Das Denken sei unbegrenzt, davon war der Dominikanermönch Giordano Bruno überzeugt. In einer brillanten Biografie schildert der Historiker Volker Reinhardt das Leben eines Intellektuellen, der seiner Zeit fremd war.
Einer wie er musste auf dem Scheiterhaufen landen, in einer Zeit, wo es nur auf den rechten Glauben ankam. Den hatte Giordano Bruno nicht. Weder für die Katholiken noch für die Protestanten. Von Dogmen hielt er nichts, kein Sakrament war ihm heilig, und wenn die Lehren der Kirche mit der Vernunft in Konflikt gerieten, stand er selbstverständlich auf der Seite der Vernunft. Dem Denken durften keine Fesseln angelegt werden, das war seine tiefe Überzeugung. Und was man denken konnte, das musste man auch sagen dürfen.
Für diese Haltung büsste Giordano Bruno mit dem Leben. Am 17. Februar 1600 wurde der ehemalige Dominikanermönch wegen Ketzerei verbrannt. In Rom, auf dem Campo de’ Fiori. Ein Justizmord, wie Volker Reinhardt in seiner neuen Biografie Giordano Brunos bilanziert: ein Exempel, das die Inquisition statuierte. Für die Pilger, die im heiligen Jahr nach Rom strömten. Und das Ganze nach einem Prozess, in dem die Verfahrensregeln bedenkenlos gebrochen worden waren, wie Reinhardt aus den Akten und neu entdeckten Dokumenten rekonstruieren kann.
Die Ankläger hatten sich Zeit gelassen. Rund acht Jahre hatte das Verfahren vor der Inquisition gedauert. Bruno war inhaftiert, immer wieder war er zu Verhören vorgeladen worden, seine Schriften hatte man auf Verstösse gegen die kirchliche Lehrmeinung geprüft. Vor der Hinrichtung wurde dem Verurteilten die Zunge festgebunden, aus Angst er werde sich an die Schaulustigen wenden. «Ich sterbe als Märtyrer und sterbe gern, und meine Seele wird aus den Flammen zum Paradies emporschweben», soll er gesagt haben, bevor er auf den Platz geführt wurde. Vom Kreuz, das ihm seine Henker hinhielten, wandte er sich ab.
Die Todsünde von Jesus
Mit dem Kreuz hatte Giordano Bruno seine Mühe. Christus sei nicht gekreuzigt worden, verkündete er einmal. Man habe ihn an eine Art Galgen geknüpft. Zudem habe Jesus eine Todsünde begangen, als er Gott am Karfreitag gebeten habe, dieser Kelch möge an ihm vorübergehen. Das war ein starkes Stück, aber in den Akten der Inquisition werden noch viel heiklere Behauptungen zitiert: Christus sei ein Hund und ein elender Bock gewesen. Es gebe weder Hölle noch Höllenstrafen, dafür aber viele Welten, darunter womöglich solche, die besser seien als unsere.
Ob alle Anschuldigungen gegen Bruno zu Recht vorgebracht wurden, ist schwer zu beurteilen. Dass er Konflikte nicht mied, steht fest. Als Novize im Kloster San Domenico Maggiore bei Neapel entfernte er alle Heiligenbilder aus seiner Zelle. Man solle allein Christus verehren, sagte er. Das machte ihn zum Verdachtsfall. Der Ruf des jungen Mannes war bald angeschlagen. Doch der Katalog an Ungeheuerlichkeiten, die er von sich gab, wurde rasch länger.
Es gab kein Tabu, an dem er nicht gerüttelt hätte. Die Dreieinigkeit hielt er für Unsinn, die Propheten für Lügner. Dass sich bei der Kommunion Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln, bezeichnete er als Irrlehre, und den Heiligen zu vertrauen, war seiner Ansicht nach lächerlich. Kain habe Abel zu Recht getötet, war er überzeugt, denn Abel sei ein Schurke und Tiermörder gewesen. Die Gebetbücher seien voller Fehler. Und überhaupt lasse sich nichts von dem, was die Kirche lehre, wirklich beweisen.
