Die erste Biografie über den Comiczeichner Robert Crumb sieht keinen zeichnenden Triebtäter am Werk, sondern einen Künstler, der das amerikanische Unbewusste illustriert.
Er zeichne das Schreckliche, sagte Robert Crumb, weil er es zeichnen müsse. Der 81-jährige Comicautor hat sein zwanghaftes Arbeiten damit begründet, dass er auf diese Weise auf Distanz zu Menschen gehe, deren Nähe er nicht ertrage. «Aber was ich zeichne, besagt auch etwas über mein Land.» Robert Crumb, schrieb dazu passend die «New York Times», habe das Unbewusste Amerikas visualisiert.
Und es stimmt: Beim Betrachten seiner Zeichnungen aus den sechziger und siebziger Jahren bekommt man den Eindruck, da habe einer seine Phantasien über sexuelle Gewalt und weissen Rassismus ohne jede Selbstzensur aufgezeichnet; als müsse er seine Hassgefühle auf Frauen, Männer und sich selber kathartisch abführen. Doch gleichzeitig erweist sich seine Kunst auch als Spiegel und Ventil der amerikanischen Mentalität.
Ein Zeichner des Brutalen
Immer wieder zeichnete der Cartoonist Frauen als sexuelle Objekte ohne Willen, liess eine schwarze Frau den Kopf lustvoll ergeben in die WC-Schüssel drücken, während sie von weissen Männern vergewaltigt wurde. Dann wiederum parodierte er eine scheinbar biedere Vorstadtfamilie der fünfziger Jahre, bei der die Eltern an ihren Kindern alle denkbaren Formen des Inzests vollzogen. So ging das lange weiter bei ihm, wobei er in späteren Jahren weitere Themen aufgriff. Eine Halluzination nach dem Science-Fiction-Autor Philipp K. Dick zum Beispiel. Eine grossartig gezeichnete Biografie von Franz Kafka. Und da war noch Fritz the Cat, Robert Crumbs beliebteste Figur.
Mit seiner ungewöhnlichen Kombination von kruden Themen und grosser Technik, die Crumb sich selber beigebracht hatte, zeichnete sich der Aussenseiter aus Philadelphia zum Star der amerikanischen Alternativkultur hoch. Zugleich entwickelte er sich als Illustrator zu einem ästhetischen Traditionalisten.
In der Tradition von Brueghel
Als einen konservativen Künstler mit modernen Themen – so sieht ihn auch Dan Nadel, ein Spezialist für Comics und Kurator am Whitney Museum for American Art in New York. Vor kurzem hat der erfahrene Buchautor eine fast 600 Seiten lange Biografie über Robert Crumb veröffentlicht, es ist die erste über diesen umstrittenen, hochbegabten und sehr amerikanischen Künstler. Der Biograf findet den Comicautor nicht nur als Zeichner überragend, sondern auch als Erzähler. Das Grauen mancher Zeichnungen sieht er durch ihre Darstellung verarbeitet: Sublimierung durch Illustration.
Nadel analysiert Crumbs handwerkliches Können, seine präzis ausgearbeiteten Figuren, die Gestaltung von Räumen, den Umgang mit Grautönen, Schraffuren und schwarzen Flächen, den phantastischen, durch häufige LSD-Erfahrungen intensivierten Ausdruck seiner Ängste und Wünsche, den klaren Strich.
Beiläufig weist er nach, mit welcher Sorgfalt der Cartoonist Details der Natur skizziert und sich bei seiner Arbeit von Vorbildern wie Pieter Bruegel dem Älteren oder Hieronymus Bosch inspirieren lässt. In Robert Crumbs Bildern sind nicht nur die Figuren genau gefasst, sondern auch Details ihres Alltags. Das Geschirr auf dem Küchentisch, der Blick aus dem Fenster, die Stromkabel über der Tankstelle. Diese Sorgfalt erklärt Robert Crumbs weltweiten Erfolg und Einfluss.
