An den Märkten gibt es ein Umdenken: Die Schuldenthematik wird wichtiger. Unter den mittelgrossen Schweizer Unternehmen gibt es einige, die bezüglich ihrer Bilanz Handlungsbedarf haben. The Market zeigt, wo Risiken und Chancen für Aktionäre liegen.
Ein mittelgrosses und marktführendes Schweizer Unternehmen mit stabilem Geschäftsmodell, dessen Aktien fast 99% verloren haben? Ja, das gab es. Aryzta heisst es, entstanden 2008 aus der Fusion der Backwarengruppe Hiestand und der irischen IAWS Group.
Der ab 2014 folgende sechsjährige Kurssturz gründete in Missmanagement und in einer enormen Verschuldung, verursacht durch eine überrissene Akquisitionsstrategie. Heute steht der Backwarenhersteller, nachdem Urs Jordi 2020 das Zepter im Verwaltungsrat und als CEO übernahm, auf soliden Beinen.
Die Aryzta-Aktien notieren indes heute noch 90% unter dem Allzeithoch und fielen schon vor sechs Jahren aus dem Schweizer Mid-Cap-Index SMIM.
Das Beispiel zeigt, wie fatal eine hohe Schuldenlast für den Aktienkurs sein kann. 2018 mussten die Aktionäre zu einer Kapitalerhöhung in Umfang von 900 Mio. Fr. oder etwa dem damaligen Börsenwert gebeten werden, um die Bilanz von Aryzta zu sanieren.
Im Allgemeinen haben sich die Investoren zu Zeiten der Tiefstzinsen aber wenig um die Bilanzlage der Unternehmen geschert. Wachstum stand im Vordergrund. Das steht im Wandel. Das Schuldenthema wird nicht nur auf Ebene der Staaten, wo die finanzielle Last wie in den USA oder Frankreich besorgniserregende Ausmasse erreicht hat, sondern auch bei Unternehmen stärker in den Vordergrund rücken.
Gerade unter den Unternehmen im SMIM gibt es einige Fälle, deren Verschuldung Investoren Anlass zu Sorgen geben sollte oder erhöhte Aufmerksamkeit verdient. Der jüngste Fall betrifft Barry Callebaut.
Der Schokoladenhersteller leidet unter dem Kakaopreis, der sich innerhalb von zwei Jahren vervierfacht hatte, bevor er jüngst etwas zurückgekommen ist. Der Preisschub führt nicht nur zu sinkenden Verkaufsmengen, weil weniger Schokolade nachgefragt wird, sondern auch zu einem deutlich negativen Cashflow: Barry Callebaut muss viel mehr Geld in die Hand nehmen, um das eigene Lager zu finanzieren.
Im vergangenen Geschäftsjahr (per Ende August 2024) hatten die höheren Kakaopreise einen negativen Effekt auf den freien Cashflow von 2,8 Mrd. Fr. Der Wert des Lagerbestands verdoppelte sich fast, was mit einer Zunahme der Nettoschulden von 1,3 Mrd. auf 3,8 Mrd. Fr. einherging.
Im Januar hat sich Barry Callebaut am Anleihenmarkt 300 Mio. Fr. an zusätzlicher Liquidität gesichert. Die attraktiven Konditionen der Emission lassen den Rückschluss zu, dass die Finanzierung «eigentlich kein Problem» sein sollte, meint Daniel Lenz, Manager des Schroder (CH) Swiss Small & Mid Cap Fund.
Zugute kommt dem führenden Hersteller von Schokoladenzutaten, dass er die höheren Kakaopreise auf seine Abnehmer überwälzen kann. Das belegt die Entwicklung des Umsatzes: Er ist im jüngsten Quartal 54% gestiegen, trotz einer um 2,7% geringeren Verkaufsmenge.
Barry Callebauts Geschäftsmodell ist kapitalintensiver geworden, und das könnte sich verfestigen: Nachdem der Kakaopreis sich vor dem Anstieg länger etwas über 2000 $ pro Tonne bewegt hatte, dürfte er gemäss einer Schätzung der US-Bank JPMorgan mittelfristig um 6000 $ pro Tonne pendeln. Die Branche stelle sich darauf ein, sagt ein Insider. Damit würde Barry Callebaut mehr Kapital als früher für ihr Geschäft benötigen. Das bedingt Anpassungen der Unternehmensstrukturen.
