Wieder duellieren sich Jagd-Lobbyisten mit Naturschützern. Doch für einmal geht es nicht um den Wolf.
Ein schwarzer Stier ziert das Wappen des Kantons Uri. Er trägt einen roten Nasenring und streckt trotzig die Zunge heraus. Als habe er geahnt, dass er dereinst als kantonales Lieblingstier abgelöst wird.
Bei den Urnerinnen und Urnern steht derzeit ein anderes Tier im Fokus: das Alpenschneehuhn. Es sieht genau so aus, wie sein Name verspricht – rundlich, ganz in Weiss. Das Schneehuhn lebt in kühlen Höhenlagen, meist im Norden, in Mitteleuropa nur noch in den Alpen. Hierzulande darf man es nur noch in den Kantonen Graubünden, Wallis und Uri jagen. Aber wie lange noch?
In Uri will das eine Volksinitiative ändern. Hinter ihr stehen Tierschützer sowie linke und freisinnige Lokalpolitiker. Mit der sogenannten Schneehuhn-Initiative fordern sie ein Jagdverbot. Für eine Volksabstimmung wären 600 Unterschriften nötig gewesen, die Initianten sammelten 1770.
Das Schneehuhn gehört zum Kanton Uri. Es ist Namensgeber eines 2773 Meter hohen Berges, des Schneehüenerstocks mit seinem Schneehüenerstock-Express und dem Panoramarestaurant Schneehüenerstock.
Entsprechend beschäftigt die Abstimmung in Uri. Mitglieder des Urner Jägervereins gründeten ein Nein-Komitee, die Umweltschutzorganisation WWF veranstaltete öffentliche Vorträge mit Expertinnen und Experten, die «Urner Zeitung» druckte zahlreiche Leserbriefe ab.
In einem davon schrieb ein Leser Anfang April von einer «Angelegenheit des Herzens». Ein anderer bemühte ein Wortspiel und fragte: «Schiessen wir den Vogel ab?» Die Antwort folgt am 18. Mai. Dann entscheidet die Stimmbevölkerung über die Vorlage.
Bestand um 13 Prozent gesunken
Die Befürworter des Jagdverbotes argumentieren, das Alpenschneehuhn sei gefährdet. Es leide unter den Folgen des Klimawandels und müsse geschützt werden. Das Schneehuhn zu jagen, sei folglich «nicht mehr zeitgemäss», schreiben die Initianten auf ihrer Website.
Die Jäger widersprechen. Die Jagd komme dem Schutz der Tiere zugute. Der Altpräsident des Urner Jägervereins Sepp Hürlimann schreibt in einem Kommentar in der «Urner Zeitung»: «Die Jagd liefert wertvolle Daten für das Monitoring und hilft, die Bestände langfristig zu beobachten und zu verstehen.»
Sicher ist: Die Zahl der Abschüsse hat abgenommen. 2005 wurden schweizweit 1666 Schneehühner geschossen, 2023 waren es noch 837. Im Kanton Uri sank der Wert von 93 auf 18.
Die Urner Regierung empfiehlt, die Vorlage abzulehnen. Laut ihrer Einschätzung ist der Bestand stabil. Ein Zusammenhang zwischen Abschusszahlen und Population sei nicht nachgewiesen. Sollte die Zahl der Tiere dennoch sinken, könne man die Vorschriften anpassen – etwa, indem man die derzeitige Limite von drei Tieren pro Jäger vorübergehend senke.
Doch es ist unklar, wie genau sich die Schneehuhnbestände entwickelt haben. Die Initianten sprechen von einem Rückgang. Laut Livio Rey von der Stiftung Schweizerische Vogelwarte zeigen Paarungszählungen zwischen 1995 und 2018, dass sich die Population der Schneehühner um 13 Prozent reduziert hat.
Laut Rey gilt das Schneehuhn als «potenziell gefährdet». Es ist also noch nicht «bedroht». Er geht davon aus, dass in der Schweiz zwischen 12 000 und 18 000 Paare leben. Genauere Zahlen gibt es nicht. Schneehühner lassen sich laut Rey wegen ihres Lebensraums nur schwer zählen.
Das Schneehuhn buddelt Höhlen
Im Gegensatz zu den meisten anderen Vögeln fliegt das Alpenschneehuhn im Winter nicht in den Süden. Es bleibt in den kargen Alpen oberhalb der Wald- und Schneefallgrenze. Dort buddelt es sich Höhlen im Schnee und versteckt sich, wenn es draussen minus zwanzig Grad kalt wird. Zwar bewegen sich die Temperaturen in diesen Schneehöhlen noch immer um den Gefrierpunkt. Doch die befiederten Zehen wärmen die Füsse und das schneeweisse Gefieder den Körper.
Sobald der Frühling kommt, es wieder wärmer wird und der Schnee schmilzt, tauscht das Schneehuhn sein weisses Kleid gegen Braun und Grau – eine Art Tarnanzug für den steinigen Berg. «Es ist verrückt, was dieses Tier alles kann», sagt Rey von der Schweizerischen Vogelwarte.
«Schneehuhn JA!», schreiben die Urner Grünen auf ihrer Website, als ginge es um ein wegweisendes Infrastrukturprojekt. Das Tier bewegt Bevölkerung wie Politik. Wie immer, wenn sich die Jagd-Lobby mit den Naturschützern streitet. Meistens geht es in der Debatte um den Wolf. Im Kanton Uri nun auch um das Schneehuhn, Meister der Tarnung und des Überlebens. Wie lange noch?