Eine Wirtschaftskrise, ein Volksaufstand und Versprechungen islamistischer Mullahs: Am 1. April 1979 wurde in Iran die Islamische Republik ausgerufen. Bis heute hält sie sich mit Gewalt an der Macht.
Als «Das Milliarden-Camping» bezeichnete seinerzeit die «Schweizer Illustrierte», was Schah Mohammad Reza Pahlevi im Jahre 1971 inszenierte, nämlich die 2500-Jahr-Feier der persischen Monarchie in der Nähe von Persepolis. Oft wird sie als der Anfang vom Ende der Herrschaft des Schahs gesehen. Dabei war sein Ziel gewesen, durch die Anknüpfung an die antike Dynastie der Achämeniden seine Legitimation als Herrscher zu stärken. Doch die eigene Bevölkerung war wie so oft ausgeschlossen.
Entsprechend waren als Gäste zu dieser prunkvollen Zeremonie nur ausländische Würdenträger geladen. Vor allem Diktatoren waren gut vertreten unter den Gästen, so das Ehepaar Tito aus Jugoslawien oder die Ceausescus aus Rumänien. Der Repräsentant Deutschlands, Gustav Heinemann, liess sich schlauerweise vertreten, aus gesundheitlichen und wohl auch innenpolitischen Gründen. Er hatte zunächst zugesagt, wurde dann aber mit Protesten der deutschen Linken überschüttet, so dass er termingerecht krank wurde.
Wenige Jahre zuvor, 1967, hatte der Besuch des Schahs in Berlin zu Protesten geführt, die der iranische Geheimdienst mit Attacken auf die Demonstranten beantwortete. Der Begriff des «Prügel-Persers» war geboren, bei einer Demonstration gegen den Schah wurde am 2. Juni der Student Benno Ohnesorg erschossen. Dieses Ereignis gilt als Initialzündung für die APO, die ausserparlamentarische Opposition, und damit als Beginn der achtundsechziger Revolte. Und es zeigte auch schon früh, wie iranische Studenten das Schah-Regime sahen.
Die enorme Verschwendung anlässlich der Feierlichkeiten in Persepolis provozierte Kritiker über alle ideologischen Grenzen hinweg. «Der Schah brachte jeden gegen sich auf», erinnert sich Abolhassan Banisadr, der spätere Präsident der Islamischen Republik, an die verhängnisvolle innenpolitische Wirkung: «Die Opposition war vereint in ihrer Ablehnung dieser Feier. Wirklich jeder, von der Linken bis hin zu Khomeiny in seinem Exil.»
Khomeiny äusserte sich lautstark aus dem Irak, wohin er einige Jahre zuvor wegen seiner Kritik am Schah hatte übersiedeln müssen. Er bezeichnet die Feier als «Festival des Teufels». Das verbrecherische System des Schahs habe das Volk ausgeraubt, um seine dekadenten Ausschweifungen zu finanzieren.
Die grosse Krise
Im selben Jahr nimmt die marxistisch-leninistische Guerillaorganisation Fedayin-e khalq, die eine anti-imperialistische Agenda verfolgt, ihren bewaffneten Guerillakampf gegen das Regime auf. Wenig später werden auch die Volksmujahedin verstärkt aktiv, die eine krude Mischung aus Islamismus und Marxismus vertreten. In den kommenden Jahren sterben bei zahllosen Angriffen Hunderte ihrer Kämpfer, in den Gefängnissen sitzen Tausende ihrer Mitglieder ein.
Bis 1978 vermag der Geheimdienst des Schahs, der Savak, die Organisationen zwar zu schwächen, nicht aber, sie zu vernichten. Der Savak ist in den siebziger Jahren die vermutlich wichtigste Säule des Regimes. Seine brutale Repression gegen jegliche Opposition nimmt so grauenerregende Ausmasse an, dass Amnesty International Mitte der siebziger Jahre konstatiert: «Kein anderes Land in der Welt steht, was die Wahrung der Menschenrechte betrifft, schlechter da als Iran.»
