Die KI-Welle machte den französischen Konzern zeitweise zum teuersten Industriewert Europas, noch vor Siemens. Mit dem Ende des Hypes ist Schneiders Bewertung auf ein realistischeres Niveau gesunken. Spätestens wenn US-Präsident Trump weitere Kursausschläge nach unten verursacht, sind die Aktien ein Kauf.
Seit über einem Jahrzehnt schienen die Aktien des in Paris ansässigen globalen Industrieriesen Schneider Electric fast nur die Richtung nach oben zu kennen. Viele Fondsmanager, darunter bei Union Investment in Frankfurt, lieben sie: dank im Konkurrenzvergleich regelmässig überlegener Wachstumsraten und Margen.
Schneider habe «in der Vergangenheit durchweg geliefert», attestiert Union-Fondsmanagerin Maria Mihaylova. «Das Unternehmen hat seine Profitabilität stetig gesteigert und gilt bei Investoren nachvollziehbarerweise als Qualitätswert mit hoher Verlässlichkeit.»
Dieses Jahr allerdings läuft es an der Börse nicht mehr rund: Seit Jahresbeginn fiel der Kurs um 11%, seit dem Allzeithoch im Januar sogar um 21%, während der Euro Stoxx 50 seit Anfang Jahr um 7% avancierte. Auch auf Sicht von zwölf Monaten liegt Schneider leicht im Minus, während der traditionell niedriger bewertete Münchner Rivale Siemens aufgeholt hat.
Der Hauptgrund dafür ist aus Sicht von The Market nicht etwa ein Ende der Schneider-Story, wonach der Elektrotechnikriese von globalen Trends wie Energieeffizienz, Digitalisierung und Nachhaltigkeit überproportional profitiert. Vielmehr trieb vergangenes Jahr die Begeisterung der Anleger für künstliche Intelligenz (KI) auch Schneiders Bewertung in allzu luftige Höhen.
Vergangenen September war Schneider für einige Tage sogar mehr wert als der nach Umsatz doppelt so grosse Siemens-Konzern.
Dieser KI-Überschwang hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten korrigiert. Die Frage ist nur: Sind bei Schneider nun Einstiegskurse erreicht, oder könnte es weiter bergabgehen?
Schneider ist der weltgrösste Anbieter von elektrischer und digitaler Infrastruktur von Rechenzentren, wie US-Cloud-Anbieter wie Amazon, Microsoft und Google sie überall auf der Welt aufbauen. Schneiders Produkte sorgen auch für die Kühlung der Serverfarmen. Etwa 20% ihres Umsatzes von 38,2 Mrd. € (2024) macht Schneider mit Rechenzentren. Siemens und ABB haben dieses Geschäft zuletzt ebenfalls stark forciert, hängen aber noch deutlich hinterher.
Entgegen dem Anlegerpessimismus bekräftigten die US-Cloud-Riesen vor wenigen Tagen, ihre KI-bedingten Investitionen wie geplant auch in den kommenden Quartalen auszuweiten. Schneider berichtete Ende April ebenfalls, die Nachfrage nach Ausrüstung für Rechenzentren steige weiterhin zweistellig – vor allem in Nordamerika und Ostasien.
Ende April gingen die Aktien dennoch auf Achterbahnfahrt, da Schneider beim Umsatz im ersten Quartal mit einem organischen Wachstum von 7,4% leicht enttäuscht hatte. Begründet wurde dies mit einer Schwäche des Wohnbaumarktes. Analysten hatten gemäss Bloomberg-Konsensus mit 8,4% gerechnet – etwa der Mitte der von Schneider für 2025 prognostizierten Wachstumsrate von 7 bis 10%.
Diese Jahresprognose für den Umsatz und die bisher für 2025 avisierten 10 bis 15% Plus des bereinigten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Firmenwertabschreibungen (Ebita) bekräftigte Schneider, was einer Zunahme der Ebita-Marge um 50 bis 80 Basispunkte entspreche. Primär wegen Währungseffekten werde die Ebita-Marge statt wie vorhergesagt 19,2 bis 19,5% nun aber «nur» 18,7 bis 19% betragen.
Alles nicht dramatisch – für die verwöhnten Schneider-Anleger dennoch ein Schock: Seit dem vierten Quartal 2019 habe Schneider keine Erwartungen mehr verfehlt, erklärt Ben Uglow, Gründer des Londoner Research-Hauses Oxcap Analytics und zuvor langjähriger Head of European Capital Goods Research bei der US-Bank Morgan Stanley.
