Die 90-tägige Aussetzung der «reziproken» Zölle für 75 Länder, allerdings ohne China, wurde von den Finanzmärkten erzwungen, dürfte aber nicht zu einem grundlegenden Umdenken der Trump-Regierung führen. Es sind höchstes einige taktischen Schwenker zu erwarten.
US-Präsident Donald Trump will Amerika wieder reich machen und eine mutmassliche unfaire Behandlung der USA durch ihre Handelspartner beenden. Dazu sollen mit Hilfe von hohen Zöllen die inländische Industrie gestützt und so Arbeitsplätze in grossem Stil vom Ausland in die USA zurückgeholt werden.
Zudem soll es dadurch zu billionenschweren Investitionen ausländischer Konzerne in den USA kommen. Als Nebeneffekt würden dann gemäss Trump die Güterpreise und damit die Inflation in den USA fallen, da mehr im Inland produziert wird. Die Kapitalflüsse in Richtung Amerika würden zudem die Nachfrage nach US-Staatsanleihen erhöhen und so die Verzinsung langfristiger Staatsanleihen nach unten drücken. Zudem soll der Dollar abgewertet werden, um die Exportfähigkeit der US-Industrie weiter zu stärken.
Widersprüche und Paradoxien in der Trump-Politik
Diese energische Stossrichtung von Präsident Trump und seinem Team ist aus Sicht der amerikanischen Bürger und insbesondere auch der seit langem darbenden Fabrikarbeiter sehr löblich. Allerdings führt der Trump’sche Wanderweg durch ein Fantasia-Land zu Widersprüchen und Paradoxien. Dazu einige sich aufdrängende Fragen:
- In den USA herrscht derzeit Vollbeschäftigung. Wer soll all die Automobile, Waschmaschinen, Mikrochips und vieles mehr herstellen? Insbesondere wenn gleichzeitig seit Jahrzehnten günstig arbeitende Immigranten aus dem Land geschafft werden sollen?
- Wieso sollten die Preise für Güter fallen, wenn sie von teuren US-Arbeitern und Gewerkschaftsmitgliedern produziert werden und nicht mehr von zehnmal günstigeren Arbeitskräften in China oder Vietnam?
- Wieso sollte der Dollar fallen, wenn massiv Kapital in Form von Investitionen in die USA fliesst?
- Und wieso sollten die Zinsen langfristiger US-Staatsanleihen fallen, wenn die Inlandteuerung steigt und gleichzeitig China und andere Länder ihre US-Treasuries abstossen, weil sie keine Handelsbilanzüberschüsse mehr haben?
Die Antworten auf diese Fragen sind ganz einfach: Das «Make America Wealthy Again»-Projekt von Donald Trump und seinem Finanzminister Scott Bessent ist so nicht einmal annähernd umsetzbar.
Insbesondere würde eine Substitution billiger importierter Produkte durch teure im Inland hergestellte Produkte lediglich dazu führen, dass der amerikanische Konsument real gesehen massiv schlechter dastehen wird als heute. Hier sollte man sich nicht von möglichen nominalen Lohnerhöhungen oder Steuersenkungen blenden lassen. Was letztlich zählt, sind die realen Güter (in Stückzahlen), die den Bürgern zur Verfügung stehen, völlig unabhängig vom absoluten Lohn- oder Preisniveau.
Letztlich kommt durch die angestrebte Inlandproduktion die bisherige Güterversorgung im Überfluss – ermöglicht dank billiger Produktion in China und anderen Ländern – ins Stocken, und der Lebensstandard in den USA sinkt. Der durchschnittliche US-Bürger wird weniger Güter und auch Dienstleistungen zur Verfügung haben als bisher. Daran ändert, wie erwähnt, auch ein allenfalls nominell höheres Lohnniveau nichts.
China hat somit in den vergangenen 40 Jahren den USA seine Arbeitskräfte fast gratis zur Verfügung gestellt. Peking sollte eigentlich die aktuellen Entwicklungen begrüssen und als Chance sehen, seine günstigen Produkte im Inland vermehrt selbst zu konsumieren und damit den eigenen Wohlstand und nicht jener der USA zu erhöhen.
Der überraschend heftige Anstieg der Rendite zehnjähriger Treasury Notes auf zeitweise 4,6% vor einer Woche bestätigt zudem eindrücklich, dass die abstruse Handels- und Wirtschaftspolitik der Trump-Regierung bereits jetzt in eine äusserst gefährliche ökonomische Schieflage führt, die Bondrenditen steigen lässt und damit genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was das US-Finanzministerium eigentlich möchte.
