Neben dem Grand Prix verleiht die eidgenössische Jury für Literatur in diesem Jahr einen Spezialpreis Übersetzung an Dorothea Trottenberg.
Die Schweiz vergibt ihre beiden bedeutendsten literarischen Auszeichnungen in diesem Jahr an den Schriftsteller Klaus Merz und die Übersetzerin Dorothea Trottenberg. Der Dichter Klaus Merz wird mit dem Grand Prix Literatur für sein Lebenswerk geehrt, Dorothea Trottenberg erhält den Spezialpreis Übersetzung für ihre herausragenden Übertragungen aus dem Russischen. Beide Preise sind mit je 40 000 Franken dotiert.
Unterschiedlicher könnte man sich die beiden Preisträger nicht vorstellen: Hier der Dichter mit einem lyrischen Werk, das während eines guten halben Jahrhunderts in vielen schmalen Bändchen erschienen ist und darum im Regal trotzdem bloss einen vergleichsweise bescheidenen Raum einnimmt. Und dort die Übersetzerin, die in weniger als dreissig Jahren mehr als drei Dutzend schwergewichtige Werke aus der russischen Literatur übersetzt hat, von Klassikern wie Gogol und Tolstoi bis zu den Gegenwartsautoren Sorokin und Gelassimow. Hier der Dichter, der sein Werk ganz aus der eigenen Erfahrungswelt, aus dem Innenraum des Ich schöpft. Und da die Übersetzerin, die mit ihren Autoren einen riesigen Kulturraum und zwei Jahrhunderte durchmisst. Trotzdem verbindet die beiden Preisträger einiges.
Fenster ins Ferne
Es sei ihr ein Anliegen, dass mit ihren Übersetzungen ein Fenster nach Russland ein wenig mehr geöffnet werde: «mit Übertragungen russischer Klassiker, mit dem Zutagefördern unbekannter oder vergessener Autoren». So äusserte sich Dorothea Trottenberg 2007 in der Dankesrede zur Verleihung des Wieland-Preises.
Ein Fenster öffnet auch Klaus Merz mit seinem Schaffen: in einen inneren unbekannten Kontinent. Seine Innenwelt weitet sich hinab in die Zeit und in den Raum des Unbewussten. Wenn er daraus mit Versen zurückkehrt, fördert er seinerseits Unbekanntes und Vergessenes zutage. Ähnlich sind sich die beiden ausserdem in ihrer Haltung zur Sprache: Wenn Übersetzen heisst, ein Werk sprachlich transparent zu halten auf seine Herkunft, dann ist auch Klaus Merz ein Übersetzer. Seine Verse bleiben stets durchsichtig auf die Erfahrungswelten, die ihnen vorausgehen.
So sind beide, der Lyriker und die Übersetzerin, in einem Fährdienst tätig, zu dessen Besonderheiten es gehört, dass nur wahre Verwandlungskünstler ihn ausüben können. So wie wir darum mit Dorothea Trottenbergs Übersetzungen ein unbekanntes Russland entdecken lernen, das nichts mit Putins Herrschaftsgebiet zu tun hat, so üben wir mit Klaus Merz’ Gedichten den unerschrockenen Blick in Innenwelten, die auch unsere eigenen sind.
Dabei ist Klaus Merz in diesen fünfzig Jahren einem lakonischen Ton treu geblieben, der bereits in frühesten Gedichten eine leise Schwermut in ganz schlichte Bilder fasste: «Sabotage» heisst eines dieser Gedichte am Ende der 1960er Jahre: «Aus den Kalendern / blättert die Zeit. / Schwarze Tage, / wenig rote. // Die Druckereien / arbeiten gegen uns.»
Im Verborgenen
Und noch ein Letztes: Beide machen aus ihrer Arbeit kein Aufheben. Klaus Merz verschwindet hinter seinen kurzen Gedichten und Prosawerken, auch wenn daraus viel über ihn zu erfahren ist. Und Dorothea Trottenberg bleibt verborgen zum Beispiel hinter Iwan Bunins Gesamtwerk, das sie vor zwanzig Jahren zu übersetzen begonnen hat, obwohl es ihre Sprache ist, durch die Bunin zu uns spricht.
Im Übrigen ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass in diesen Zeiten eine Übersetzerin russischer Literatur ausgezeichnet wird. Umso mehr ist diese Entscheidung zu begrüssen.
Neben den beiden Hauptpreisen vergibt die Jury ausserdem Schweizer Literaturpreise in der Höhe von 25 000 Franken für Neuerscheinungen folgender Autorinnen und Autoren: Bessora, Jérémie Gindre, Judith Keller, Dominic Oppliger, Claudia Quadri, Ed Wige und Ivna Žic.