In der Hollywood-Satire «The Studio» stichelt Rogen gegen die eigene Branche. Nicht nur wegen des Gastauftritts von Martin Scorsese ist die Serie grandios.
In der zweiten und allerbesten Episode von «The Studio» besucht Matt Remick einen Filmdreh. Der frischgebackene Boss eines Hollywood-Studios, gespielt von Seth Rogen, liebt es, den Crews bei der Arbeit zuzuschauen. Miterleben, «wie ein Regisseur das Drehbuch zum Leben erweckt»: Das sei es doch, weshalb man den Job mache, sagt der Studiochef zu seinem Vize.
Dieser versucht, Remick vom Setbesuch abzubringen. Denn er weiss, wie peinlich sein Boss ist. Matt Remick ist ein Nerd, der sich allen mit seinem Filmwissen aufdrängt. Ein Trampeltier auch. Man stehe beim Dreh nur im Weg, wirft der Vize ein. Ob man sich nicht lieber im «Dresden» (legendäres Lokal in Los Angeles) die Kante geben wolle. Aber Remick ist nicht zu stoppen. Der selbsternannte Frauenförderer will live dabei sein, wenn die Autorenfilmerin Sarah Polley («Women Talking») die finale Szene ihres neuen Werks dreht.
Den Wagen falsch parkiert, stürmt der Studioboss ans Set. Gerade werden die Abläufe für die komplizierte Plansequenz einstudiert. Viel Zeit bleibt nicht, denn die Sonne geht gleich unter. Und es dauert nicht lange, bis Remick die Regisseurin mit ungebetenen Ratschlägen behelligt. Während er gleichzeitig, wie befürchtet, überall im Weg steht. Er wird Polley ihren wichtigsten Drehtag vermasseln, das zeichnet sich ab.
So komisch wie tragisch
Daraus entwickelt sich die Komik: In einer sich dramaturgisch mustergültig steigernden Abfolge von Ungeschicklichkeiten grätscht der Mann der Regisseurin in die Arbeit. Brillant baut Seth Rogen, der nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Regisseur und Ideengeber der zehnteiligen Comedy-Serie «The Studio» ist, den Slapstick auf. Beginnend mit dem falsch abgestellten Wagen, wird Remick das Gefüge am Set heillos durcheinanderbringen. Das Domino ist so komisch wie tragisch.
Tragisch, weil es Matt Remick nur gut meint. Er will den Künstlern nahe sein. Aber der Studioboss sabotiert unwillentlich den kreativen Prozess. In der Prämisse versteckt sich die bittere Pille: Die Kunst braucht das Kapital, aber es ist wie ein Tanzpartner, der ihr ständig auf den Fuss tritt.
Mit ernstzunehmenden Regisseurinnen wie Sarah Polley hat Remick selten zu tun. Als Hollywood-Studioboss muss er vor allem dafür sorgen, dass es finanziell läuft. Gefragt sind Hits, kein Autorenkino. Das ist sein Fluch. Denn Remick liebt nichts mehr als gute Filme. Oder wie er einmal sagt: «Wenn es nur nach mir ginge, würden wir den nächsten ‹Rosemary’s Baby› oder ‹Annie Hall› machen oder auch einen grossartigen Film, der nicht von einem Perversling inszeniert ist.»
Bloss nichts Verkopftes
Mit «The Studio» stichelt Seth Rogen gegen die eigene Branche, deren Geschäftsmodell auf den schlechten Geschmack der Konsumenten vertraut: Dank breitenwirksamem Kommerz kann gelegentlich ein hochwertiger Film realisiert werden, das ist die Hollywood-Formel. Auf unzähligen Quatsch kommt eine Sarah Polley.
Matt Remicks Vorgesetzter, der CEO der fiktiven Continental Studios, hat ihm den Job unter dieser einen Bedingung gegeben: «No artsy-fartsy bullshit!», betont der Mann namens Griffin Mill (Bryan Cranston). Keine verkopften Filme. Sonst könne er sich was anderes suchen. Remick beruhigt ihn: Er sei genauso oberflächlich wie jeder andere in der Stadt. «I am as bottom-line-orientated as anyone in this town», unterm Strich zählt die Kohle.
