Der ukrainische Präsident wirbt am letzten Tag des Shangri-La Dialogue in Singapur für die Friedenskonferenz in der Schweiz. China zeigt ihm die kalte Schulter.
Die kurzfristige Ansage, dass auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Shangri-La Dialogue teilnimmt, führte am Sonntag zu einer plötzlichen Verschiebung des Fokus. Bevor Selenskis Besuch bestätigt wurde, war die Ukraine in den öffentlichen Diskussionen an der wichtigsten Sicherheitskonferenz Asiens kaum ein Thema. Seit Freitag haben sich hauptsächlich Militärs und Diplomaten aus rund fünfzig Ländern zur 21. Ausgabe der Konferenz getroffen. Sie ging am Sonntag im Shangri-La Hotel in Singapur, das der Tagung auch den Namen verleiht, zu Ende.
In der Region hat das Interesse für den russischen Angriffskrieg sichtbar nachgelassen, seit die Lebensmittel- und Rohstoffpreise sich wieder einigermassen eingependelt haben. Ein westlicher Vertreter sagte im direkten Gespräch am Samstag, als Selenskis Besuch noch nicht offiziell war, dass die Ukraine beim Dialog noch weniger stattfinde, als es noch vor einem Jahr der Fall gewesen sei.
Indonesien ist bereit, Friedenstruppen nach Gaza zu schicken
Mehr im Fokus stand dagegen der Gaza-Krieg. Prabowo Subianto, der designierte Präsident Indonesiens, ging im Detail auf den Konflikt im Nahen Osten ein. Im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt sind die Sympathien mit den Palästinensern gross. Prabowo bot an, indonesische Friedenstruppen nach Gaza zu schicken, um einen Waffenstillstand zu sichern. Auch will Indonesien verletzte palästinensische Zivilisten aufnehmen.
Das Ziel von Selenskis Reise am Sonntag war offensichtlich, die Ukraine wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Und für die Teilnahme asiatischer Länder am Friedensgipfel in der Schweiz zu werben. Laut Selenski haben 106 Länder ihre Teilnahme bestätigt, gut 70 davon sollen ihre Staatschefs schicken. Selenski traf in Singapur Vertreter Indonesiens, Osttimors und Singapurs zu bilateralen Gesprächen. Ob diese Delegationen auf den Bürgenstock senden werden, ist noch offen.
Der grosse Abwesende hingegen wird China sein. Peking hat vor wenigen Tagen bekanntgegeben, dass es nicht an dem Friedensgipfel in der Schweiz teilnehmen werde. Selenski erwähnte in seiner kurzen Rede China zwar nicht, sagte aber, dass er enttäuscht sei, dass gewisse Politiker nicht teilnehmen würden. Er warf Russland vor, Länder unter Druck zu setzen, damit diese der Konferenz fernblieben.
Selenski fordert von Asien keine Waffen
Man fordere von asiatischen Ländern nicht, dass sie Waffen in die Ukraine schickten, sagte Selenski an einer anschliessenden Pressekonferenz. Aber man wolle politische und humanitäre Unterstützung.
Deutlicher als in der Rede wurde bei der Pressekonferenz Selenskis Kritik an China. Es gebe klare Anzeichen dafür, dass China Russland mit Komponenten für Herstellung von Waffen beliefere und dass auch Bauteile aus Drittländern via China nach Russland gelangten. «Mit Chinas Unterstützung dauert der Krieg länger», sagte Selenski, «und das ist schlecht für die ganze Welt.»
Russland nutze Chinas Einfluss in der Region, um Länder von einer Teilnahme am Bürgenstock-Treffen abzuhalten. «Chinesische Diplomaten tun alles, um den Friedensgipfel zu torpedieren», warf Selenski Peking vor, «China ist ein Instrument Putins.»