Kein Platz für Toleranz
Volker Reinhardts brillante Biografie erzählt Brunos Leben aus einer Fülle von Quellen. Detailreich und mit Sinn für dramatische Effekte. Das liest sich streckenweise wie ein Roman. Zugleich entsteht im Bild des mutigen Nonkonformisten das Panorama eines Jahrhunderts, in dem die Freiheit des Denkens von der Kirche systematisch unterdrückt wurde. Volker Reinhardt zieht von da Parallelen zur Cancel-Culture und zu Sprechverboten der Gegenwart, wenn er vor «neuen Inquisitionen und ihren nicht minder unduldsamen Wortführern im 21. Jahrhundert» spricht.
1548 in Nola nordöstlich von Neapel geboren, trat Filippo Bruno als Siebzehnjähriger in den Dominikanerorden ein. Er nahm den Ordensnamen Giordano an und liess sich zum Priester ausbilden. Schon bald kam es zu Konflikten, Anklagen und einem Verfahren wegen Ketzerei. Bruno musste Neapel verlassen und ging nach Rom, wohl um seinen Standpunkt vor dem Papst zu vertreten. Doch dazu kam es nicht. Er geriet unter Mordverdacht und musste die Stadt überstürzt verlassen. Die Mönchskutte legte er ab, aus dem Orden trat er aus.
Von da an war Bruno jahrelang in Europa unterwegs. Zuerst ging er nach Genf, wo er zum Calvinismus übertrat, dann nach Lyon, Toulouse und Paris. Von da nach Oxford und wieder nach Paris, dann nach Mainz und Marburg, Wittenberg und Tübingen, schliesslich über Zürich, Frankfurt und Padua nach Venedig: Er hielt Vorlesungen an Universitäten, debattierte mit Gelehrten, publizierte Bücher über Theologisches und Philosophisches und schrieb Gedichte und Traktate über Kosmologie oder Geometrie. Solange man ihn gewähren liess.
Quälend langsam
1592 wurde Giordano Bruno in Venedig festgenommen. Sein Gastgeber hatte ihn bei der Inquisition denunziert. Das Verfahren begann. Bruno gestand «Irrtümer» ein, machte Missverständnisse geltend, aber wehrte sich stets dagegen, theologische Dogmen infrage gestellt zu haben. Soweit man den Akten entnehmen kann, machte er weitgehende Eingeständnisse. Doch die belastenden Aussagen von Mitgefangenen und dubiosen Zeugen hatten am Ende mehr Gewicht als seine Schriften.
An den Kerngedanken seiner Philosophie hielt Bruno in allen Befragungen fest: dass Raum und Zeit unendlich seien, dass es eine Vielzahl von Welten gebe und dass alles Seiende von einer unvergänglichen Weltseele durchdrungen sei. Dass sich die Erde um die Sonne dreht, war selbstverständlicher Teil seines Weltbilds. All dies reichte, um ihn als gefährlichen Denker zu verurteilen. Sein Feuertod sollte allen, die mit Irrlehren sympathisierten, eine Warnung sein, die Rechtgläubigen bestärken und die Macht der Kirche demonstrieren.
Freidenker verehren Giordano Bruno heute als Helden, der für die unbegrenzte Freiheit des Denkens kämpfte. Für die Kirche ist er noch immer ein Stachel im Fleisch. Seine Schriften standen bis in den 1960er Jahren auf dem Index der verbotenen Bücher. Im Frühling 2000 räumte Papst Johannes Paul II. ein, das Todesurteil gegen Bruno sei als Unrecht zu betrachten. Das musste genügen. Die Kommission, die den Fall bearbeitet hatte, hielt ausdrücklich fest, Giordano Brunos Ideen seien mit der christlichen Botschaft nicht vereinbar. Anders als Jan Hus oder Galileo Galilei wurde er nie vollständig rehabilitiert.
Volker Reinhardt: Der nach den Sternen griff. Giordano Bruno – ein ketzerisches Leben. Verlag C. H. Beck, München 2024. 352 S., Fr. 44.90.