Die marokkanische Polizei hat in Casablanca Félix Bingui festgenommen. Er ist mitschuldig an der Eskalation des brutalen Drogenkriegs in Frankreichs zweitgrösster Stadt.
Alles beginnt mit einer Demütigung fernab der Heimat. In einem Nachtklub in Thailand leert Félix Bingui seinem Rivalen Mehdi Abdelatif Laribi, genannt «Tic», einen Kübel Eiswürfel über den Kopf. Was sich im Februar 2023 abspielt, ist weit mehr als ein Streit zwischen zwei aggressiven Mittdreissigern. Denn Bingui, Übername «der Kater», und «Tic» sind die Chefs zweier rivalisierender Banden aus Marseille, die den Cannabis- und den Kokainhandel kontrollieren. Und so eskaliert der Drogenkrieg in der Folge ihres thailändischen Rencontres auf beispiellose Weise und fordert eine Rekordzahl von Todesopfern.
Nun hat einer der beiden Opponenten ausgespielt: Am vergangenen Freitagabend konnte die marokkanische Polizei Bingui in Casablanca verhaften. Er war vor einigen Monaten in das nordafrikanische Land geflüchtet, doch die französischen Ermittler folgten seiner Spur. Innenminister Gérald Darmanin dankte den Polizisten auf X: Dank der Kooperation mit den marokkanischen Behörden sei ein grosser Schlag gegen die Drogenkriminalität gelungen. Denn Bingui sei einer der grössten Drogenhändler Marseilles gewesen.
Un des plus grand narcotrafiquant marseillais a été arrêté au Maroc. Bravo aux policiers qui poursuivent sans relâche le combat contre le trafic de drogue. Un grand coup est porté aujourd’hui au narcobanditisme grâce à notre coopération avec les autorités marocaines que je… https://t.co/C4PuohBt9j
— Gérald DARMANIN (@GDarmanin) March 9, 2024
Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die blutigsten Zeiten in der zweitgrössten französischen Stadt vorläufig vorbei sind. Bis Ende 2023 starben bei Schiessereien 49 Menschen, mehr als hundert wurden verletzt. Die grosse Mehrzahl dieser Bluttaten liess sich der Auseinandersetzung zwischen dem Kartell DZ-Mafia von «Tic» und der Yoda-Gang von Félix Bingui zuordnen. Beide schickten Killerkommandos los, die sie teilweise im Ausland rekrutiert hatten, und rächten sich so für Attacken des Gegners – manchmal noch in derselben Nacht. Pro Leiche bekam ein Todesschütze 10 000 Euro.
Mordkommandos nach Spanien geschickt
In einem Polizeibericht hiess es, die Angriffe könnten alle treffen, die sich gerade an den Drogenumschlagplätzen aufhielten, ungeachtet des Alters, der Herkunft oder der Funktion in der Gang. Die Mehrheit der Opfer waren kleine Dealer oder «guetteurs», also Späher, die bei der Ankunft der Polizei Alarm schlagen. Auch völlig Unbeteiligte starben im Kugelhagel. Der Streit nahm selbst internationale Dimensionen an, als die DZ-Mafia eine Gruppe von Killern nach Salou in Katalonien schickte, um dort mit Kalaschnikows zwei Yoda-Mitglieder zu eliminieren. Im Januar 2024 verhaftete die französische Polizei neun Personen in Zusammenhang mit diesem Mordanschlag, unter ihnen zwei Frauen.
Zum verheerenden Bandenkrieg hätte es nicht kommen müssen. Die beiden Organisationen operierten früher einigermassen friedlich nebeneinander im berüchtigten Viertel La Paternelle. Doch als Mehdi Abdelatif Laribi und sein Bruder 2017 wegen des Mordes an drei jungen Männern ins Gefängnis mussten, witterte Félix Bingui laut der Zeitung «Le Figaro» seine Chance, die Herrschaft über den Drogenmarkt zu erringen. Dieser Anspruch führte zum Konflikt, der sich nach dem Eklat in Thailand nicht mehr eindämmen liess.
🇫🇷FLASH : Félix Bingui, l’un des plus grands narcotrafiquants de #Marseille et recherché par Interpol, a été arrêté au Maroc. pic.twitter.com/D0f0oHQHNM
— Direct infos (@directinfos9) March 9, 2024
Binguis Bande ist benannt nach einer Malerei, welche die «Star Wars»-Figur Yoda zeigt. Es schmückt eine Hauswand in La Paternelle – gleich bei einem Drogenverkaufsplatz. Davon gibt es in Marseilles Norden Dutzende, die Quartiere zählen zu den ärmsten des Landes. Dass die Yoda-Gang hier nach der Verhaftung ihres 33-jährigen Chefs nochmals zu alter Stärke zurückfindet, gilt als unwahrscheinlich. Schon zuvor war Binguis Truppe geschwächt; die Polizei geht davon aus, dass die DZ-Mafia die Oberhand gewonnen hat. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass die Kadenz der Schiessereien in den vergangenen Wochen deutlich zurückgegangen ist.
Die lachenden Dritten in Marseille
Bingui muss damit rechnen, in den nächsten Wochen nach Frankreich ausgeliefert zu werden. Wegen krimineller Verschwörung, Drogenhandels und Geldwäscherei drohen ihm dreissig Jahre Haft. Sein aus Algerien stammender Rivale Mehdi Abdelatif Laribi hält sich derweil im Ausland versteckt und lenkt offenbar die kriminellen Geschäfte seiner Bande von dort aus. Laut dem belgischen Justizminister Paul Van Tigchelt hat die DZ-Mafia mittlerweile auch in den Grossraum Brüssel expandiert – und trägt dort dazu bei, dass der Kampf um Territorium mit grosser Brutalität ausgetragen wird.
Doch gleichzeitig könnte die kriminelle Organisation in der Heimatstadt unter Druck geraten. Rudy Manna, Sprecher der französischen Polizeigewerkschaft, sagte gegenüber «Le Figaro», der Streit zwischen der DZ-Mafia und der Yoda-Gang, der beide Banden dezimiert habe, habe anderen Gruppierungen in die Hände gespielt: Sie profitierten davon, dass die Polizei ihre Ressourcen zur Eindämmung des Gemetzels einsetzen musste, und konnten ihre eigenen Vertriebsnetze für illegale Rauschmittel ausbauen.
Auch wenn Innenminister Darmanin die Verhaftung des «Katers» Bingui als Coup feiert: Damit ist nur eine kleine Schlacht gewonnen im Krieg gegen die Drogenmafia.