Im Herbst 1973 führt der Ölboykott der arabischen Staaten gegen die Länder, die Israel im Jom-Kippur-Krieg beistehen, zum explosionsartigen Anstieg der Ölpreise. Da sich Iran nicht an dem Boykott beteiligt, profitiert man von der Vervielfachung der Ölpreise. Der Schah investiert den neuen Reichtum in grossspurige Projekte. Doch das Land ist von der wirtschaftlichen Entwicklung überfordert.
Mitte der 1970er Jahre steckt Iran in einer Wirtschaftskrise. Es kommt zu kostspieligen Engpässen, korrupter Bereicherung, Investitionsruinen, einer galoppierenden Inflation von über fünfzig Prozent. Im Kaiserreich herrscht in den letzten Jahren vor der Revolution die ungerechteste Einkommensverteilung der Geschichte. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig.
Um den Dissens einzudämmen, ersetzt der Schah 1975 die beiden bestehenden Parteien durch die Einheitspartei Rastakhiz, die Partei der Auferstehung. Und fordert alle Iraner auf, ihr beizutreten – oder auszuwandern. Damit geschieht, was es bisher nicht gegeben hatte. Zuvor konnte man in Frieden leben, auch ohne dass man dem Schah unbedingte Loyalität bekundete. Immer stärkere Unzufriedenheit und Frust machen sich breit, besonders die Studenten fordern Mitbestimmung und Teilhabe. Sie verlangen die Abschaffung der Zensur, Meinungs- und Pressefreiheit und vor allem: einen Rechtsstaat.
Khomeinys Fatwa
Die wirtschaftliche Situation beruhigt sich nicht. Der Schah hält die anhaltende Inflation für das Werk von Spekulanten und initiiert im Sommer eine Kampagne gegen hohe Preise: Tausende junge Leute fallen im Auftrag der Rastakhiz in die Basare ein und verhängen Haftstrafen. Damit bringt der Schah den Basar gegen sich auf, den wichtigsten Player in Iran.
Von seinem Exil aus erlässt Khomeiny eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten: Die neue Partei, hält dieses fest, sei gegen den Islam und verstosse gegen die Verfassung. Eine weitere wichtige Einlassung kommt im September 1976 von ihm: Er verbietet, den kaiserlichen Kalender zu benutzen. Diesen hatte der Schah kurz vorher eingesetzt – zur Betonung altiranischer Grösse und in weiterer Hervorhebung der vorislamischen Zeit.
Bis dahin hatte der iranische Kalender mit Mohammeds Auswanderung nach Medina begonnen, also 622. Der neue setzt mit der Gründung des Achämenidenreiches im Jahre 559 v. Chr. ein. Plötzlich findet man sich im Jahr 2534 wieder. Das ist nicht nur ein Affront gegen die Geistlichkeit: Es trägt zur weiteren Entfremdung des Schahs von seinem islamisch geprägten Volk bei.
Diese rege Fatwa-Produktion Khomeinys ist ungewöhnlich. Seit seinem Exil in Najaf hatte er nur sehr wenige solcher Ansagen gemacht, sich seinen Studien gewidmet. Er war dadurch für viele zu einer Figur geworden, die zwar wegen des Aufstands von 1963, den er angeführt hatte, ein Symbol der Opposition gegen den Schah war. Aber mehr auch nicht. Er war nicht greifbar, weit entfernt.
Doch Khomeiny wird nun mit seinen Einlassungen zur rechten Zeit aktiv, hatte ein perfektes Timing. Denn im Verlaufe des Jahres 1976 zeigt sich unwiderruflich, dass der Schah die in ihn gesetzten wirtschaftlichen Hoffnungen nicht erfüllen kann. Um die Gemüter zu beruhigen, reduziert das Regime die Repression. Zuerst testet die säkulare Opposition, wie weit man gehen kann, und fordert dann Reformen.