Der Biograf hatte es schwer
Sechs Jahre lang hat Dan Nadel an seiner Biografie gearbeitet. Schon die erste Kontaktaufnahme mit dem Künstler verlief schwierig. Während vier Monaten verhandelte er mit ihm, bis er endlich den Flug von New York nach Paris nehmen konnte, von dort mit dem Zug nach Nîmes fuhr und mit dem Mietwagen in das mittelalterliche Dorf Sauve, wo ihn Crumb zum Gespräch empfing. Der Amerikaner war zu Beginn der neunziger Jahre mit seiner Familie nach Südfrankreich gezogen, weil ihm die Aufregung um seine Person zu viel wurde. Französisch spricht er bis heute nicht.
Zuerst wirkte der Zeichner auf den Schreiber abweisend, geradezu mürrisch. Je länger das Gespräch dauerte, desto mehr erlebte der Gast seinen Gastgeber als neugierig, redefreudig und engagiert. «Ich kann mir eine Zusammenarbeit vorstellen», sagte Crumb am Ende des Gesprächs. Unter einer Bedingung: Die Biografie müsse seinen kontroversen Umgang mit Sexualität, Gewalt und Rassismus kritisch angehen.
Das hat Dan Nadel getan. Sein Buch über den Comiczeichner wird in den USA zu Recht gelobt. Die Biografie erweist sich als sorgfältig recherchiert und elegant geschrieben, und kritisch ist sie auch. Die Ambivalenzen von Crumbs Charakter und seinem Werk werden klar konturiert.
Dass es sich um einen schwierigen Charakter handelt, das sieht auch der Porträtierte so. Robert Crumb hält sich für einen Misanthropen, der zu Frauen ein gestörtes Verhältnis hat und fast alle Männer verlogen findet, seien es liberale Linke oder Republikaner. Dass er psychopathische Züge trägt, macht die Biografie auf eindringliche Weise deutlich. Und koppelt sich damit an den erschütternden Dokumentarfilm «Crumb» von Terry Zwigoff, der 1994 erschien. Zwigoff filmte den Künstler im Kontext seiner schwer gestörten Familie, in der es Gewalt gab, Sucht, Psychose, gestörte Sexualität und Suizid.
Seine Liebe zur Musik auf 78 Touren
Trotz seiner finsteren Jugend ist Crumb zur Selbstironie fähig. Das zeigt seine beliebteste Figur, die so etwas wie das Ideal-Selbst des Autors verkörpert: Fritz the Cat, der triebgesteuerte Libertäre, ein hemmungsloser Hedonist, der sich in den späten sechziger Jahren als Star der Alternativkultur etablierte. Dabei mochte Crumb die Hippies nicht und konnte auch ihre Musik nicht ausstehen.
Zu seiner konservativen Haltung passt seine Leidenschaft für 78-Touren-Schallplatten mit Musik aus den zwanziger und dreissiger Jahren. Obsessiv auch darin, hat Crumb Tausende von Jazz-, Folk- und Blues-Singles gesammelt. Auch konnte er sich am Banjo und an anderen Instrumenten selbst als Musiker profilieren. Die Liebe zur Musik bleibt bei ihm ungebrochen und wirkt wie ein Trost für einen Geschundenen. Ebenso zärtlich kommen einem die Porträts vor, die Crumb von Musikern der Vorkriegszeit erstellt hat.
Dass der Künstler auch radikal gegensätzliche Themen illustrieren kann, zeigt sein grösstes und erfolgreichstes Buch. Crumb visualisiert darin die Genesis, das erste Buch der Bibel. Anschaulich, respektvoll und frei von Ironie. Obwohl die Bibel zu exzessiven Illustrationen einladen würde, verzichtete der bekennende Atheist darauf. Er fand den Bibeltext dermassen bizarr, dass er jeden seiner Versuche zur Satire für missglückt hielt. Seine zurückhaltenden Illustrationen enttäuschten viele Fans, sie vermissten den Humor. Aber niemand zweifelte an der Sorgfalt der Arbeit. Fast fünf Jahre hat Crumb in seinem französischen Atelier an diesem Buch gearbeitet. Das brachte den Mann im Rentenalter an den Rand seiner Kräfte.
Dafür verschafft ihm das Alter eine Erleichterung: Es dämpft seinen Sexualtrieb. Robert Crumb, formuliert es sein Biograf, sei «nicht mehr an das Biest gekettet». Wenn Fritz the Cat das wüsste.
Dan Nadel: «Crumb. A Cartoonist’s Life.» (vorerst nur auf Englisch). Simon and Schuster: Scribner Books 2025, 458 Seiten.