Nach dem «Re-Rating», der vergangenes Jahr beobachteten Aufwertung infolge der KI-Hoffnungen, befinden sich die Aktien nun im «De-Rating», beschreibt Uglow. «Der Markt sucht noch das richtige Kurs-Gewinn-Verhältnis für Schneider.»
Aus Sicht von Union Investment dagegen ist der «fundamentale Investment Case weiter intakt», sagt Fondsmanagerin Mihaylova gegenüber The Market. Das organische Wachstum von 7,4% sei solide und sogar über Vorjahr. «Wir sehen keine Anzeichen für eine dauerhafte Verlangsamung.»
Schneider wächst seit Jahren stärker als ABB und Siemens, und die für 2025 geplanten 7 bis 10% liegen abermals über der Planung der Schweizer (Wachstum im «mittleren einstelligen Bereich») sowie des Münchner Rivalen (+3 bis 7%).
Schneider gelinge es zudem «stetig, die operative Effizienz zu steigern und die Margen zu verbessern», lobt Union-Managerin Mihaylova.
Auch deshalb hält Mihaylova eine Bewertungsprämie für Schneider gegenüber ABB und Siemens für angemessen. Schneider sei besser in strukturell wachsenden Bereichen positioniert, mit einer Ausrichtung auf «zukunftsträchtige, weniger zyklische Märkte».
Schneiders mit Abstand grösste Sparte, Energy Management (31 Mrd. € Umsatz 2024), liefert insbesondere Niederspannungsprodukte, die den Strom in Gebäuden, Fabriken oder Rechenzentren sicher und effizient verteilen: von einfachen Leistungsschutzschaltern und Stromzählern bis hin zu ganzen Energiemanagementsystemen.
Die zweite Geschäftssäule, Industrieautomation (7 Mrd. €), sorgt für die Automatisierung und die Digitalisierung von Fertigungsprozessen über die gesamte Breite der Industrie, von Bergbau über Stahl und Zement bis hin zur Automobilproduktion. Unter anderem durch Zukäufe wie die britische Aveva hat Schneider auch ein Industriesoftwaregeschäft aufgebaut.
Kaum ein Industriekonzern agiert so lokal wie Schneider
Auf den weltweiten politischen Druck, lokal für den lokalen Bedarf zu fertigen, ist kaum ein Industriekonzern so gut vorbereitet wie Schneider mit ihrer global starken Verankerung. Das beginnt mit einem «Multi-Hub-Konzept» statt einer Konzernzentrale: Die siebzehn Mitglieder der Führungsspitze verteilen sich auf mehrere zentrale Verwaltungsstandorte über den Globus – in Boston, Singapur, Dubai, Schanghai, Hongkong, Paris und Zürich.
Das Konzept erfand der langjährige CEO und heutige Chairman Jean-Pascal Tricoire. Er zog 2011 samt Familie nach Hongkong, um Schneiders Internationalisierung höchstpersönlich zu beschleunigen. Tricoires Argument: «Wenn ich mich bewege, wird auch der Rest des Unternehmens sich bewegen.»
Im Vergleich zu Siemens und ABB, die stärker mit eigenem (teurem) Vertrieb arbeiten, pflegt Schneider ein in der Branche einzigartiges weltweites Netzwerk an lokalen Ingenieurbüros und anderen Systemintegratoren, die Komponenten des Unternehmens in ihre Lösungen einplanen.
Das Geschäft in China läuft bereits nahezu autark. In Nordamerika – Schneiders wichtigstem Absatzmarkt – werden 83% der dort verkauften Produkte lokal beschafft oder produziert, dieser Anteil soll sich laut Schneider-Topmanagement «Richtung 90% bewegen».
Schneiders Zollrisiko sei niedrig, erklärte CFO Hilary Maxson gegenüber Analysten. Die durch US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle wirkten sich nur im Bereich von «mehreren hundert Millionen» auf den Konzernumsatz aus. Um dies wettzumachen, passe Schneider Vertrieb und Lieferkette an. Viele Verträge im Auftragsbestand enthalten die Möglichkeit, die Preise im Fall von Zöllen anzuheben.
Zwar wird die Luft für die Energiemanagementsparte im weiteren Jahresverlauf dünner, da die Vergleichszahlen des Vorjahres stark ausfielen. Doch Schneider erwartet wie auch Rivalen für das zweite Halbjahr eine Erholung der länger schwächelnden Industrieautomation.