Der Schah weint
Im August 1977 ersetzt der Schah den Ministerpräsidenten Amir Abbas Hoveyda deshalb durch Jamshid Amuzegar, was eine Wende andeuten soll – beides waren ältere Männer. Angesichts der untergeordneten Stellung des Ministerpräsidenten beeindruckt das Manöver kaum. Zudem terrorisiert der Savak wieder einmal die Opposition, was die bis dahin noch mit bescheidenen Forderungen auftretenden Oppositionellen noch mehr radikalisiert. Und nachdem im Juni 1977 bereits mit Ali Shariati ein gewichtiger Schah-Gegner im Londoner Exil unter mysteriösen Umständen gestorben ist, findet kurz darauf Khomeinys ältester Sohn, Mostafa, den Tod. Für viele Iraner kann nur der Savak dahinterstecken.
Der Tod Mostafas führt zu einer neuerlichen massiven Medienpräsenz Khomeinys: Am 26. Oktober informiert eine grosse Anzeige, dass die Trauerfeierlichkeiten in einer zentral gelegenen Teheraner Moschee allen offenstehen. Die Organisatoren, zwei Geistliche, überzeugen sowohl säkulare als auch religiöse Gruppen, dem Ereignis beizuwohnen. Erstmals nach langer Zeit werden wieder Segenswünsche für Khomeiny gerufen.
Und der nutzt das Momentum, um dem Ganzen eine weitere Dimension hinzuzufügen. In einer Dankesbotschaft an das iranische Volk sagt er, sie alle seien mit einem grossen Unglück konfrontiert, persönliche Tragödien seien daher nicht der Erwähnung wert. Er warnt davor, sich spalten und blenden zu lassen durch kürzlich erfolgte Lockerungen der Repression.
Als der Schah am 15. November in die USA reist, ist das gesamte Spektrum der Opposition bereit: Sie will die Gelegenheit nutzen, um auf die Menschenrechtsverletzungen des Regimes aufmerksam zu machen. Sogar Irans Staatsfernsehen zeigt die Demonstrationen vor dem Weissen Haus. Man sieht Irans Herrscher, wie er versucht, sich vor dem Tränengas zu schützen, das gegen die Protestierenden eingesetzt worden ist. Er weint. Der einst allmächtige Schah wirkt auf einmal gar nicht mehr so mächtig. Der Wind hat sich ganz gewaltig gedreht.
Dass sich Jimmy Carter dann Ende 1977 beim in Teheran verbrachten Silvesterbankett demonstrativ hinter den Schah stellt, ist für Mohammad Reza Pahlevi angesichts der in ihrer Amerikakritik geeinten Opposition keine Hilfe. Die gesamte Opposition sieht im Schah einen Vasallen der USA, der Washingtons Interessen über die Irans stellt.
Carters Toast
Zum Hohn der Regimegegner sagt Carter bei seinem Toast auf den Schah: «Iran ist dank der grossartigen Staatsführung des Schahs eine Insel der Stabilität in einer der problemreichsten Regionen der Welt. Eure Majestät, das ist Ihrem Einsatz geschuldet, und es ist eine grosse Anerkennung für Ihre Staatsführung und den Respekt und die Liebe, welche Ihnen das iranische Volk erweist. Es gibt keinen Staatsführer, dem ich mehr verdanke.»
Manche sagen, diese Aussage habe den Schah so übermütig gemacht, dass er sich zu seinem nächsten strategischen Fehler habe hinreissen lassen: Am 7. Januar 1978 erscheint in einer der Regierung nahestehenden Zeitung ein Schmähartikel über Khomeiny. Der Artikel nennt Khomeiny einen reaktionären Geistlichen, der sich von ausländischen Mächten habe bestechen lassen. Er wird als politischer Opportunist bezeichnet, der die feindlichen Pläne kommunistischer Verschwörer umsetzen wolle.
