Philip Walder und Max Bucheli müssen selber wissen, wie sie ein neues Rohr verlegen und was sie dazu brauchen. Besuch einer speziellen Baugrube in Zürich.
Der Graben in der Wallisellenstrasse in Zürich Oerlikon ist etwa drei Meter lang und einen Meter tief. Er verläuft von der Strassenmitte quer hinüber bis zum Trottoir. Vorne und hinten sind zwei Rohrstummel zu erkennen. Es ist Montagmorgen um halb zehn, kurz nach der Kaffeepause. Max Bucheli macht sich am einen Ende des Grabens zu schaffen: Der Lehrling nimmt Hammer und Meissel zur Hand und beginnt damit, den Beton rund um den Rohrstummel abzuspitzen. Er trägt Bauarbeiterkleidung, Sicherheitsschuhe, Handschuhe und einen Helm.
Nur bei der Schutzbrille muss der 16-Jährige improvisieren: Eine Sonnenbrille tut’s auch. «Ich habe keine andere!», ruft der junge Mann aus dem Graben herauf. Dann bearbeitet er den Beton weiter, mit präzisen Schlägen. Das Rohrende muss frei sein, damit er es später sauber abschneiden und ein neues Rohr anschliessen und verschweissen kann.
Alltag für angehende Strassenbauer. Und doch nicht ganz.
Denn Bucheli und Philip Walder sind auf sich allein gestellt auf der Baustelle: Sie müssen selber entscheiden, wie sie die Kanalisationsarbeiten in der Nähe des Hallenstadions angehen; was sie wann tun und was sie dazu brauchen. Der Graben in der Wallisellenstrasse gehört ihnen, sozusagen. Und ein paar weitere Baugruben ebenfalls. Zumindest zwei Wochen lang. Normalerweise sind die Lehrlinge hier zu fünft im Einsatz. Doch heute haben sich drei von ihnen krankgemeldet.
Was man nicht im Kopf hat . . .
«Lehrlingsbaustelle» nennt das Strassenbauunternehmen Kibag dieses Format der Ausbildung. Das bedeutet: keine Vorarbeiter, keine Lehrmeister vor Ort, die ihren Stiften sagen, was sie zu tun haben. Die Lehrlinge müssen es selber wissen. «Sie sollen lernen, selbständig zu arbeiten», sagt Raffaele Anderegg. Der Polier des Strassenbauunternehmens ist in Oerlikon für die beiden Jüngsten verantwortlich, wenn auch nur aus der Ferne.
Anderegg ist mit dem Velo unterwegs. Das ist praktisch: Die Baustelle auf der Wallisellenstrasse ist insgesamt rund 700 Meter lang. Aber wenn Bucheli oder Walder vorne beim Hallenstadion etwas vergessen haben, etwas aus dem Büro zum Beispiel oder ein Rohr oder einen tragbaren Akku, müssen sie eine ziemliche Strecke zu Fuss zurücklegen, vorbei an etlichen Baumaschinen und Absperrungen. Und dann den gleichen Weg wieder zurückmarschieren. Das kostet Zeit. Die Baugruben der Lehrlinge liegen ganz am anderen Ende der Baustelle.
Das ist kein Zufall: Die jungen Männer sollen sofort zu spüren bekommen, wenn ihnen bei der Planung ein Fehler unterlaufen ist. Oder wenn sie ein Werkzeug vergessen haben auf der Liste, die sie bei der Vorbereitung ihrer Aufgaben gemeinsam erstellt haben. Vergangene Woche etwa mussten Bucheli, Walder und die anderen Lehrlinge vier neue Hydranten montieren. Und den Boden rundherum frisch pflästern.
Also brauchte der Bautrupp: Schaufeln, Pickel, Hämmer, Wasserwaagen, Kellen, Pflastersteine und so weiter. Die Liste musste bis 9 Uhr bereit sein. Dann bestellte Anderegg das Material – sagte aber nichts, wenn etwas Wichtiges fehlte. Zum Beispiel die Steinfräse. «Da waren wir ziemlich aufgeschmissen», sagt Walder. Er muss lachen, als er davon erzählt.
