Ehen zwischen Cousinen und Cousins könnten in Schweden schon bald der Vergangenheit angehören. Die Regierung reagiert damit auf die rasant gestiegene Zuwanderung.
Schweden will die Hochzeit naher Verwandter verbieten. Ab Mitte 2026 sollen weder Cousins und Cousinen noch Onkel und Nichten oder Tanten und Neffen heiraten dürfen. Der vom konservativen Justizminister Gunnar Strömmer angeforderte Untersuchungsbericht schlägt zudem vor, dass im Ausland geschlossene Verwandtenehen nicht mehr anerkannt werden.
Das anvisierte Verbot ist laut dem konservativen Minister ein wichtiges Puzzleteil in der Bekämpfung von Gewalt, Unterdrückung und Kontrolle von Menschen im Namen der «Familienehre». Betroffen sind vernehmlich Mädchen und Frauen, aber auch Söhne können Opfer werden von arrangierten Ehen, mit denen Clans innerfamiliäre Loyalität zu schaffen, ihre Macht abzusichern oder Bande mit andern Clans zu knüpfen versuchen. Solche Zwangsgemeinschaften werden von den Eltern oder den ganzen Familien oft schon bei der Geburt eingefädelt, ohne den Betroffenen später eine Wahl zu lassen bei der Gestaltung ihres Lebens.
Wie verbreitet Ehen zwischen Cousins und Cousinen in Schweden derzeit sind, ist unklar; gesicherte Zahlen fehlen. In den siebziger Jahren schätzte man deren Anteil auf ein Prozent aller Ehen auf dem Land, in Städten waren es halb so viele; zwischen 1880 und 1900 war noch fast jede zehnte Heirat zwischen engen Verwandten gefeiert worden. Damals pflegten vor allem reiche Eltern ihre erstgeborenen Söhne mit Cousinen zu verheiraten, um den Grundbesitz der Familie abzusichern.
Anders ist die Situation heute. Mit der stark gestiegenen Zuwanderung haben sich in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt Menschen in Schweden niedergelassen, in deren Heimatländern Cousinen-Ehen Tradition haben. Laut Schätzungen lebt ein Zehntel der globalen Bevölkerung in Ländern, in denen 20 bis 50 Prozent aller Ehen zwischen Cousins und Cousinen zweiten Grades und andern nahen Verwandten geschlossen werden. Dazu gehören viele Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten, aber auch Pakistan.
Eine in der Zeitschrift «Reproductive Health» publizierte Studie von 2009 geht davon aus, dass in der arabischen Welt ein Drittel aller Ehen zwischen Cousins ersten Grades stattfinden. Ausschlaggebend sind dabei weniger die Religion als die Kultur und Tradition. Cousinen-Hochzeiten werden sowohl in Islam, Judentum, Hinduismus und Buddhismus akzeptiert als auch im Christentum (mit Ausnahme christlich-orthodoxer Glaubensrichtungen, während die katholische Kirche Ausnahmebewilligungen erteilen kann).
Verbote eher die Ausnahme als die Regel
Entgegen dieser weitverbreiteten Praxis sind Eheverbote für Cousins ersten Grades eher die Ausnahme: Untersagt sind sie in den meisten Gliedstaaten der USA, in China, Taiwan, den beiden Korea und den Philippinen. In Europa kennen Kroatien, Serbien, Slowenien, Bulgarien und seit diesem Sommer auch Norwegen ein solches Verbot. Die meisten anderen Länder, darunter die Schweiz und Deutschland, untersagen nur Hochzeiten zwischen engen Blutsverwandten, so etwa zwischen Geschwistern und Halbgeschwistern.
Als Norwegens Parlament das Verbot debattierte, war die verbesserte Integration von Immigranten ein Hauptargument. Die Befürworter brachten zudem medizinische Gründe ins Spiel wie das erhöhte Risiko von Totgeburten und Todesfällen im Kindesalter bei Abkömmlingen naher Verwandter sowie von rezessiv vererbbaren Krankheiten. Zu Letztgenanntem haben die europäischen Adelshäuser, welche die Vetternehe während Jahrhunderten zum Ausbau von Macht und Besitztümern einsetzten, Medizinern und Genforschern bestes Studienmaterial geliefert.
Enormer bürokratischer Aufwand
Schwedens Regierung hat das geplante Verbot der Cousinen-Ehe nun in die Vernehmlassung geschickt. Der Vorschlag war Teil des Koalitionsabkommens, welches die bürgerliche Regierung vor zwei Jahren mit den rechtsnationalen Schwedendemokraten schloss, ohne deren Stimmen sie nicht mehrheitsfähig wäre. Unklar ist, wie ein solches Verbot in der Praxis gehandhabt würde. Die Abklärung der Verwandtschaftsverhältnisse von Migrantinnen und Migranten erfordert nicht nur einen beträchtlichen bürokratischen Aufwand, sondern auch gute Kontakte zu deren Ursprungsländern, die zudem über aussagekräftige Bevölkerungsregister verfügen müssen.
Schwedens grösste Partei, die nunmehr oppositionellen Sozialdemokraten, sprach sich noch Anfang 2022 gegen ein Verbot der Ehe von nahen Verwandten aus. Deren damaliger Justizminister wollte Erwachsenen nicht vorschreiben, wen sie heiraten dürfen; zudem fand er, die bestehenden Verbote von Zwangs- und Kinderehen wie auch die «Lex Fadime» böten genug Schutz.
Letztgenanntes ist eine Strafverschärfung, gemäss der «Ehrenverbrechen» mit bis zu sechs Jahren Gefängnis geahndet werden können. Das Gesetz trägt den Namen von Fadime Sahindal, einer kurdischstämmigen jungen Frau, die sich der Kontrolle, den Drohungen und der Gewalt ihrer Familie zu entziehen versuchte und dafür 2002 mit dem Leben bezahlen musste. Als Teenager hatte sie sich geweigert, einen Cousin in der Türkei zu heiraten, später brach sie mit der Familie und engagierte sich, trotz ständigen Attacken ihrer männlichen Verwandten, im Kampf gegen Unterdrückung und «Ehrenverbrechen». Zwei Monate nachdem Fadime im Parlament für ihr Anliegen geworben hatte, wurde die 26-Jährige selbst zum Opfer – erschossen vom eigenen Vater.