Lenz hält aber fest, dass Barry Callebaut es über die Zeit schaffe, Wert zu generieren. So sei das Eigenkapital je Aktie, adjustiert um Dividenden, über die letzten zehn Jahre gut 8% jährlich gewachsen, «was ordentlich ist», sagt der Fondsmanager. Er erwartet, dass der Aktienkurs steigt, sobald der Kakaopreis sinkt. Einige Industrieexperten würden gemäss Lenz davon ausgehen, dass dieses Jahr das Angebot an Kakaobohnen die Nachfrage übersteigen werde, was auf den Preis drücken sollte.
Bis mehr Klarheit besteht, rät The Market, mit Neuengagements in Barry Callebaut abzuwarten.
Der Personalvermittler Adecco verschuldete sich für die 2022 abgeschlossene Übernahme des Beraters Akka Technologies. Die zuvor geringen Nettoschulden erhöhten sich auf 2,5 Mrd. € und sind seither, trotz des Bekenntnisses zur Reduktion des Leverage, weiter gestiegen, nach eigenen Angaben auf zuletzt 2,9 Mrd. € bzw. auf das 3,1-Fache des bereinigten Betriebsergebnisses auf Stufe Ebitda. «Adecco hat teuer akquiriert, damit aber keinen Wert geschaffen», resümiert Lenz von Schroders.
Das Problem gründet tiefer. Der Fondsmanager sagt, er habe in den vergangenen zwanzig Jahren mehrfach geprüft, ob ein Einstieg in Adecco aufgrund des gefallenen Kurses lohnend wäre. Doch der Personalvermittler scheine es einfach nicht zu schaffen, Wert für die Aktionäre zu generieren. Der Aktienkurs könne sich zwar kurzfristig stark bewegen, bei einer Verbesserung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds auch nach oben.
Doch das Geschäftsmodell von Adecco scheine seit langem sehr schwierig zu sein, analysiert Lenz. Die Industrie sei immer schon stark fragmentiert gewesen, und die Eintrittsbarrieren für Mitbewerber lägen tief. «Mit künstlicher Intelligenz und anderen Hilfsmitteln wird das Geschäft für Adecco in den nächsten Jahren nicht einfacher.»
Ein Argument für die Aktien war stets die hohe Dividendenrendite. Sie scheint nun aber aufgrund der Verschuldungssituation gefährdet. Aufgrund der starken Verschuldung und des hohen Goodwills, der auf der Bilanz lastet, kann es sich Lenz nicht vorstellen, dass das Unternehmen mit dem erwarteten Gewinn über die nächsten Jahre weiter 2.50 Fr. je Aktie ausschütten kann: «Ich erwarte Dividendenkürzungen, aber auch damit sollte noch eine Rendite von über 5% resultieren.»
Angesichts des schwierigen Geschäftsmodells und des langjährigen Kursverfalls ist The Market der Ansicht, dass es bessere Anlagealternativen gibt – auch wenn die Adecco-Aktien in einem günstigen Umfeld eine Kursreaktion nach oben zeigen können.
Wie Adecco hat sich Georg Fischer (GF) mit einer Grossübernahme eine hohe Schuldenlast aufgebürdet. 2023 erwarb das Industrieunternehmen den Rohrleitungshersteller Uponor: Statt einer Nettoliquidität wies es danach Nettoschulden von 1,9 Mrd. Fr. aus.
Die Schaffhauser waren bis dahin für eine vorsichtige Finanzierungspraxis bekannt. Nachdem sie ihren Plan, die Übernahme unter anderem über eine Kapitalerhöhung zu refinanzieren, im Frühjahr 2024 zurückgezogen hatten, betrugen die Nettoschulden Mitte 2024 fast das Vierfache des Ebitda.
Bliebe der Verschuldungsgrad über einen längeren Zeitraum auf diesem Niveau, würde dies nicht für ein Investment-Grade-Rating ausreichen, betont Andrea Giuseppe Frey, Analyst des unabhängigen Kreditresearch-Unternehmens Independent Credit View (I-CV). GF wird von der UBS und der Zürcher Kantonalbank ein Rating von BBB+ bzw. BBB und damit eine anlagewürdige Bonität attestiert.
