Kotierte Familiengesellschaften gelten als stabiler und krisenresistenter. Swatch Group beweist, dass auch das Gegenteil der Fall sein kann. Wie verhält es sich bei anderen Schweizer Familienunternehmen?
Sie fallen und fallen: Die Inhaberaktien von Swatch Group sind mittlerweile auf bestem Weg, die Marke von 150 Fr. zu testen. Seit Jahresbeginn resultiert ein Minus von über 30%; vor allem in den letzten Wochen hat sich der Verkaufsdruck noch einmal verstärkt. Auf diesem tiefen Niveau notierten die Titel zuletzt vor rund fünfzehn Jahren, als sich die Börsen gerade zaghaft vom Schock der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise erholten.
Bahnbrechend Neues gibt es nicht zu vermelden: Der Uhrenhersteller leidet wie andere Unternehmen aus dem Schmuck- und Luxussegment unter einer gedämpften Konsumstimmung; besonders die Abhängigkeit vom kriselnden chinesischen Markt belastet das Geschäft. Doch allein mit dem Umfeld lässt sich die Kursmalaise von Swatch Group nicht erklären – auch ein ausgeprägtes Missmanagement schadet dem Konzern.
Kritiker bemängeln, dass die Familie Hayek das Unternehmen als ihren Privatbesitz betrachtet – obwohl sie bloss 43,3% der Stimmrechte und gut 25% des Kapitals kontrolliert. Nick Hayek, der den Konzern seit über zwanzig Jahren als CEO anführt, schert sich kaum um die Meinung von Analysten und Aktionären. Anfang Jahr gipfelte dies in einer offenen Konfrontation zwischen Hayek und Analysten während einer Telefonkonferenz.
Swatch Group: Negativbeispiel eines Familienunternehmens
Der tiefe Fall von Swatch Group an der Börse zeigt, dass ein grosser Einfluss der Gründerfamilie dem Aktionärswert des Unternehmens schaden kann. Dies zum Beispiel durch die Einsetzung eines Konzernchefs, der zwar den Namen der Familie trägt, jedoch möglicherweise nicht die beste Wahl für den Posten ist. Doch gilt das auch für andere Familienunternehmen?
Als Familienunternehmen werden in der Regel Gesellschaften bezeichnet, in denen die Familie eine bedeutende Kontrolle ausübt – und grundsätzliche Absichten hegt, diese Kontrolle an die nächste Generation weiterzugeben. Oft ist dies der Fall, wenn Familienaktionäre mindestens 20% der Stimmrechte besitzen. Gemäss einer Auswertung von Vontobel befinden sich rund 36% der an der Schweizer Börse SIX gelisteten Unternehmen in Familienhand.
Allerdings bezieht sich das Analystenteam um Arben Hasanaj dabei «nur» auf die 95 von Vontobel abgedeckten Unternehmen – insgesamt sind rund 200 Gesellschaften an der SIX kotiert. Dennoch deckt die folgende Zusammenstellung die grössten und wichtigsten kotierten Unternehmen der Schweiz ab, bei denen Familien einen massgeblichen Einfluss ausüben.
Familienunternehmen: zwischen Tradition und Fortschritt
Familiengesellschaften bewegen sich in einem latenten Spannungsfeld zwischen den Interessen der Familie und dem, was die Unternehmenslogik verlangt. Während Familien meist grossen Wert auf Tradition legen und langfristig denken, ruft die reine Unternehmenslogik nach Effektivität und Rationalität. Sie agiert emotionsloser und legt einen grösseren Fokus auf die kurzfristigen finanziellen Resultate – was sich gleichzeitig oft mit den Interessen der Publikumsaktionäre deckt.
Natürlich ist dies vereinfacht dargestellt, selbstverständlich können auch Familienaktionäre ambitionierte finanzielle Ziele haben, handkehrum können auch bei Nicht-Familiengesellschaften Unternehmensentscheidungen emotional sein. Dennoch bestätigt die wissenschaftliche Literatur grundsätzlich das oben beschriebene Spannungsfeld.