Doch Remick ist in der Bredouille. Denn Mill hat Pläne für einen hirnrissigen Blockbuster: Einen Kool-Aid-Film wünscht er sich. Kool-Aid ist ein in den USA sehr bekanntes Getränkepulver. Das Logo enthält einen dickbäuchigen anthropomorphisierten Saftkrug. Dieser soll zum Actionhelden werden, so verlangt es der grenzdebile Griffin Mill.
Wem sein Name bekannt vorkommt, der kennt Robert Altmans «The Player»: In der Hollywood-Satire von 1992 ist Griffin Mill der ebenso erfolgreiche wie moralisch bankrotte Produzent, der von einem gekränkten Drehbuchautor drangsaliert wird. Bei Altman kommt Mill am Ende nicht nur mit einem Mord davon, er wird sogar befördert: und zwar zum Studioboss. Die Serie «The Studio» ist, wenn man so will, auch eine Art Sequel von «The Player».
Aber das ist nur ein Gag am Rande. «The Studio» ist ein grandioses Vergnügen für Insider, aber auch ein grosses für das uneingeweihte Publikum. Nicht alle Anspielungen setzen so viel Filmwissen voraus. Wenn Griffin Mill sich darüber aufregt, dass die Konkurrenz eine Milliarde Dollar gemacht habe mit einer Spielzeugpuppe ohne Geschlechtsteil, ist damit natürlich «Barbie» gemeint. Griffin Mill will sich nicht lumpen lassen, er will «Barbie» mit «Kool-Aid» kontern.
Remick findet die Idee idiotisch. Aber das sagt er nicht. Stattdessen will er das Vorhaben retten, indem er einen brillanten Regisseur verpflichtet. Dieser soll den dämlichen Stoff zu einem subversiven Vergnügen machen. Ein Kool-Aid-Autorenfilm schwebt ihm vor. Am besten von Martin Scorsese.
Das Debakel mit «Marty»
Scorsese (gespielt vom echten Regisseur) schlägt sich gerade mit der Idee eines Films über das Jonestown-Massaker herum. Ende der 1970er Jahre töteten sich fast tausend Mitglieder eines Kults selbst. Der Meisterregisseur bewirbt den Film gegenüber Remick als «big, fun, fucked up». 200 Millionen Dollar soll er kosten. Matt Remick zögert keine Sekunde. Nicht nur, weil es «Marty» ist. Remick hat einen Geistesblitz: Er erinnert sich, dass die Sektierer mit Cyanid versetzten Fruchtpunsch tranken, woraus im Englischen die zynische Redewendung «drink the Kool-Aid» entstand.
Statt einen bescheuerten Blockbuster über den Saftkrug zu fabrizieren, könnte Remick so unverhofft zu seinem Kool-Aid-Film kommen. Der junge Studioboss hat den perfekten Deal gemacht, der auch seinen CEO zufriedenstellen wird. Denkt er. Aber wie es schon die Episode mit Sarah Polley gelehrt hat, vertragen sich künstlerische Ambitionen schlecht mit allzu kommerziellen Hintergedanken. Alles läuft darauf hinaus, dass der Studioboss das Filmprojekt seines Idols Martin Scorsese vereiteln wird.
Das Muster bleibt sich gleich. In den zehn jeweils halbstündigen Episoden verheddert sich Matt Remick in immer neuen Debakeln. Ob er dem selbstverliebten Regisseur Ron Howard («A Beautiful Mind») erklären muss, dass sein neuer Film ein völlig missratenes Ende hat, oder ob der Studioboss bei der Verleihung der Golden Globes sitzt und in keiner Dankesrede erwähnt wird: Man leidet mit dem unglückseligen «exec». Seth Rogens Hundeblick bricht einem das Herz.
Er habe nie etwas anderes gewollt, als in der Filmindustrie zu arbeiten, sagt Matt Remick. Denn er liebe das Kino. «Aber jetzt habe ich die Sorge, dass es mein Job ist, das Kino zu ruinieren.» Das ist doppelt verschachtelt: «The Studio» liebt das Kino. Und zeigt auf Apple TV+ gleichzeitig, dass es auch ohne geht. Wenn man der brillanten Serie etwas vorwerfen möchte, dann das.