Der angekündigte Verkauf der Division Machining Solutions erlaubt nun eine deutliche Verringerung der Schulden. Frey hält es für plausibel, dass der Verschuldungsgrad wie von GF in Aussicht gestellt bis Mitte Jahr auf 2,5- bis 2,7-mal Ebitda fallen wird. Bis Ende Jahr sollte er weiter sinken, auch ohne eine Lösung für die im Autozuliefergeschäft tätige Division Casting Solutions, für die GF Optionen prüft.
Wie Kreditanalyst Frey unterstreicht, sei es mit Blick auf die Bonität wichtig, dass sich GF dank der Fokussierung auf das margenstarke, resiliente Rohrleitungsgeschäft noch besser positionieren könne. Falls der erwartete Verkauf von Casting Solutions sich aber nicht in nützlicher Frist realisieren lasse, würde sich die Neuausrichtung und die Expansion im Rohrleitungsgeschäft verzögern.
Zurzeit bleibe GF wegen des höheren Verschuldungsgrades verletzlich, sagt Frey: «Gerade bei einer wesentlichen Verschlechterung des Marktumfelds kann das gefährlich werden.» Nicht nur die Gläubiger des Unternehmens, auch die Aktionäre müssen sich dieses Risikos bewusst sein.
Eine zu aggressive Wachstums- und Akquisitionsstrategie hat den Aktionären von Avolta lange Zeit viel mehr Schaden als Nutzen gebracht. Inzwischen scheint sich der Reisedetailhändler, der an einer zu hohen Verschuldung krankte, auf dem Pfad der Läuterung zu befinden.
Wie Analyst Thomas Widmer von I-CV ausführt, sei es Avolta seit der Ankündigung der Prioritäten zur Kapitalallokation im November 2023 gelungen, den Verschuldungsgrad kontinuierlich zu verbessern. Dieser lag per Ende September nach eigenen Angaben mit 2,2-mal Ebitda nur noch knapp über dem Zielbereich von 1,5- bis 2-mal Ebitda.
Am 17. Januar hat Avolta ein Aktienrückkaufprogramm über 200 Mio. Fr angekündigt. Die Aktienanalysten begrüssten die Massnahme, und die Börse reagierte beinahe euphorisch.
Für Kreditanalyst Widmer kam die Ankündigung nicht aus heiterem Himmel. Über die Generierung von freiem Cashflow habe Avolta die finanzielle Flexibilität erhöht: «Aus Sicht der Anleiheninvestoren wäre es aber zu bevorzugen gewesen, freie Mittel entweder für einen zügigeren Schuldenabbau oder für strategisch sinnvolle Expansionsprojekte einzusetzen.». Widmer erkennt aber an, dass die Unternehmensführung in einem Spannungsfeld zwischen den Aktionärsinteressen und der angestrebten Entschuldung stehe.
Aus Sicht von I-CV bleibt eine Hochstufung des Kreditratings von Avolta in den Investment-Grade-Bereich möglich, könnte sich wegen des Aktienrückkaufs aber verzögern. Aktuell verorten Standard & Poor’s und Moody’s die Bonität des Unternehmens mit BB+ bzw. Ba2 auf Ramschniveau. Widmer wartet nun den Jahresbericht am 12. März ab, um zu sehen, ob Avoltas Management Hinweise auf Anpassungen der Kapitalallokationsstrategie gibt, die ein Upgrade begünstigen oder verzögern könnten.
The Market hält fest, dass eine konsistente Unternehmenspolitik und eine konsequente Schuldensenkung letztlich auch im Interesse der Aktionäre ist.
Der Licht- und Sensorenspezialist leidet unter der Hinterlassenschaft des früheren Managements. Dieses vollzog die Grossübernahme von Osram und liess eine Fabrik in Malaysia für 800 Mio. € zur Produktion von MicroLED bauen, was AMS Osram in finanzielle Nöte brachte.
2023 erfolgte der überfällige Führungswechsel. Die neue Crew mit CEO Aldo Kamper und CFO Rainer Irle gewann schnell Vertrauen im Markt, eine schmerzhafte Kapitalerhöhung war aber unumgänglich. Zu allem Übel stornierte der grösste Kunde, mutmasslich Apple, im Februar 2024 das MicroLED-Projekt.
