Die demografische Entwicklung reduziert das Wirtschaftswachstum. Aktien und Immobilienpreise haben sich bisher aber gut gehalten. Welche Geldanlagen aufgrund der Demografie Chancen bieten.
Sie essen zu viel Fleisch, verpesten die Luft mit ihren Verbrennerautos, hocken in zu grossen Immobilien und plündern die Rentenkassen. So lauten einige der Vorurteile von Vertretern jüngerer Generationen gegenüber den Babyboomern. Doch auf den Arbeitsmärkten der westlichen Industrieländer dürften die «Boomer» – sie umfassen die Jahrgänge 1946 bis 1964 – bald schmerzlich fehlen.
Mit der Pensionierung dieser geburtenstarken Generation schrumpft die Erwerbsbevölkerung in vielen westlichen Industrieländern drastisch – wobei dieser Effekt aufgrund der höheren Zuwanderung in den Vereinigten Staaten weniger ausgeprägt ist als in Europa. Für die Euro-Zone erwartet die Bank Morgan Stanley hingegen einen Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen bis 2040 um 6,4 Prozent. Die negative Folge davon könnte sein, dass das Wirtschaftswachstum in der Region jährlich um 0,25 Prozentpunkte niedriger ausfällt, schätzt das Finanzhaus.
Eine zunehmend überalterte Bevölkerung, gepaart mit niedrigen Geburtenraten und einer schwächelnden Wirtschaft, das sind auch für Sparer und Geldanleger keine guten Aussichten. Die schlimmsten Prognosen haben sich bisher aber nicht bewahrheitet.
1. Bis jetzt kein «asset meltdown»
Bereits in den 2000er Jahren machte diesbezüglich die sogenannte «asset meltdown»-Hypothese die Runde. Diese ging davon aus, dass die Babyboomer bei ihrem Eintritt in den Ruhestand massiv Wertpapiere und Immobilien verkaufen würden, um ihre Renten zu finanzieren. Als Folge sei ein starker Rückgang der Aktienkurse und Immobilienpreise zu erwarten – ein «meltdown» eben, ein Zusammenbruch.
Bisher ist dies nicht eingetreten. Chi Tran-Brändli, auf das Thema Langlebigkeit und Demografie spezialisierte Fondsmanagerin bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), macht dafür mehrere Gründe verantwortlich. «In den USA haben viele Seniorinnen und Senioren ihre Häuser längst abbezahlt. Daher konnten sie recht gut leben, ohne ihr Vermögen, einschliesslich ihrer Häuser, verkaufen zu müssen», sagt sie. Zudem erhielten die meisten Babyboomer zusätzlich zu den Leistungen aus der Sozialversicherung regelmässige Einkünfte aus ihren Pensionsfonds. Ausserdem hätten die Babyboomer von mehreren Jahrzehnten mit steigenden Aktienkursen profitiert.
Die Generation der Babyboomer habe zwar viel Geld, zeige sich bis jetzt aber insgesamt gesehen überaus sparsam, sagt Manuel Buchmann, Projektleiter und Berater bei Demografik, einem unabhängigen Kompetenzzentrum für Demografie in Basel. «Die Babyboomer sparen länger als die Generationen vor ihnen, in vielen Ländern steigt ihre Sparquote sogar», sagt er. Über die Gründe lasse sich nur mutmassen – möglicherweise sparten die Babyboomer aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung für unsichere Zeiten oder für potenzielle Pflegekosten. Eventuell gehe es ihnen auch darum, viel Geld zu vererben oder einfach weiter Vermögen aufzubauen.
Laut Tran-Brändli liegt inzwischen weltweit der überwiegende Teil des Vermögens von privaten Haushalten in den Händen von Personen, die 60 Jahre und älter sind. Diese demografische Gruppe habe von Jahrzehnten des wirtschaftlichen Aufschwungs, prosperierenden Börsen und höheren Sozialleistungen für ältere Menschen profitiert, sagt sie. Sie bezieht sich auf Daten der US-Notenbank Federal Reserve. Gemäss diesen entfielen 2022 in den USA 73 Prozent der Vermögen auf Personen im Alter von 55 Jahren und älter. In den meisten Industriestaaten sowie in grösseren Schwellenländern sei dies ähnlich.
2. Demografischen Wandel im Auge behalten
Auch wenn ein Crash bei Aktienkursen und Immobilienpreisen bisher ausgeblieben ist, dürfte die demografische Entwicklung Auswirkungen auf die Vermögenspreise haben. «Möglicherweise kommt es nicht zu einem Crash, aber die demografische Entwicklung könnte die Entwicklung der Vermögenspreise zumindest bremsen», sagt Buchmann. Denkbar sei auch ein schleichender Rückgang der Aktienkurse und Immobilienpreise.
Wie Auswertungen von Pictet zeigen, haben Schweizer Aktien im Zeitraum 1926 bis 2023 nach Abzug der Inflation eine Rendite von durchschnittlich 5,6 Prozent pro Jahr erzielt. «Es ist aber nicht gottgegeben, dass dies in den kommenden hundert Jahren auch so sein wird», sagt Buchmann.
