Nach einer Befragung von über tausend Medienschaffenden ortet die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften mangelnde Vielfalt – gerade was politische Haltungen betrifft.
Dürften in der Schweiz nur Journalisten wählen, wäre Cédric Wermuth vielleicht längst Bundespräsident geworden und Fabian Molina Aussenminister. Aline Trede könnte Medienministerin sein, und im Nationalrat würden SP, Grüne, Grünliberale und Linksaussen 150 von 200 Sitzen besetzen. Im Bundesrat müssten FDP und SVP froh sein, wenn man ihnen überhaupt einen Sitz überliesse. Die politischen Präferenzen der Medienschaffenden sind jedenfalls klar, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt.
«Journalist:innen in der Schweiz» lautet der Titel der Arbeit, «wer sie sind, wie sie arbeiten und was sie plagt». Befragt wurden 1179 von schätzungsweise 9000 Journalisten in der Schweiz. Unter anderem hat das Team des Medienwissenschafters Vinzenz Wyss untersucht, wie es um die Diversität steht, die offiziell in vielen Medienhäusern gelebt und gefördert wird. Sein Befund: «Erheblichen Nachholbedarf» gibt es nicht nur, was den Frauen- und Migrantenanteil betrifft, sondern auch bei der politischen Durchmischung der Redaktionen.
Grosse Mehrheit ist akademisch geprägt
So stuften sich 76 Prozent der Teilnehmer als links ein – und zwar, wie die Studienautoren schreiben, «unabhängig davon, ob sie bei privaten oder öffentlichen Medien arbeiten». 37 Prozent werden als «ganz links» verortet. Mit der Mitte identifiziert sich nur eine Randgruppe (knapp 7 Prozent). Auch «eher rechte» und «ganz rechte» Journalisten sind mit etwas mehr als 17 Prozent eine klare Minderheit.
«Es gibt einen deutlichen Linksrutsch», sagt Vinzenz Wyss im Gespräch mit der NZZ. Bei einer Befragung vor neun Jahren hätten sich erst 68 Prozent der Befragten als links eingestuft. Schon damals gab es eine Diskussion über die Linkslastigkeit der Medienschaffenden, besonders im Hinblick auf die SRG, die zur Ausgewogenheit verpflichtet ist.
Vinzenz Wyss warnt zwar vor voreiligen Schlussfolgerungen, was Einflüsse der politischen Haltung auf die Berichterstattung betrifft. Denn bis jetzt gebe es dafür keine klaren Beweise. Das liege aber auch daran, dass die Frage nie vertieft untersucht worden sei. Daher brauche es nun inhaltsanalytische Studien. «Setzt man sich nicht ehrlich mit diesem Thema auseinander, untergräbt das die Glaubwürdigkeit der Medien», sagt Wyss.
Für problematisch hält er auch die Akademisierung des Berufsstandes. So beträgt der Anteil der Hochschulabgänger mittlerweile 80 Prozent. 2008 waren es 59 Prozent. Wyss sieht hier einen möglichen Zusammenhang: Universitätsabgänger, besonders aus den Geisteswissenschaften, sind tendenziell linker eingestellt als die Durchschnittsbevölkerung.
Frauen sind in den Medien mit 44 Prozent immer noch untervertreten, besonders in Führungspositionen. In der Altersgruppe der unter 30-Jährigen sind sie jedoch bereits in der Mehrheit. Nach wie vor tief ist der Anteil der Redaktionsmitglieder mit Migrationshintergrund: Von den über tausend Befragten sind nur 13 Prozent im Ausland geboren.
Widersprüchliche Rollenbilder
Der Linksdrall im journalistischen Milieu ist ein internationales Phänomen. In Deutschland ergab eine Umfrage kürzlich, dass über 40 Prozent der befragten Journalisten den Grünen zuneigen. In der Schweiz wird seit Jahrzehnten über den Linksdrall gestritten. Bürgerliche neigen dazu, die Auswirkungen zu dramatisieren. Linke bestreiten oft jegliche Einflüsse auf die Berichterstattung – und behaupten, die Medien würden immer rechter, vom «Tages-Anzeiger» bis zur SRF-«Tagesschau», die laut SP-Präsident Wermuth einen «Rechtsrutsch» vollzogen hat.
Medienwissenschafter neigen bisher eher diesen (linken) Thesen zu. Dies, indem sie auf rechte Verleger wie Christoph Blocher hinweisen oder aufgrund von Abstimmungsempfehlungen einzelner Zeitungen behaupten, es gebe eine «Mär von der linken Mehrheit». Journalisten, so lautet ein weiteres Standardargument, seien halt kritische Geister und deshalb mehrheitlich links.
Diese Sichtweise verkennt, dass linkes Gedankengut in grossen Städten, an Universitäten und in vielen öffentlichen Verwaltungen längst mehr Norm als Ausnahme ist. Links sein heisst nicht automatisch kritisch sein. Politische Einflüsse zeigen sich in der Berichterstattung oft subtil. Stimmungen erzeugen kann man auch mit Adjektiven wie «umstritten» und «engagiert», die je nach Sympathie vergeben werden. Oder indem man bestimmte Themen meidet, andere aufbauscht und Kritik an links dominierten Institutionen pauschal als populistisch abtut.
In der ZHAW-Untersuchung gaben 79 Prozent der Befragten an, sie sähen ihre Rolle unter anderem als unparteiische Beobachter. Eine Mehrheit will zudem Machtkritik üben, gesellschaftliche Missstände beleuchten, auf mögliche Lösungen für Probleme hinweisen und das Publikum bilden. 40 Prozent verstehen sich als Sprachrohre von Randgruppen und Minderheiten. Und jeder Fünfte sieht sich bemüssigt, «Bemühungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu unterstützen» und «für sozialen Wandel» einzutreten.
Je nachdem, wo man politisch steht, wird man unter den meisten Punkten etwas anderes verstehen. Einige Vorsätze können leicht als Legitimation von Aktivismus interpretiert werden – auch wenn nur etwas mehr als zehn Prozent explizit angaben, sie wollten die öffentliche Meinung beeinflussen.