Sie wollten 2017 von Südafrika nach Australien segeln. Doch nur Stunden nach dem Start endete die Fahrt der «CV24». Schnell machte man den Skipper verantwortlich. Doch eine genauere Betrachtung zeigt, dass das Problem woanders lag.
Als am 31. Oktober 2017 der Wind zunimmt und dreht, bereitet die Crew der Segeljacht «CV24» das Manöver zur Kursänderung vor. Dunst verschlechtert die Sicht, es ist dunkel, und einige Segler in der 18-köpfigen Crew sind ungeübt.
Die 21 Meter lange Jacht des Typs Clipper 70 rauscht auf die Kaphalbinsel zu, auf einen Punkt an der Küste zwischen dem Tafelberg und dem Kap der Guten Hoffnung. Die «CV24» fährt mit einer Geschwindigkeit von 12 Knoten (22 km/h). Dem Skipper ist es wichtig, dass das Halse-Manöver mit dem 330 Quadratmeter grossen Spinnaker-Segel bei dem starken Wind kontrolliert und sicher gefahren wird.
Als die Leinen sortiert und die Abläufe für das Manöver mit der Crew besprochen sind, fällt eine Böe ein. Die Jacht legt sich auf die Seite, läuft aus dem Ruder, dreht sich Richtung Wind. Es vergehen weitere Minuten, bis es die Crew schafft, das Boot unter Kontrolle zu bringen. Minuten, in denen sich die «CV24» dem Ufer nähert, einem Ufer, das für die Crew nicht zu sehen ist, sondern nur für den Skipper.
Er leitet das Manöver spät ein, die Crew dreht den Bug endlich von der Küste in Richtung des offenen Meeres. «Gerade noch rechtzeitig», dürfte sich der Skipper gedacht haben.
Doch dann geht ein Zittern durch die «CV24». Knirschend frisst sich der Kiel in den Sand, bis ein Felsen der Jacht die letzte Fahrt nimmt. Die «CV24» ist gestrandet. Nur 250 Meter von der Küste entfernt. Die Crew wird in den folgenden Stunden von den südafrikanischen Seenotrettern geborgen. Niemand ist schwer verletzt. Aber die Jacht hat einen Totalschaden. Wie konnte es zu diesem Unfall kommen?
Die Crew ist nur wenige Stunden vor der Strandung am frühen Nachmittag aus der Marina von Kapstadt zu einer Passage über den Indischen Ozean aufgebrochen. Das Ziel: Fremantle an der australischen Westküste.
Gegen 19 Uhr 20 kommt eine mässige Brise aus Nordosten auf, so dass die Jacht auf Südkurs gehen kann. Zusätzlich zum Grosssegel wird auf diesem Kurs mit Wind von schräg hinten – Segler bezeichnen ihn als Raumschotskurs – der asymmetrische Spinnaker gesetzt.
Dieses grosse Segel kann nur auf diesem speziellen Kurs gefahren werden. Fällt der Wind weiter von vorn ein, wird der Winddruck in dem bauchigen Segel zu stark, und die Jacht lässt sich nicht mehr kontrollieren – so geschehen in der Böe kurz vor dem Manöver. Kommt der Wind zu sehr von achtern (hinten), gerät es in den Windschatten des Grosssegels und fällt ein.
Der Wind frischt rasch auf
Ab 20 Uhr 16 beginnt der Wind langsam, aber stetig von Nordost nach Norden zu drehen und sich von einer leichten zu einer frischen Brise zu entwickeln. Entsprechend ändert der Steuermann kontinuierlich den Kurs der Jacht nach Osten, damit der Spinnaker nicht in die Abdeckung des Grosssegels kommt. Die rote Linie in der Seekarte der Gewässer um die Kaphalbinsel stellt den Weg der Jacht, der sich daraus ergibt, dar: Es ist ein Weg, auf dem sich das Boot gefährlich in Richtung Land bewegt.
Weshalb es aus dieser Situation zu einer Strandung gekommen ist, lässt sich rückblickend als eine kurze Geschichte von Fehlern und Unterlassungen des Skippers erzählen:
Die Winddrehung und -zunahme wurde in der Wetterprognose genau vorhergesagt. Diese Wettervorhersage lag dem Skipper vor. Er hätte also wissen müssen, dass sich der Kurs der Jacht in Richtung der Küste verändern würde und dass ein Manöver zur Kursänderung bei zunehmendem Wind mit ungeübter Crew und diesem Segel schwierig zu fahren sein würde.
Da der Skipper selbst bei der Vorbereitung des Manövers an Deck geholfen hat, war er von der Navigation abgelenkt. Die wichtigste Aufgabe eines Skippers ist es jedoch, jederzeit eine sichere Fahrt des Schiffes zu gewährleisten.