Auch Tran-Brändli empfiehlt, den demografischen Wandel bei Anlageentscheiden im Auge zu behalten. «Mit Blick auf die Zukunft könnte es doch noch zum ‹meltdown› kommen», sagt sie. Viele ältere Babyboomer müssten schliesslich ihre Häuser verkaufen, um in Alterswohnungen umzuziehen. Angesichts der hohen Nachfrage nach Wohnraum seitens der jüngeren Generationen könnten die Immobilienpreise aber dennoch stabil bleiben.
Gemäss Tran-Brändli verfolgen viele Investoren einen kurzfristigen Zeithorizont, während der Einfluss der alternden Bevölkerung auf die Wirtschaft ein langfristiges, strukturelles Thema ist. Die meisten Investoren liessen sich eher von taktischen makroökonomischen Überlegungen wie Zinssätzen und unternehmensspezifischen Fundamentaldaten leiten.
«Demografische Risiken werden systematisch unterschätzt», sagt Buchmann. Demografische Prognosen seien zwar mit Unsicherheiten behaftet, über einen langen Horizont hinweg aber deutlich sicherer als ökonomische Prognosen. Der Demografik-Vertreter arbeitet daran, demografische Risiken messbar zu machen und mittels eines Indikators in Anlageentscheide einzubringen.
3. Chancen im Gesundheitssektor und für Dividendentitel
Die demografische Entwicklung könnte Auswirkungen auf die Aktienmärkte sowie verschiedene Branchen und Regionen haben – auch wenn sie natürlich nur eine Komponente unter vielen ist. Die Nachfrage in Sektoren wie Spielzeug, Fahrräder, Lebensversicherungen oder Pflegeheime sei indessen beispielsweise stark mit der demografischen Entwicklung verbunden, heisst es in einem Papier von Financial Demography, einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Manuel Buchmann. Es folgen einige Annahmen von Demografie-Experten zu diesem Thema.
Gesundheitssektor gilt als attraktiv: Aus Sicht von Tran-Brändli könnte der Gesundheitssektor am meisten vom demografischen Wandel profitieren – dank Unternehmen, die Medikamente und Medizintechnik zur Förderung einer gesunden Langlebigkeit herstellen. Als attraktiv gelten auch Unternehmen, die Lösungen zur Senkung der Gesundheitskosten bereitstellen, wie etwa Hersteller von Diagnostika und Generika. Auch Buchmann sieht Pharma- und Medtech-Unternehmen als Gewinner der demografischen Entwicklung.
Chancen in der «silver economy»: «Potenzial bieten könnten auch Sektoren mit Unternehmen, welche die Bedürfnisse und Konsumgewohnheiten älterer Menschen bedienen», sagt die ZKB-Fondsmanagerin. In dieser sogenannten «silver economy», deren Name auf das silberne Haar vieler Seniorinnen und Senioren anspielt, agierten etwa Anbieter von Kreuzfahrten und Wellness, Hotels und Restaurants.
Des Weiteren zählt Tran-Brändli hierzu Hersteller medizinischer Geräte, Versicherungen und Dienstleister in der Finanzplanung. Auch Anbieter in den Bereichen Seniorenresidenzen gehörten dazu. Zudem böten sich Chancen für Anbieter von Technologien, die den Herausforderungen einer sinkenden Erwerbsbevölkerung begegneten und die Pflege älterer Menschen effizienter gestalteten.
Dividendenzahlungen im Fokus: Das Financial-Demography- Papier beruft sich zudem auf wissenschaftliche Arbeiten, gemäss denen Aktien mit hohen Dividenden für Anleger mit zunehmendem Alter attraktiver werden. Kurzfristige Finanzströme würden für sie gegenüber langfristigem Wachstum an Bedeutung gewinnen. Ältere Investoren fänden regelmässige Einkommen aus Dividenden besonders ansprechend, um ihren Konsum zu finanzieren und um Vermögensabbau zu verhindern.
Junge afrikanische Länder als Anlage-Alternative? Zu den jungen Volkswirtschaften weltweit zählen einige Länder in Subsahara-Afrika. «Anlagen in diesen Ländern haben sich aber bisher oftmals nicht ausgezahlt», sagt Buchmann. Dies hänge unter anderem mit mangelnder politischer Stabilität und Rechtssicherheit sowie zu schwachen Institutionen zusammen. Solche Mängel könne die positive demografische Entwicklung nicht wettmachen. «Das Potenzial in diesen Ländern ist aber riesig», sagt Buchmann. Als Beispiel nennt er Kenya.
Aufstrebendes Indien: Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gilt auch Indien als interessantes Land für Investitionen. Tran-Brändli nennt in diesem Zusammenhang die aufstrebende Wirtschaft, die von der jungen Bevölkerungsstruktur und der wachsenden Mittelschicht angetrieben werde. «Die Bewertung indischer Unternehmen spiegelt diesen demografischen Aufschlag jedoch bereits kurzfristig stark wider», sagt sie. Dennoch könnte Indien wahrscheinlich langfristig ein wichtiger Markt bleiben.