Die dramatischen Rettungsaktionen für zwei Jachten auf hoher See betonen die Wichtigkeit, die Seetüchtigkeit der Jacht und die eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen.
Wenn es bei Segeljachten zu Zwischenfällen kommt, denken viele zunächst an ein Versagen der Crew. Oft aber kommt es zum Unglück, wenn die Jacht für einen bestimmten Törn gar nicht geeignet ist. Verschärft wird die Situation durch plötzliche Unwetter oder Besonderheiten des Segelreviers, in dem man segelt – etwa in der unberechenbaren Biskaya.
Nicht zuletzt kann externer Druck – zum Beispiel durch eine nur kurze Urlaubszeit oder ein anvisiertes Reiseziel, besondere Unfallrisiken mitverursachen. Kommt hinzu, dass die Fähigkeiten der Crew für die Segelfahrt nicht ausreichen, sind mögliche Jachtunfälle vorprogrammiert.
Erfahrene Segler empfehlen daher, sich als Crew und Skipper geeignete Grenzen zu setzen, die nicht über das eigene Können hinausgehen. Das fängt an bei Wind und Welle: Welche maximale Windstärke oder Wellenhöhe können Jacht und Crew aushalten? In welchen Wind- und Wellenbereichen hat man mit seiner Jacht noch alles unter Kontrolle? Mangelt es an Erfahrung oder liegt die Erinnerung an den letzten Starkwind zu lange zurück, hält man sich am besten streng an die vom Jacht-Hersteller vorgegebenen Limits.
Da gibt es etwa die in der CE-Klassifikation für Sportboote vorgegebenen Design-Kategorien für Sportboote. Viele grössere Segeljachten erfüllen nur die Kriterien für die Design-Kategorie bis 8 Beaufort Wind und 4 Meter Wellenhöhe. Das sieht man ihnen auf den ersten Blick nicht an, denn es handelt sich oft um jene Varianten mit vermindertem Tiefgang, deren Schwesterschiffe mit Standardkiel in eine hochseetaugliche Kategorie fallen. Hat der Segler vor, sich mit einer dieser B-Jachten auf hohe See zu begeben, sollte er sich gut überlegen, wie weit er sich von einem sicheren Hafen entfernen will.
Zwei Zwischenfälle mit 39-Fuss-Jachten der Design-Kategorie B eines deutschen Grossserienbootsbauers zeigen besonders deutlich, was passieren kann, wenn sich Segler jenseits ihrer Fähigkeiten und der ihrer Jacht bewegen.
Rettung aus dem Wasser bei Orkanstärke
Im Jahr 2019 gerät die Segeljacht «Loa Zour» auf ihrer Reise von Irland nach Nordspanien in der äusseren Biskaya unerwartet in den Sommersturm «Miguel». Am Nachmittag des vierten Tages auf See nimmt der Wind unvermittelt zu und frischt innerhalb kurzer Zeit auf Windstärke 8 auf. Am Abend erreicht die Windstärke 10 Beaufort, in Böen 11.
Mit einer derartigen Wetterverschlechterung hat niemand an Bord gerechnet. Auch deshalb nicht, weil über die Handy-Apps auf See keine Wettervorhersagen eingeholt werden können. Kurz nacheinander zerfetzen die gerefften Rollsegel. Die Crew bringt nun den Seeanker aus, um die Jacht mit dem Bug gegen die brechende See zu halten.
Doch das Ergebnis ist unbefriedigend: Immer wieder wird der Bug der Jacht aus dem Wind gedrückt, so dass die «Loa Zour» querschlägt und von den Brechern gefährlich gekrängt wird. Selbst mit Motorunterstützung ist eine Stabilisierung der Lage nicht möglich. Die Crew sucht Zuflucht in der Kabine, wo sie sich aber kaum halten kann und mitansehen muss, wie regelmässig Wasser durch die Lüftungen und Schlitze zwischen den Niedergangsschotten, also den Zugangstüren zum Innenraum, eindringt. Mindestens zweimal neigt sich die Jacht so weit auf die Seite, dass der Mast das Wasser berührt.
Um 20 Uhr 30 sieht der Skipper die Lage als so gefährlich für die Crew und die Jacht an, dass er entscheidet, den Seenotfall auszurufen. Die Rettungsfunkbake, also ein Notsignal-Sender, wird aktiviert, und ein Segler sendet über UKW-Sprechfunk «Mayday» aus.
Einige Zeit später trifft ein Rettungshelikopter der spanischen Küstenwache ein. Da die «Loa Zour» sich jedoch zu heftig im Seegang bewegt und ein Hochseilen von Bord der Jacht zu riskant ist, wird beschlossen, die Crewmitglieder einzeln aus dem Wasser zu bergen. Die Rettung gelingt, und die komplette Crew wird nach A Coruña geflogen.
Zu dieser Zeit berichtet die Helikopterbesatzung von Windstärke 11 bis 12 (Orkan) bei einer Wellenhöhe zwischen 4 und 6 Metern.