Zinsanstieg trotz schwachen Aktienmärkten
Dieser Zinsanstieg erfolgte trotz gleichzeitig sehr schwachen Aktienmärkten. In diesem Umfeld hätte es eigentlich zu einer «Flucht in Qualität» und damit fallenden Zinsen kommen müssen. Diese Divergenz ist ein ernsthaftes Warnsignal bezüglich der strukturellen Integrität der US-Kapitalmärkte: Der Treasury-Markt, der weltweit wichtigste Finanzmarkt überhaupt – viel wichtiger als der Aktienmarkt –, scheint seine «Safe Haven»-Funktion zu verlieren.
Die Gründe dafür sind einerseits ein allgemeiner Vertrauensverlust der Investoren in die Nachhaltigkeit der US-Staatsfinanzen und die damit verbundene explosive Staatsverschuldung. Aber das ist nicht das Hauptproblem, sondern: Wenn die Staatsausgaben nennenswert reduziert werden, kommt es in der US-Wirtschaft sehr schnell zu einer Rezession und damit zu einbrechenden Steuereinnahmen. Und dies führt dann zu einer noch stärker steigenden Staatsverschuldung. Ein kaum zu lösendes Problem für Finanzminister Bessent.
Andererseits erzwangen die kollabierenden Aktien- und High-Yield-Bondmärkte eine Auflösung spekulativer Positionen und Margin Calls und damit einem Liquiditätsengpass im US-Finanzsystem, der eben auch auf die Treasury-Märkte überschwappte.
Dabei kam es offenbar auch zu Verkäufen von ausländischen Besitzern von US-Staatsanleihen. Hier wurde unter anderen die grosse japanische Norinchukin Bank genannt, die offenbar versucht, eine Spekulationsposition in US-Treasuries in der Grössenordnung von 68 Mrd. $ zu verkaufen, um ihre Bilanz zu stabilisieren.
Insgesamt verkaufen also sowohl inländische wie auch ausländische Besitzer von US-Staatsanleihen ihre Positionen und treiben damit die Zinsen in die Höhe. Der gleichzeitig schwächere Dollar bestätigt einen Kapitalabfluss aus den USA. Immerhin scheinen ausländische Zentralbanken im Moment noch nicht grössere Mengen ihrer US-Staatsanleihen zu verkaufen. Das kann sich aber schnell ändern, insbesondere wenn Trump keinen Zoll-Deal mit China findet.
Zinsen steigen, wenn sie eigentlich fallen müssten
Die Lage dürfte sich nun aber kurzfristig beruhigen. Die Märkte sind stark überverkauft. Viel Negatives ist eingepreist. Zudem steigt die globale Liquidität derzeit deutlich an. Die chinesische Zentralbank schiesst Liquidität ein, und das Schatzamt in den USA emittiert derzeit viele kurzfristige Staatsanleihen (T-Bills), was den Liquiditätspool erhöht. Zudem dürfte das Fed bereitstehen, allfällige weitere Unruhen am Bondmarkt mit einem massiven Kaufprogramm (Quantitative Easing, QE) zu dämpfen.
Aber die in den vergangenen Tagen erlebten Verwerfungen belegen ein langfristiges, strukturelles Problem im Markt für amerikanische Staatsanleihen. Es bleibt damit bei der Tatsache, dass seit kurzem die Zinsen für 10-jährige Treasuries massiv ansteigen in einem Marktumfeld in dem sie eigentlich deutlich fallen müssten.
Wenn in absehbarer Zeit, nach der voraussichtlichen Aufhebung der US-Schuldenobergrenze im Juni, wieder eine Flut von neu emittierten Treasuries die Märkte überschwemmt, wird es wieder turbulent werden. Die US-Notenbank wird dann im grossen Stil Staatsanleihen aufkaufen müssen, um einen unkontrollierten Zinsanstieg zu verhindern.
Beat Thoma
Beat Thoma ist Chief Investment Officer und Leiter des Investment Office bei Fisch Asset Management in Zürich. In seiner Rolle ist er verantwortlich für die Erarbeitung und Umsetzung der Anlagepolitik. Vor seinem Eintritt bei Fisch Asset Management im Jahr 2000 war er 14 Jahre lang bei der UBS und der Security Pacific Bank in Genf verantwortlich für den Handel und Verkauf von Wandelanleihen. Thoma publizierte Research zu Börsenzyklen sowie zwei Bücher zur Chaostheorie und dynamischen Systemen an den Finanzmärkten. Er verfügt über einen Abschluss in Mathematik und Ökonomie der Universität Zürich.