Der Frust Selenskis über Chinas Verhalten war offensichtlich. Unter diesen Bedingungen ist es nicht erstaunlich, dass Selenski keinen chinesischen Vertreter traf in Singapur. Man habe bezüglich eines Treffens angefragt, doch Peking sei nicht daran interessiert. «Wir haben keine wirklichen Beziehungen mehr mit China», bilanzierte Selenski.
China beschuldigt die USA, Taiwans «Separatisten» zu ermutigen
Peking war am Shangri-La Dialogue mit einer grossen Delegation präsent. Angeführt wurde diese von Verteidigungsminister Dong Jun. Admiral Dong hatte seinen grossen Auftritt ein paar Stunden vor Selenski. Er sprach in seiner vierzigminütigen Rede die Ukraine nur kurz an. China sei immer dem Frieden verpflichtet gewesen, sagte Dong, im Gegensatz zu «einer gewissen Partei», welche Waffen liefere.
Die Anspielung auf die Unterstützung der USA war nicht die einzige. Dongs Rede drehte sich vor allem um Taiwan. Taiwan sei der Kern von Chinas Kerninteressen, sagte Dong.
Einige externe Kräfte mischten sich ein, würden das «Ein-China-Prinzip» untergraben, verkauften Waffen und unterhielten illegale Kontakte mit Taiwan, sagte Dong: «Damit ermutigen sie die taiwanischen Separatisten. Diese böswilligen Absichten bringen Taiwan in eine gefährliche Situation.»
China strebe weiterhin eine friedliche «Wiedervereinigung» Taiwans mit dem Festland an. Doch die Aussichten dazu würden zunehmend untergraben von den «Separatisten für taiwanische Unabhängigkeit» und ausländischen Kräften. Wer immer versuche, Taiwan von China zu trennen, werde in Selbstzerstörung enden.
Dongs Rede zielte wohl auf ein Zielpublikum ab, das in Singapur nicht präsent war: Taiwans Regierung und Bevölkerung. Aus Rücksicht auf Peking gibt es am Shangri-La Dialogue keine offizielle taiwanische Delegation.
Chinas Worte und Taten klaffen auseinander
Bei allen Drohungen gegenüber Taiwan versuchte Dong, das Bild eines friedliebenden China zu zeichnen. Man werde nie Hegemonie oder Expansion anstreben. Man habe weder an den Landgrenzen noch in maritimen Zonen je Gewalt angewendet.
Das ist Rhetorik – die Realität sieht anders aus: 2020 löste China an der Grenze zu Indien im Himalaja Kämpfe aus, bei denen zwanzig indische Soldaten ums Leben kamen. Ständig drangsalieren chinesische Schiffe zudem philippinische Fischerboote und Schiffe der Küstenwache. Einen Schiedsspruch, dass Pekings riesige Ansprüche im Südchinesischen Meer rechtlich nicht haltbar sind, ignoriert Peking. Dong bezeichnete den Gerichtsentscheid gar als illegal.
Ein Vertreter aus Südkorea, der Professor Chung Min Lee, sprach den chinesischen Verteidigungsminister auf die Diskrepanz zwischen seiner Rede und dem tatsächlichen Verhalten Chinas an. Es gehört zum Ritual des Shangri-La Dialogue, dass sich alle Redner den Fragen des Publikums stellen müssen. Hohe chinesische Beamte kommen sonst so gut wie nie in diese Situation.
Chung Min Lee stellte fest, dass Dong argumentiere, dass sein Land gegen nukleare Proliferation sei. Dennoch würde China den Atomstaat Nordkorea unterstützen, was widersprüchlich sei. Dong sage zudem, dass China für die freie Schifffahrt einstehe, doch jeden Tag bedrohten chinesische Schiffe die asiatischen Länder, wie die Philippinen. Wie könne man China trauen, wenn seine Worte und seine Taten das exakte Gegenteil seien?
Dong ignorierte die Frage und startete einen weiteren Monolog über Taiwan.