Der offizielle Unfallbericht kritisierte die Crew der «Loa Zour» hart: «Die Jacht operierte ausserhalb ihrer Design-Kategorie B, und die Crew hatte nicht genügend Erfahrung, Training und Kompetenz, um sich angemessen auf die Reise und die möglichen extremen Wetterbedingungen vorzubereiten.» Auch wenn es keine Menschenopfer gab: Hätten sich Crew und Skipper innerhalb der eigenen Möglichkeiten bewegt und die Fähigkeiten der Jacht richtig eingeschätzt, hätten sie sich den Risiken im Golf von Biskaya nicht ausgesetzt.
Rettungsinsel oder dritter Mann?
Weniger glücklich endet die Reise über die Biskaya für die dreiköpfige Crew der «Ocean Madam». Die Jacht startet ihren Törn von Malta nach Plymouth Ende September 1997. Für einen Tankstopp läuft die Crew A Coruña an. Dort holt sie am 7. Oktober einen Wetterbericht ein und sieht sich mit einer Vorhersage konfrontiert, nach der im Verlauf der Biskaya-Überquerung mit Wind aus Südwest bei Windstärke 7 bis 8 zu rechnen ist.
Im Vertrauen darauf, diese Bedingungen beherrschen zu können, entscheidet der Skipper, auszulaufen. Einen Tag nach dem Auslaufen ist die «Ocean Madam» zunehmend hohen Windgeschwindigkeiten und rauer See mit brechenden Wellen ausgesetzt. Am Abend des 8. Oktobers wird sie zweimal von Brechern gekentert.
Nach der ersten Kenterung richtet sie sich sehr langsam wieder auf. Nach der zweiten, etwa eine Stunde später, bleibt sie jedoch knapp eine Minute in der Kiel-oben-Lage. Dabei verliert eines der Crewmitglieder den Kontakt zur Jacht, obwohl der Mann mit einem Lifebelt (Sicherheitsgurt) gesichert war. Vermutet wird, dass er sich aus der untergetauchten Position im Cockpit zum Atmen befreien wollte und deshalb seine Sicherheitsleine gelöst hat.
Während der Kiel-oben-Lage sieht der dritte Segler von der Kajüte aus, wie die Steckschotten, die den Eingang zur Kajüte als Türen verschliessen, der Schwerkraft folgend herausfallen. Wasser dringt in grosser Menge durch die entstandene Öffnung ins Schiff. Der Skipper schafft es, sich von seinem Lifebelt loszumachen und zum Heck hin frei zu tauchen.
Nachdem die Jacht sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder aufrichtet, gelingt es ihm, über die Badeleiter wieder an Bord zu klettern. Die beiden Überlebenden sind in Anbetracht der entmasteten, teilweise gefluteten Jacht im Dunkeln und bei hohem Seegang in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt.
Die Bordelektrik ist ausgefallen, und die Rettungsinsel hat sich von ihrer Befestigung auf dem Deckaufbau losgerissen und aufgeblasen. Die beiden Segler können die Rufe ihres im Wasser treibenden Freundes noch hören. Ihre erste Priorität gilt jedoch der Rettungsinsel, die sie wieder unter Kontrolle bringen wollen.
Der auf der Jacht verbliebene Mitsegler aktiviert die Rettungsfunkbake. Danach setzt er sich in das aufgeblasene Rettungsfloss, um es mit seinem Gewicht zu beschweren. Der Skipper hält es fest. Bevor ihnen die Sicherung der Rettungsinsel gelingt, wird die «Ocean Madam» abermals von einem schweren Brecher erwischt, der das Rettungsfloss mitsamt Skipper und Crewmitglied endgültig von Bord spült. Die Verbindungsleine zur Jacht bricht, und ein weiterer Brecher bringt die noch nicht verschlossene Rettungsinsel zum Kentern.
Zu diesem Zeitpunkt ist kein Kontakt mehr zum dritten Mann möglich, und der Kampf ums eigene Überleben wird zur alles beherrschenden Priorität. Die ganze Nacht harren die Männer an die Rettungsinsel geklammert aus, bis sie um 5 Uhr 30 von den französischen Rettungskräften geborgen werden. Der dritte Segler wird nie gefunden.
Im Unfalluntersuchungsbericht der «Ocean Madam» nennen die Ermittler unter anderem zwei Fakten, die zum Unglück beitrugen: Die beiden Crewmitglieder waren für die lange Überfahrt nicht erfahren genug. Und: Der Skipper schätzte die Fähigkeiten der «Ocean Madam», in stürmischem Wetter zu bestehen, zu optimistisch ein.
Die beiden Unglücke machen es nicht nur für Segler deutlich: Die eigenen Grenzen erkennen und die Design-Limits der verwendeten Jacht respektieren.
Quellen: MAIB (1998): Investigation into the capsize of the Yacht Ocean Madam with the loss of one life in the Bay of Biscay 8 October 1997; MCIB (2020): Report of investigation into an incident off the north coast of Spain involving the Irish registered yacht Loa Zour on 6th June 2019.