 20 Prozent und wird bei 15 Prozent gekappt. Und auch die Schweizer Börse kennt mit Nestlé, Roche und Novartis Mitglieder im Leitindex SMI mit einem sehr hohen Gewicht. Der SAP-Finanzvorstand Asam beschwichtigt jedoch derzeit insofern, als für die Kotierung auch andere Kriterien als die Kappungsgrenze wichtig seien. Entsprechend scheint eine Abwanderung von SAP zumindest nicht unmittelbar bevorzustehen.
Das könnte sich jedoch ändern, wenn SAP weiter mit den gegenwärtigen Raten wächst und sich dies auch weiter im Aktienkurs spiegelt. Für 2025 erwartet der Konzernchef Klein einen währungsbereinigten Anstieg der Erlöse im Cloud- und im Software-Geschäft von 11 bis 13 Prozent. Auch das Betriebsergebnis soll kräftig zweistellig zulegen – nicht zuletzt dank dem Trend zu KI. Davon dürfte auch SAP stark profitieren, denn das Unternehmen sieht sich als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Technologie. Bereits heute würden 34 000 der 400 000 Kunden KI-Anwendungen nutzen. Dieser Trend wird sich wohl noch sehr verstärken.
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