Eine 34-Jährige musste sich wegen einer ganzen Reihe von Delikten vor dem Bezirksgericht Bülach verantworten.
Die 34-jährige Schweizerin hatte unbestritten ein Alkoholproblem. Sie sitzt bereits im vorzeitigen Massnahmevollzug in der Justizvollzugsanstalt Hindelbank. Seit Monaten habe sie keinen Alkohol mehr getrunken, versichert sie am Mittwoch am Bezirksgericht Bülach und verspricht für die Zukunft: «Alkohol lasse ich ganz weg. Da bin ich sicher.» Ihre Verteidigerin erklärt, die Beschuldigte habe in nicht alkoholisiertem Zustand keinerlei kriminelle Energie.
Die Anklageschrift ist 16 Seiten lang. 14 verschiedene Straftatbestände sind eingeklagt, zum Teil mehrfach. Im Mai und Juni 2021 griff die Hausfrau während Streitigkeiten zweimal ihren Ehemann mit Messern an und verletzte ihn leicht, beim ersten Mal am linken Unterarm, beim zweiten Mal am rechten Oberarm. Eingeklagt sind einfache Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung.
Nach dem zweiten Streit begab sich der Ehemann mit der Wunde auf den Balkon, um zu rauchen. Die Beschuldigte sperrte ihn aus, was in der Anklage als Freiheitsberaubung aufgeführt ist. Die Frau soll dem Ehemann zudem mehrfach gedroht haben, ihn und auch seine Eltern umzubringen und deren Bauernhof anzuzünden. Ausserdem drohte sie damit, sich selber zu töten. Später verstiess sie auch gegen ein angeordnetes Kontaktverbot.
Intensives Stalking und falsche Anschuldigung
Im April 2022 lernte sie über eine Online-Dating-Plattform einen anderen Mann kennen. Es kam zu einem Treffen mit Sexualkontakt. Der Mann wollte den Kontakt aber schon bald abbrechen. Darauf stalkte sie ihn, rief ihn bis zu 81 Mal am selben Tag an. Schliesslich reichte sie bei der Polizei eine Strafanzeige ein, worin sie behauptete, sie sei von diesem Mann geschändet und vergewaltigt worden.
Sie schickte auch eine E-Mail an den Arbeitgeber ihres Online-Dates. Darin stand (wörtlich mit allen Fehlern): «er hät mini kollig vergewaltigt und jetzt sucht in polizei ich dill jetzt mit dem rede.» Die E-Mail ging an die allgemeine Geschäftsadresse des Bekannten. Nicht nur der Chef, sondern auch alle Mitarbeiter konnten sie lesen.
Gemäss Angaben des Staatsanwalts musste der Betroffene deshalb seine Arbeitsstelle wechseln. Ein Strafverfahren gegen den Mann wurde von der Staatsanwaltschaft später eingestellt.
Auch körperliche Übergriffe gegen den Bruder des Ehemanns sind in der Anklageschrift aufgeführt. Zudem soll sie diesen als «Arschloch», «Krüppel» und «Behinderten» bezeichnet haben. Der Bruder sitzt im Rollstuhl.
Kein Besuch der Kinder im Gefängnis
Die Beschuldigte hat keine Berufsausbildung, war Hausfrau und von ihrem Ehemann finanziell abhängig. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, die heute 8 und 10 Jahre alt sind. In der Befragung gibt die Mutter an, ihre Kinder nicht mehr gesehen zu haben, seit sie im Gefängnis sitze. Sie wolle ihnen das nicht zumuten. Sie habe auch nur einmal mit ihnen telefoniert. Im Mai 2022 war sie verhaftet worden, seit September 2022 sitzt sie im vorzeitigen Massnahmevollzug.
Im psychiatrischen Gutachten werden ihr eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung und eine Alkoholabhängigkeit attestiert. Auch von einer Anpassungsstörung, einem unterdurchschnittlichen IQ mit Lernbehinderung und ADHS ist die Rede.
Bei der gerichtlichen Befragung erklärt die Beschuldigte, ihre im Vollzug begonnene Therapie auch in der Freiheit weiterführen zu wollen. Ihr Wunsch sei eine ambulante Massnahme. Mit einer stationären Massnahme sei sie nicht einverstanden, weil sie dann zu lange von ihren Kindern und ihren Eltern getrennt wäre.
Sie wolle eine Berufsausbildung nachholen, wisse aber noch nicht was. Sie sei immer noch verheiratet, möchte sich aber scheiden lassen. Zu ihren Zukunftsplänen befragt, sagt sie: «Ein normales, schönes Leben.»
Zu den strafrechtlichen Vorwürfen nimmt sie im Gerichtssaal keine Stellung und macht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
Der Staatsanwalt fordert drei Jahre Gefängnis
Der Staatsanwalt verlangt eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten, eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen und 1000 Franken Busse. Es sei eine ambulante Massnahme zur Suchtbehandlung während des Strafvollzugs anzuordnen. Eventualiter sei die Strafe zugunsten einer stationären Massnahme aufzuschieben.
Die Sachverhalte seien objektiv erstellt, auch wenn sie von der Beschuldigten in der Schlusseinvernahme bestritten worden seien. Zum Teil habe die Frau einen angeblichen Filmriss wegen ihres Alkoholkonsums geltend gemacht.
Die Verteidigerin plädiert auf Freisprüche in Bezug auf die schwersten Delikte wie versuchte schwere Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Für eine einfache Körperverletzung, mehrfache versuchte Drohungen und weitere Delikte sei die Frau zu einer bedingten Freiheitsstrafe von maximal 15 Monaten zu verurteilen.
610 Tage seien durch Haft erstanden. Die Strafe sei zugunsten einer ambulanten Massnahme aufzuschieben und die Frau sofort aus dem Strafvollzug zu entlassen.
Die Beschuldigte habe Fehler begangen, verfüge aber nicht über kriminelle Energie. Weil sich ihr Ehemann von ihr habe trennen wollen, habe sie Existenzangst bekommen. Die Taten seien aus einer grossen emotionalen Überforderung heraus erfolgt. Die Beschuldigte sei selber erschrocken, als sie ihrem Ehemann Stichverletzungen zugefügt habe. Der körperlich überlegene Ehemann sei durch die Drohungen auch nie in Angst und Schrecken versetzt worden.
26 Monate Freiheitsstrafe, ambulante Massnahme
Das Bezirksgericht Bülach verzichtet auf eine mündliche Urteilseröffnung und teilt das Urteil am Folgetag schriftlich ohne Begründung mit: Die 34-jährige Schweizerin wird der mehrfachen einfachen Körperverletzung (und nicht der versuchten schweren), der falschen Anschuldigung, der mehrfachen Drohung, der mehrfachen Nötigung und weiterer Delikte schuldig gesprochen.
Von drei Vorwürfen wird sie freigesprochen, unter anderem vom Vorwurf der Freiheitsberaubung aufgrund des Aussperrens des Ehemanns auf den Balkon. Das Gericht fällt eine Freiheitsstrafe von 26 Monaten aus, eine bedingte Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 30 Franken und eine Busse von 600 Franken. 610 Tage Haft sind bereits erstanden. Es wird eine ambulante Massnahme angeordnet und die Freiheitsstrafe zugunsten dieser ambulanten Massnahme aufgeschoben.
Urteil DG230033 vom 17. 1. 2024, noch nicht rechtskräftig.