Sex, Terror und ewiger Kampf – der Wahnsinn hat System im grotesk-ekstatischen Thriller von Paul Thomas Anderson.
Die Verbindung von Sex und Waffen hat schon so manche Bildfolge in der Filmgeschichte befeuert. Wenn allerdings die tänzelnde Widerstandskämpferin Perfidia (Teyana Taylor) mit gezückter Pistole den vor ihr sitzenden Colonel Lockjaw (Sean Penn) dazu auffordert, eine Erektion zu bekommen, während ihre Widerstandsgruppe ein unter seinem Kommando stehendes Lager mit inhaftierten Migranten befreit, wird das bekannte Prinzip auf eine absurde Spitze getrieben.
Diese Erregung treibt letztlich den ganzen Film an. Ach was, die ganze amerikanische Politik, wenn man Paul Thomas Anderson konsequent folgt. Lockjaw wird sich rächen, aber er lechzt auch nach der schwarzen Frau, die er schliesslich zu sexuellen Handlungen zwingt. Die Verbindung zu ihr muss er später verbergen, als er einer weissen Rassistenmiliz beitreten will.
Gleichzeitig entfernt sich Perfidias eigentlicher Partner, der drogenabhängige Bombenbastler Bob (Leonardo DiCaprio), zunehmend vom Widerstandskampf, um sich der gemeinsamen Tochter Willa (Chase Infiniti) zu widmen. Lange wird das nicht gutgehen, denn Lockjaw sucht die Tochter, die seine sein könnte. Es wird in «One Battle After Another» so viel geschehen, dass man es kaum fassen kann. Wer sich gern im Kinosessel zurücklehnt und entspannt, ist hier völlig falsch.
Das Paradoxe zelebrieren
Sich lose an Thomas Pynchons Roman «Vineland» orientierend, fährt Anderson einen auf Vistavision gedrehten Rausch von einem Film auf, bei dem alles irgendwie auseinander hervorgeht. Allerdings nie so, wie man es eigentlich erwartet. So wird die Flucht des bekifften Bob vor dem rachewütigen Lockjaw und dessen Schergen von einem plötzlichen Fall vom Dach gestoppt. Überhaupt gelingt den Figuren erstaunlich wenig. Alle stolpern, fürchten sich, wären lieber anderswo. Die Helden müssen sich erst zeigen, es sind nicht die, die es gewöhnlich sind.
DiCaprio legt seinen keineswegs heldenhaften Bob als eine Mischung aus dem Dude aus «The Big Lebowski» und seinen eigenen Porträts einer Paranoia wie in «The Aviator» an. In einer herrlichen Sequenz fällt Bob die Uhrzeit nicht mehr ein, die er als Code am Telefon mit seinen Kontakten nennen muss. Verzweifelt schreit er minutenlang in den Hörer. Dass ihm Sensei (Benicio del Toro), ein ebenfalls verkappter Widerstandskämpfer, mit stoischer Ruhe bereits lange zuvor genau diese Uhrzeit genannt hat, gehört zu den Reizen des Films, der das Paradoxe zelebriert.
Missverständnisse, Lügen und Ungesagtes treiben den Plot unablässig voran. Nie weiss man, wohin. Dieses Kino lebt, es ist unberechenbar. Sämtliche Figuren sind atemlos, hilflos, sie reiben sich zwischen Zufällen und Lebensprinzipien auf. Sean Penn erinnert wieder einmal daran, was für ein fulminanter Schauspieler er ist, wenn er zerbrechlich mit Dauererektion durchs Bild wankt. Er hält der Lächerlichkeit jener rechtsradikalen Zombies, die ihre ideologische Gesinnung aus männlicher Unsicherheit schöpfen, den Spiegel vor. Allein sein verkümmerter Seitenscheitel erzählt mehr als lange Dialogszenen in anderen Filmen.
Eine Welt ohne Fokus
An einer Stelle springt der von der Musik Jonny Greenwoods durchzogene Film sechzehn Jahre in die Zukunft. Dann wieder strecken sich wenige Augenblicke in eine spannungsgeladene und abstruse Ewigkeit. Man wähnt sich auch aufgrund des analogen Looks in einer seltsamen Zwischenzeit. Mit einer an die siebziger Jahre erinnernden Widerstandsgruppe, die auf der real existierenden Weathermen-Organisation basiert und die nun in die Gegenwart transportiert wird – durch den Filter von Pynchon, der sich eigentlich an Reagans Amerika der 1980er abarbeitete.
Der Film zeigt Wendepunkte der Geschichte, das ist Teil seiner Dringlichkeit. Die USA sind dem Titel gemäss nicht in einem einzelnen Kampf verstrickt, sondern in Kämpfen, die sich immer weiter fortsetzen. Hie und da droht der Film den Fokus zu verlieren, aber womöglich ist genau das sein Punkt: eine Welt ohne Fokus zu zeigen. Es liegt wohl am jeweiligen Zuschauer, ob man «One Battle After Another» als irren Trip oder als radikal politischen Film auffasst.
Die überladene Gleichzeitigkeit ist letztlich ein Symptom der derzeitigen Lage in den USA. Der Wahnsinn hat System, die politische Farce und der Kampf ums Überleben gehen Hand in Hand. Manchmal glaubt man sich in einer grossen Metapher auf einen drohenden amerikanischen Bürgerkrieg oder die Maga-Bewegung. Dann wieder findet man sich schlicht in einem absurden Thriller ohne Boden. Und plötzlich ist man ganz gerührt, ob der Erzählung eines Vaters, der sich um seine Tochter sorgt.
Über diesen Film wird noch lange gesprochen
Dabei ist es keineswegs so, dass Anderson den linken Widerstandskampf idealisiert. Er zeigt dessen Irrwege genauso schonungslos auf wie die Unmenschlichkeit auf der anderen Seite. Zum ersten Mal findet das Kino so eine produktive Antwort auf das beklemmende Zeitalter heute, in dem man sich nie sicher sein kann, ob alles nur ein schlechter Witz ist oder bald in sich zusammenfällt.
Die Antwort kommt nicht in Form einer Auflösung, sondern in einem Ausblick, der die womöglich verlorenen Kämpfe einer linken Vätergeneration als Auftrag an die Töchter weitergibt. Die trotzige Würde von Bobs Tochter Willa wird durch so etwas wie Hoffnung lebendig gehalten. Hoffnung mag ein grosses Wort sein; es ist im «waste land» des Films mit seinen explodierenden Bomben und unmenschlichen Machtspielen aber angebracht.
Wenn die Kamera am Ende in einer ekstatischen Sequenz drei sich verfolgenden Autos auf den steil an- und absteigenden Wüstenstrassen mit schwindelerregender Brennweite folgt, weiss man, dass man einen jener Filme sieht, über die noch lange gesprochen wird. Anderson bedient die Sehnsüchte all jener, die noch an die ästhetische Wucht eines Erzählkinos glauben, das zugleich sinnliches Erlebnis wie politischer Kommentar ist. Seine Mittel sind nicht reisserisch, aber sie sind auch nicht zu subtil. Er versteckt seinen Glauben an das Kino nicht. Und das ist ansteckend.
«One Battle After Another»: Ab 25. 9. im Kino.