Kurz gesagt: Der Skipper hat die Situation der Jacht offenbar falsch beurteilt. Er hat die Fähigkeiten seiner Crew, in kurzer Zeit das Manöver zur Kursänderung fahren zu können, überschätzt und deshalb zu spät damit begonnen. Und er hat die Navigation vernachlässigt. Möglicherweise hat er eine laxe Einstellung zu Belangen der Sicherheit oder sich gar bewusst dafür entschieden, sich fahrlässig zu verhalten. Der Unfall der «CV24» wäre demnach nur eine Folge des individuellen Fehlverhaltens dieses einen Skippers.
Verkettung von verschiedenen Ursachen
Dies ist die weitverbreitete Sichtweise von Unfällen mit menschlicher Beteiligung. Doch menschliche Fehler passieren nicht zufällig oder weil ein Skipper kein Interesse an der Sicherheit seiner Jacht hat. Sie sind vielmehr systematisch mit den Aufgaben, die die Menschen bewältigen müssen, den Hilfsmitteln und Ressourcen, die sie dafür zur Verfügung haben, und dem Umfeld, in dem sie agieren, verknüpft. Es lässt sich selten beweisen, dass nicht nur menschliches Versagen zu einem Unfall führt. Bei der «CV24» ist es aber so.
Denn die «CV24» war nicht allein in den Gewässern um das Kap unterwegs. Mit ihr sind elf baugleiche Jachten zur selben Zeit und mit demselben Ziel von Kapstadt aus gestartet. Diese zwölf Jachten bestreiten die dritte Etappe des «Clipper Round the World Yacht Race».
Bei diesem Rennen können Segler und Menschen, die es noch nicht sind, den Traum einer Weltumsegelung – oder Teiletappen davon – verwirklichen, sofern sie die Auswahlkriterien erfüllen und ein vierwöchiges Vorbereitungstraining absolvieren. Die Crews bei diesem Rennen bestanden deshalb aus einem beim Veranstalter Clipper Ventures PLC fest angestellten, professionellen Skipper und siebzehn beziehungsweise achtzehn zahlenden Teilnehmern pro Boot.
Wie sind die elf anderen Jachten mit der Situation klargekommen? Bei der Rekonstruktion der Routen der Schwesterschiffe zeigt sich, dass acht weitere Jachten eine Strecke ganz ähnlich jener der «CV24» gesegelt sind.
Die Jacht «CV31» fährt ihr Manöver sogar noch später als die «CV24»: lediglich 190 Meter vom Ufer entfernt. Und dies erst in dem Moment, als die Crew mehrere Stösse gegen den Rumpf der Jacht wahrnimmt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat also auch die «CV31» eine Grundberührung, kommt jedoch sofort wieder frei.
Selbst die «CV30», eine der wenigen Jachten, auf denen kein Spinnaker-Segel gesetzt worden ist, fährt etwa 4 Kilometer südlich der Unfallstelle über die Albatross Rocks, ein Felsriff, von dem sie nur noch die sprichwörtliche Handbreit Wasser unter dem Kiel trennt.
Bei einem Blick auf die Unfallhistorie der Clipper-Ventures-Jachten in der Kategorie Grundberührungen stellt sich heraus, dass bis zum Unfall an der Kaphalbinsel achtzehn weitere Meldungen zu Grundberührungen und Strandungen vorgelegen haben. Dadurch wird deutlich, dass die Strandung der «CV24» kein individuelles Problem des Skippers ist, sondern eine Kombination verschiedener Umstände.
Menschen, die in komplexen und dynamischen Umfeldern verantwortungsvolle Positionen innehaben, also etwa mit einer Jacht auf dem Meer segeln, in einem Operationssaal im Krankenhaus arbeiten oder ein Flugzeug steuern, befinden sich bildlich gesprochen in einem Dauerregen aus Fehlern und Gefahren.
Dennoch ist man geneigt, wenn etwas schiefgeht, den Skipper, den Arzt oder den Piloten allein dafür verantwortlich zu machen. Ein Schwachpunkt dieser Fokussierung auf individuelles Fehlverhalten ist, dass damit der Blick auf die Umstände verlorengeht, unter denen es zu diesen Fehlern gekommen ist.
Im Ergebnis werden zwei wesentliche Eigenheiten menschlicher Fehler übersehen: Zum einen, dass sie nicht zufällig passieren, sondern bestimmten Mustern folgen. Unter ähnlichen Umständen kommt es zu ähnlichen Fehlern, unabhängig davon, welche Personen involviert sind. Zum anderen wird ignoriert, dass Unglücke nicht das Privileg einiger schwarzer Schafe sind. Es können die Besten ihrer Profession sein, denen die schlimmsten Fehler passieren.