Philip Walder sagt: «Wenn man es gut machen will, muss man mitdenken.»
Es ist ein einfaches und gleichzeitig effizientes Rezept: Fehler machen gehört zum Berufsleben dazu. Aber so wie Walder, Bucheli und die anderen Lehrlinge auf der Baustelle lernt man vielleicht am meisten daraus: «Auf die harte Tour», wie Walder sagt.
Und, eine weitere Erkenntnis nach einer Woche an der Wallisellenstrasse in Oerlikon: «Vorbereitung ist die halbe Miete. Wir waren viel zu Fuss unterwegs, weil wir immer etwas holen oder jemanden fragen mussten am anderen Ende der Baustelle.»
Ohne Bagger geht es nicht
Allerdings: Ganz allein können Walder und Bucheli die sogenannten Schlammsammler-Rohre unter der Strasse nicht einbauen. Für den Graben sind die Lehrlinge auf einen erfahrenen Mitarbeiter angewiesen: Einen Schaufelbagger bedienen, mit dem man auch die Strasse aufreissen kann – das können die jungen Männer nicht. Dazu braucht es eine eigene Prüfung. Deshalb übernimmt das ein Maschinist der Firma.
Walder kann nur einen sogenannten Dumper fahren. Er besitzt den PKW-Führerschein und darf das Fahrzeug daher auch ausserhalb der Baustelle manövrieren. Er hat einst eine Maurerlehre abgebrochen und danach in mehreren Temporärjobs gearbeitet: im Büro, als Putzmann, als Essenskurier.
Aber er wollte etwas Handfestes. Er wollte sehen, was er gemacht hatte den ganzen Tag. Daher: Schnupperlehre im Strassenbau, Lehrvertrag bei der Kibag – in einem Beruf, der grosse Mühe hat, Nachwuchs zu finden: Laut der Plattform Yousty sind im Kanton Zürich derzeit 16 Schnupperlehren und 22 Lehrstellen noch unbesetzt.
Geduldig sein
Mittlerweile ist Philip Walder im zweiten Lehrjahr – und glücklich mit seinem Job. «Ich musste mich zuerst selbst finden», sagt er. Der junge Mann macht einen reifen Eindruck, trotz seinen erst 20 Jahren. Strassenbau bedeute viel mehr, als nur Strassen zu bauen, sagt er. «Wir verlegen alles unter dem Asphalt, auch Telekom- und Gasleitungen zum Beispiel.» Das sei zwar keine Raketenwissenschaft. «Aber wenn man es gut machen will, muss man mitdenken.»
Augenblicke später wird es laut. Der Bagger reisst ein weiteres Stück Strasse auf. Die Hecke am Strassenrand wird ausgerissen, die Pflanzen landen in der Mulde des Dumpers. Dann gräbt der Bagger ein Loch, bis zum nächsten Kunststoffrohr, das die beiden Lehrlinge diese Woche ersetzen sollen. Max Bucheli steigt erneut hinab und macht sich an dem Rohr zu schaffen, mit einer Kreissäge. «Max! Die Brille!», ruft ihm der Maschinist vom Bagger aus zu. Der Lehrling hat erneut vergessen, seine «Schutzbrille» aufzusetzen.
Walder, der Oberstift, beobachtet die Szene und sagt: «Am Anfang macht man noch viele Fehler.» Er meint es positiv. Denn das sei ebenfalls eine schöne Erfahrung auf dieser speziellen Baustelle: Man lerne, geduldig zu sein mit den Teamkollegen.
Das Tiefbauamt bittet zur Baustellenbesichtigung in Zürich Höngg
R. Sc. · Am Dienstag, 4. März, können sich Laien ein Bild machen von einer Grossbaustelle in Zürich: Das Tiefbauamt der Stadt Zürich lädt die Bevölkerung zur Besichtigung eines werdenden Limmat-Entlastungskanals in Höngg. Die einstündigen Führungen beginnen im Baucontainer an der Winzerhalde 34, um 12 Uhr 15 und um 17 Uhr. Dann erhalten Besucher Helme und Westen, um die Baustelle zu besichtigen. Anmelden kann man sich hier. Die Veranstaltung ist kostenlos.