Die Urheberschaft des Artikels ist bis heute nicht geklärt, der Autor dürfte aber im Umkreis des kaiserlichen Hofes zu finden sein. Und es ist ein dummer Schachzug. Jahrelang hatte der Propagandaapparat des Regimes nichts unversucht gelassen, die pure Existenz Khomeinys zu leugnen. Man sorgte dafür, dass er in Vergessenheit geriet. Nun erinnern sich plötzlich wieder Leute an ihn, die ihn nahezu vergessen haben.
Für Khomeiny erweist sich der Schmähartikel als ein Geschenk des Himmels. Jetzt äussern sich sogar die Granden Qoms zu seinen Gunsten, die sich bisher hatten heraushalten wollen und Khomeiny in den sechziger Jahren kritisch gegenüberstanden: Grossayatollah Shariatmadari fordert sogar eine Entschuldigung. Doch stattdessen dringen Sicherheitskräfte in seine Schule ein, verprügeln die Studenten und verletzen zwei von ihnen so schwer, dass sie ihren Verletzungen erliegen.
Es kommt daraufhin in Qom zu Protesten, die sich schnell zu Unruhen ausweiten. Das Militär löst am 9. Januar die Demonstrationen gewaltsam auf, indem es in die Menge schiesst. Damit beginnt in Iran die Periode gewaltsamer Demonstrationen.
Die Sprache des Volkes
Neben der säkularen Opposition wird nun die religiöse gegen den Schah aktiv: Sie ist gegenüber der säkularen klar im Vorteil. Sie kann auf ein landesweites Netz aus Moscheen zurückgreifen. Mit Khomeiny hat sie noch dazu einen Führer, der sich im Ausland befindet, fern vom Zugriff der Regierung also. Seine Anhänger besuchen den Ayatollah, empfangen seine Anweisungen und nehmen seine Predigten auf Kassetten auf.
Diese werden im ganzen Land verbreitet. Moscheen sind der Staatsgewalt weitgehend entzogen, sind sie doch ein etablierter Versammlungsort: Sich hier zu treffen, ist anders als bei grösseren Versammlungen von säkularen Oppositionellen nicht weiter auffällig. Auch deshalb schliessen sich die anderen Regimegegner den Gefolgsleuten Khomeinys an.
Obschon diese Revolution als islamische Revolution in die Geschichte eingehen wird, war der Impetus nicht islamisch. Es gab keine islamische Idee, sondern nur eine antiimperialistische. Und es haben auch keineswegs nur die religiösen Kräfte zu ihrem Erfolg beigetragen. Im Gegenteil: Der Anteil der bürgerlich-nationalistischen Opposition ist beträchtlich, vor allem zu Beginn. Sie hat sich allerdings nicht durchsetzen können. Doch wie immer und überall: Der Sieger bestimmt das Narrativ.
Die Massen allerdings werden in dieser Revolution tatsächlich von Khomeiny und den Seinen mobilisiert – von denen sich jedoch im Verlauf viele gegen ihn wenden werden, wie Ayatollah Taleghani. Die Mullahs sprechen die Sprache, die das Volk versteht, eine Sprache, die religiöse Bilder benutzt, um Unterdrückung anzuprangern. Sie wird besser verstanden als Vokabeln wie Proletariat, Klassenkampf oder auch Demokratie und Rechtsstaat. Die Mullahs sprechen vom Leiden Imam Husseins durch Yazid, von der Geschichte des Prophetenenkels also, der im siebten Jahrhundert gegen die feindliche Übermacht verlor – als Gerechter im Kampf gegen die Ungerechtigkeit.