Allerdings müssen die unterschiedlichen Zielsetzungen zwischen der Familien- und der Unternehmenslogik nicht zwangsläufig negativ sein. Im Gegenteil, sie können sich nach Meinung von Hasanaj sogar als vorteilhaft erweisen. Der Vontobel-Analyst betont, dass die Spannungsfelder zwischen den beiden Denkweisen innerhalb eines Familienunternehmens durch geeignete Governance-Systeme sorgfältig verwaltet werden müssten, damit Synergieeffekte genutzt werden. «Auf diese Weise können sich Familienunternehmen eine Kraft zunutze machen, die Nicht-Familienunternehmen nicht zur Verfügung steht.»
Ein langfristiger Fokus hat Vor- und Nachteile
Wie bereits beschrieben ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal vieler Familienunternehmen ihr langfristiger Fokus. Dadurch können Strategien verfolgt werden, die sich nicht gleich morgen auszahlen müssen, dafür langfristig einen umso grösseren Effekt haben können. Dies spiegelt sich oft in einer längeren Amtszeit der wichtigsten Entscheidungsträger.
Gemäss Vontobel beträgt die durchschnittliche Amtszeit eines Mitglieds der Geschäftsleitung bei Familiengesellschaften sechs Jahre, bei Mitgliedern des Verwaltungsrats sind es sogar neun. Bei Nicht-Familienunternehmen reduziert sich die durchschnittliche Anzahl Jahre auf 4,6 bzw. 5,2. Lange Amtszeiten können aber auch Risiken bergen. So können Familienunternehmen derart auf ihre langfristige Strategie konzentriert sein, dass sie auf dem Weg dorthin Chancen oder neu aufkommende Trends übersehen.
Dieses Risiko ist umso grösser, als Familiengesellschaften oft in einem tief verwurzelten Netzwerk arbeiten, was notwendige Veränderungen verhindern kann, wie etwa die Veräusserung eines verlustträchtigen Geschäftsbereichs oder den Wechsel von Zulieferern aufgrund des technischen Fortschritts. Gegenüber Vontobel wies ein Familienunternehmen in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Blicks von aussen durch die Kapitalmärkte hin, um wichtige Trends nicht zu verpassen.
Bucher Industries denkt langfristig
In den Augen von Vontobel-Analyst Hasanaj hat Bucher Industries in ihrer mehr als 200-jährigen Geschichte dieses Gleichgewicht sehr gut gemeistert. Sie hat fünf sich wenig überschneidende Divisionen, die alle auf den Maschinen- und Fahrzeugbau ausgerichtet sind. Der langfristige Blick sei ein zentraler Wert in der Unternehmenskultur, sagt Hasanaj. «Der Einfluss der Familie ist auf den Verwaltungsrat beschränkt, was die langfristige Ausrichtung auf strategischer Ebene stärkt.»
Genauso wichtig: Gleichzeitig ermöglicht der Konzern ein hohes Mass an Agilität, indem er dezentrale Entscheidungen in den Divisionen fördert, um Markt- und Kundennähe zu erreichen. «Die Konzernleitung koordiniert die Aktivitäten der Divisionen zentral und effizient, um die Ausrichtung auf langfristige Ziele zu richten und eine starke finanzielle Position sicherzustellen.»
Bucher steuert dieses Spannungsverhältnis also durch ein langfristiges, familiäres Denken und durch geeignete Entscheidungsprozesse im Unternehmen, die Feedback von unteren Ebenen einbeziehen.