Die Nettoschulden von AMS Osram sind mit 1,9 Mrd. € oder dem 3,2-Fachen des bereinigten Ebitda zu hoch. Das Unternehmen bleibt verletzlich – gerade, wenn sich die Erholung im Automobilmarkt, in dem es mehr als die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet, weiter verschleppen oder das Umfeld sich generell verschlechtern sollte.
Ein Verkauf der nicht mehr benötigten Fabrik in Malaysia brächte Linderung an der Schuldenfront. Im Herbst war die Rede von zehn Interessenten dafür, sagt Stephan Sola, Manager des Plutos-Schweiz Fund. Seither habe sich das Interesse bedingt durch das eingetrübte Marktumfeld verringert. Das Management ist gefordert, eine Lösung zu finden.
Per Ende Dezember hat AMS Osram liquide Mittel von 1,1 Mrd. € gehalten, wobei im März noch Wandelanleihen über 445 Mio. € zurückzuzahlen sind. Hinzu kommt, dass Minderheitsaktionäre noch 14% an der akquirierten Osram halten. Im zweiten Halbjahr könnte die Kammer für Handelssachen beim Landgericht München dazu einen Entscheid treffen, sagt Sola. Im schlimmsten Fall, mit dem der Fondsmanager nicht rechnet, wären dann 700 Mio. € fällig, um die verbliebenen Osram-Aktionäre auszukaufen.
AMS Osram und den Aktien ist grundsätzlich viel Erholungspotenzial zu bescheinigen. Doch das finanzielle Risiko bleibt hoch, weshalb The Market zu Vorsicht rät.
Die SMIM-Unternehmen SGS und SIG Group haben – oder hatten – eine angespannte Bilanz. Beim Warenprüfer SGS war, auch infolge hoher Ausschüttungen an die Aktionäre, bis Ende 2023 die Eigenkapitalquote auf unter 8% gesunken und die Nettoverschuldung auf das Zweifache des Ebitda gestiegen.
Ein Wechsel an der Konzernspitze läutete eine Wende zum Besseren ein: Géraldine Picaud, CEO seit März 2024, hat frischen Wind gebracht. Die Bilanzlage verbessert sich bereits – auch weil der Warenprüfer seinen Aktionären zum zweiten Mal in Folge das Angebot unterbreitet, die Dividende in Form von neuen Aktien zu entrichten, was eine kleine Kapitalerhöhung bedeutet.
SIG Group, die Abfüllanlagen und Getränkekartons anbietet, wies zuletzt Nettoschulden in Höhe des Dreifachen des Ebitda aus. Angestrebt wird, sie auf rund das Zweifache zu reduzieren. Die Verschuldung steht aber nicht im Fokus der Anleger, sondern die operativ schwierige Situation.
Nachdenklich stimmt, dass die Titel von SIG Group zu den zehn am meisten leerverkauften Schweizer Aktien gehören, so wie die der stark verschuldeten Unternehmen Adecco, Barry Callebaut oder AMS Osram.
Dem SMIM hatten auch DocMorris und Meyer Burger angehört. Erstere fiel 2023 aus dem Mid-Cap-Index, Letztere im vergangenen Jahr. Die Onlineapotheke DocMorris hat die Wachstumserwartungen wiederholt enttäuscht, der Cashflow ist weiter negativ. Damit bleibt die Liquidität ein Problem. Die Zürcher KB geht von einer Kapitalerhöhung um 20% aus und rät bis dahin von einem Kauf der Aktien ab.
Der Solarmodulhersteller Meyer Burger verbrennt Geld, die Nettoverschuldung ist zuletzt auf rund 400 Mio. Fr. gestiegen. Das von der früheren Führung ausgeheckte Geschäftsmodell hat sich nicht umsetzen lassen: Die erhoffte politische Unterstützung und die Subventionen blieben aus.
Das Beispiel Meyer Burger zeigt: Die Grundvoraussetzung, um eine desolate Bilanz ins Gleichgewicht zu bringen, ist ein funktionstüchtiges Geschäftsmodell. Dann kann, häufig unterstützt durch einen Führungswechsel, die Wende gelingen. So wie es der Backwarenhersteller Aryzta vorgemacht hat.