Starke Cash Conversion, steigende Dividende
Schneiders freier Cashflow ist stark und soll dieses Jahr wie schon 2024 nahezu den vollständigen Nettogewinn (2024: 4,2 Mrd. €) umfassen. Die Dividende steigt seit 2014 jedes Jahr.
Die Ausschüttung von 3.90 € je Aktie für 2024 entspricht gleichwohl nur 1,8% Rendite. Auch bei Aktienrückkäufen bleibt Schneider zurückhaltend: Laut CFO Maxson investiert das Unternehmen das Kapital mit höchster Priorität in organisches Wachstum. Akquisitionen und Aktienrückkäufe folgten erst an zweiter und dritter Stelle.
Im Vergleich etwa zu Siemens fällt Schneiders Akquisitionsbilanz deutlich vorteilhafter aus. Nur vereinzelt wurden Unternehmenskäufe als teuer kritisiert, zuletzt etwa die Vollübernahme von Aveva vor drei Jahren. Meist fokussiert Schneider auf kleinere Ergänzungen der Kernsparten, wie im Februar beim Erwerb eines 75%-Anteils an Motivair, einem US-Anbieter von Kühllösungen für Rechenzentren, für 850 Mio. $.
Sorgen über CEO-Wechsel sind abgeflaut
Fragezeichen bei Investoren verursachte im November 2024 der überraschende CEO-Wechsel: Der deutsche Konzernchef Peter Herweck, der im Mai 2023 Tricoires Nachfolge angetreten hatte, wurde durch den langjährigen Chef der Energiemanagementsparte Olivier Blum ersetzt. Gerüchte machten die Runde, Tricoire könnte Herweck ein zu vorsichtiges Taktieren bei den gescheiterten Übernahmeplänen für die US-Softwaregesellschaft Bentley angekreidet haben.
Das schürte Sorgen, der neue CEO Blum könnte nun einen aggressiveren Kurs bei Software-Akquisitionen einschlagen. Die scheinen unbegründet: Schneider blieb bisher zurückhaltend, anders als Siemens. Wie The Market von mehreren Insidern erfahren hat, scheiterte Herweck primär an atmosphärischen, menschlichen Problemen.
Tricoire tue sich nach siebzehn Jahren an der Spitze schwer loszulassen, wolle weiter sehr im Detail informiert werden, sagen die einen. Herweck habe zu viel Zeit an seinem Sitz in Zürich und zu wenig in Paris verbracht und mit autokratischem Verhalten die falschen Leute vergrätzt, sagen andere.
Während Herweck 2016 nach 22 Siemens-Jahren ins Schneider-Topmanagement kam, arbeitet Blum seit 32 Jahren für Schneider und ist bestens vernetzt. Ob Zufall oder nicht: In den vergangenen Monaten wurden weitere Ex-Siemens-Manager aussortiert: DACH-Chef Stefan Gierse verliess Schneider im Februar 2025 nach nur einem Jahr.
Bewertung spiegelt Schneiders Vorteile nicht mehr
Gemäss Kalkulation der UBS-Analysten notierte Schneider 2024 im Schnitt mit einer Prämie von 24% gegenüber ABB, Siemens und Legrand, was den Bewertungsmultiplikator Unternehmenswert im Verhältnis zum Ebit (EV/Ebit) angeht. Dieser Aufschlag ist nunmehr auf 8% geschrumpft. Auch mit Bezug auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis hat Schneiders Bewertungsvorsprung deutlich abgenommen (vgl. Grafik).
Zwar liegt Schneiders Bewertung nach wie vor über dem Zehnjahresschnitt.
Zieht man aber nur die vergangenen fünf Jahre zum Vergleich heran, notiert Schneider mit einem KGV von 23 etwa auf dem Durchschnittswert. Gemessen am Unternehmenswert im Verhältnis zum Ebitda der nächsten zwölf Monate ist sie sogar leicht günstiger als im Fünfjahresschnitt.
Die rekordhohe Profitabilität bei positiven Aussichten spricht eher für eine höhere Bewertung. Sollte der Handelskrieg eine weltweite Rezession auslösen, würde dies allerdings auch Schneider treffen – wenn auch weniger stark als andere Industriekonzerne.
Fazit: Auf dem jetzigen Bewertungsniveau sind Schneider einen Blick wert. Spätestens wenn Trump weitere Kursausschläge nach unten verursacht, sind sie ein klarer Fall für die Kaufliste.