Als Negativbeispiel führt Vontobel die bereits eingangs erwähnte Swatch Group an. «Im Verwaltungsrat sind alle Mitglieder sehr familienverbunden und daher als nicht unabhängig zu bezeichnen.» Sowohl der Verwaltungsratspräsident als auch der Konzernchef stammen aus der Familie. Auch die lange Amtszeit der Verwaltungsratsmitglieder sticht mit durchschnittlich fünfzehn Jahren hervor. Diese Situation wird durch die schlechte Kommunikation mit den Anlegern zusätzlich verschärft.
Dies geht gemäss Vontobel so weit, dass Beobachter glaubten, es sei das Ziel der Familie, Swatch Group zu einem niedrigeren Aktienkurs zu privatisieren. «Eine ziemlich einzigartige Situation.» Die Analysten sind überzeugt, dass Swatch Group von der Ernennung neuer, externer und unabhängiger Verwaltungsratsmitglieder eindeutig profitieren würde. «Dies, um das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen, der Gruppe neue Impulse zu geben und sie wieder auf Wertschöpfung auszurichten.»
Familienunternehmen sind geringer verschuldet
Ein weiteres wichtiges Merkmal von Familiengesellschaften ist die konservative Grundhaltung samt einer soliden Dividendenpolitik. Hervorzuheben ist jedoch, dass sich dies nicht in einer Diversifizierung der Geschäftsaktivitäten niederschlägt, oft bleiben Familienunternehmen auf eine Nische fokussiert. Ein positives Gegenbeispiel ist hier wiederum Bucher mit ihren fünf unterschiedlichen Divisionen.
Anders verhält es sich mit den Finanzen, hier wird meist konservativ gewirtschaftet. Das zeigt sich gemäss Vontobel beim Verschuldungsgrad, der bei Schweizer Familienunternehmen gemessen am Verhältnis von Nettoverschuldung zu Ebitda mit –0,2 deutlich tiefer ist als bei den Nicht-Familienunternehmen (Finanzgesellschaften ausgenommen).
Das spiegelt sich auch beim Cashbestand. Ende 2023 verfügten von den 28 beobachteten Schweizer Familienunternehmen (Finanzgesellschaften ausgenommen) deren 16 über eine Nettoliquidität (57%). Bei Nicht-Familienunternehmen war dies bei 13% (6 von 45) der Fall.
Vontobel führt diese Ergebnisse auch auf Unterschiede in der Branchenzusammensetzung zurück. Zyklische und industrielle Branchen, in denen Schweizer Familiengesellschaften exponiert sind, erfordern eine geringere Verschuldung. Punkto Dividende zeigen Familienunternehmen eine ähnliche Ausschüttungsquote und Rendite wie Nicht-Familienunternehmen. Allerdings: In schwierigen Zeiten erweist sich die Ausschüttung bei Ersteren als resilienter.
Wer schneidet besser ab?
Das Analystenteam von Vontobel stellt fest, dass Schweizer Familienunternehmen mit einer durchschnittlichen Gesamtrendite von 13,7% pro Jahr über die vergangenen zwanzig Jahre (2004 bis 2023) um 2,3 Prozentpunkte besser abschneiden als die Gruppe der Nicht-Familienunternehmen (11,4%). Auffällig ist dabei, dass sich bei den Large und den Small Caps die Familienunternehmen deutlich abheben, während die Performance bei den Mid Caps wenig differenziert. Allerdings ist die Stichprobengrösse mit acht grossen, vierzehn mittleren und zwölf kleinen Gesellschaften verhältnismässig gering.
Die allgemeine Outperformance wird dabei vor allem durch die vergleichsweise stabile Entwicklung in den «Krisenjahren» mit besonderen makroökonomischen Herausforderungen oder externen Schocks wie der grossen Finanzkrise (2008 bis 2010) oder der Covid-Pandemie (2020 bis 2021) erzielt. Gemäss Vontobel übertrafen in diesen Jahren Familienunternehmen (12,4% Rendite pro Jahr) die Performance von Nicht-Familienunternehmen um 7,5 Prozentpunkte und den Swiss Performance Index (SPI) sogar um 11 Prozentpunkte.