Jeder Schiit weiss, wer gemeint ist, wenn Khomeiny vom Yazid unserer Zeit spricht. In jeder Demonstration wird dieser Satz tausendfach wiederholt. Ebenso wie ein anderer Satz, den Khomeiny seinen Gefolgsleuten mit auf den Weg gegeben hatte: «Shah bayad beravad», der Schah muss gehen. Khomeiny kennt keine Kompromisse, seine Position ist die radikalste von allen. Alle Vermittlungsversuche und Angebote der Schah-Regierung weist er zurück mit dem einen Satz: «Shah bayad beravad!»
«Wenn ihr uns tötet, tötet ihr euch selbst»
Nach schiitischem Brauch gedenkt man der Toten am vierzigsten Tag nach ihrem Tod. Die Opposition nutzt diesen Brauch, um zu Protesten aufzurufen. Diese Aufrufe werden am 18. Februar in mehreren Städten befolgt. In Täbris wird dabei eine neue Dimension von Unruhen erreicht. Viele kommen um. Der Schah reagiert mit der üblichen Verdammung aller Demonstranten und ihrer Anliegen.
Am 29. März, nach weiteren vierzig Tagen, gedenken die Menschen der Toten des 18. Februar. In 55 Städten kommt es zu Protesten, es sind hohe Opferzahlen zu beklagen. Die Demonstrierenden stellen sich ihnen unbewaffnet entgegen, mit dem Koran und einer Tulpe in der Hand. «Wenn ihr uns tötet, tötet ihr euch selbst», rufen sie. Die Unruhen wiederholen sich zyklisch.
Der Geheimdienst reagiert. Er verübt Bombenanschläge auf Vertreter der gemässigten Opposition, auf Grossayatollah Shariatmadari beispielsweise. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass der Savak die Lage nicht mehr unter Kontrolle hat. Am 19. August brennt das Kino Rex in Abadan nieder, mindestens 420 Tote sind zu beklagen.
Khomeiny sowie Mehdi Bazargan und Karim Sanjabi, führende Politiker der Freiheitsbewegung und der Nationalen Front, beschuldigen die Regierung, für die Brände verantwortlich zu sein, um die Opposition «in ein schlechtes Licht zu setzen». Das stellt sich zwar später als falsch heraus, es waren wohl tatsächlich Geistliche. Doch mit dem Brand ist ein weiterer Wendepunkt erreicht. Noch mehr national gesinnte Oppositionelle stellen sich hinter Khomeiny.
Die Lage gerät jetzt vollends ausser Kontrolle, und der Schah hat offensichtlich kein Konzept, wie sie noch zu beruhigen ist. Der Ministerpräsident Amuzegar reicht seinen Rücktritt ein. Sein Nachfolger wird Jafar Sharif-Emami (1910–1998). Zu den Demonstrationen kommen nun Streiks hinzu, insbesondere in der Ölindustrie. Das Land ist lahmgelegt.
«Ein Schah mit Turban»
Am 8. September kommt es auf dem Teheraner Jaleh-Platz zu einem Massaker an Demonstranten. Der Tag geht als der schwarze Freitag in die iranische Geschichte ein. Im Oktober stellt sich auch die Nationale Front als ganze hinter Khomeiny als Revolutionsführer, aus taktischen Erwägungen. Dass er die Herrschaft anstrebt, kann sich keiner vorstellen. Von nun an treten die gesamte säkulare und die religiöse Opposition geschlossen auf.
Die iranische Regierung übt unterdessen Druck auf den irakischen Präsidenten aus, damit er Khomeiny zum Schweigen bringt. Doch der hat schon beschlossen, eher das Land zu verlassen, als seine Anti-Schah-Statements einzustellen. In dieser Situation macht Frankreich das Angebot, ihn aufzunehmen – was sich letztlich für ihn als Glücksfall erweist. Hier können ihn seine Anhänger aufsuchen, und er kann frei mit den Medienvertretern der westlichen Welt reden. Der 67-jährige Geistliche kommt am 12. Oktober in Paris an.
Dort gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit der gesamten internationalen Presse auf sich zu ziehen. Der Buchautor Amir Taheri zählt in den wenigen Monaten von Khomeinys Aufenthalt in Neauphle-le-Château 132 Rundfunk-, Fernseh- und Presseinterviews. Khomeiny gibt sich liberal und weltoffen, garantiert Freiheitsrechte und Demokratie. Unter einem Apfelbaum sitzend, gilt er als der iranische Gandhi. Nur wenige sehen in Khomeiny eine Gefahr für eine demokratische Entwicklung Irans. Einer von ihnen ist Mehdi Bazargan, der Gründer der Freiheitsbewegung. Er soll nach seinem ersten Besuch bei Khomeiny gesagt haben: Das ist ein Schah mit Turban.
Im Herbst 1978 kommen im Sinne der Revolution immer mehr verheissungsvolle Nachrichten aus Iran: Der Ministerpräsident Sharif-Emami tritt zurück, es wird eine Militärregierung eingesetzt, General Azhari ist genauso hilflos wie sein Vorgänger, kann die Lage nicht beruhigen. Im Dezember beginnt der Monat Muharram, der wichtigste im schiitischen Kalender. Millionen Menschen ziehen landesweit durch die Strassen und fordern das Ende der Diktatur.
Im Dezember steht fest, dass auch die Militärregierung gescheitert ist. Der Schah versucht, eine Koalitionsregierung zu bilden, findet aber keinen Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten, der sich noch Chancen für eine Vermittlung ausrechnet. Schliesslich erklärt sich Shahpur Bakhtiar, ein Mitglied der Nationalen Front, bereit. Er besteht zwar darauf, dass der Schah das Land verlässt, fordert aber nicht, dass er abdankt. Die von der Ernennung Bakhtiars erhoffte Vermittlung beziehungsweise Spaltung der Opposition tritt jedoch nicht ein. Die Proteste gehen weiter.
Schweigen aus den USA
Mit den Worten «Ich bin müde und brauche eine Pause» verlässt Mohammad Reza Pahlevi am 16. Januar 1979 Iran Hals über Kopf. Er steuert die Boeing 727 selber, um neben seiner Frau zwölf Rennpferde vor dem Volkszorn in Sicherheit zu bringen.
Der Bevölkerung drängen sich zunächst Parallelen zu den Geschehnissen von 1953 auf: Auch damals war der Schah geflohen, vor seinem Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh. Er wurde jedoch wenig später von den Amerikanern wieder installiert. Dass die Amerikaner der Absetzung ihres Vasallen so einfach zusehen würden, scheint undenkbar. Doch die USA greifen nicht ein. Sie reagieren überhaupt nicht.
Während der vom 4. bis 7. Januar 1979 stattfindenden Konferenz von Guadeloupe hatten der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing, der britische Premierminister James Callaghan, Bundeskanzler Helmut Schmidt und US-Präsident Jimmy Carter beschlossen, dem Schah ihre Unterstützung zu entziehen. Und Khomeiny die Rückkehr nach Iran zu ermöglichen. Dieser betritt am 1. Februar iranischen Boden. Die Revolution hatte gesiegt – und frisst seitdem ihre Kinder und Kindeskinder.
Katajun Amirpur ist Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Köln. 2023 veröffentlichte sie im Beck-Verlag «Iran ohne Islam: Der Aufstand gegen den Gottesstaat».
Die grossen Revolutionen
rib. Revolutionen prägen die Geschichte und verändern die Welt. Aber wie laufen sie ab? Was braucht es, damit sie ausbrechen? Was macht sie erfolgreich, was bringt sie zum Scheitern? Und welche Nebenwirkungen haben sie? In einer Reihe von Artikeln werden in den kommenden Wochen ausgewählte Revolutionen erzählt und die Frage gestellt, welche Folgen sie hatten. Am 23. August schreibt der Historiker Andreas Rödder über die deutsche Wende 1989.