Interne Dokumente bezeugen Unmut über die gegenwärtige Führung. Nun könnte ein Altbekannter an die Macht zurückbeordert werden.
Die Schweizer Sicherheitspolitik kommt nicht zur Ruhe: Zur Abwechslung gehen die Wogen nun allerdings nicht bei der Departements- oder der Armeespitze hoch, sondern beim einflussreichsten Sprachrohr des Milizwesens: der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG).
Beim Verein, der seit 1833 existiert und rund 18 000 Offiziere vereinigt, ist ein Machtkampf im Gang. Es geht um den Posten des Präsidenten, den derzeit der Milizoberst Dominik Knill innehat. Wie zuerst «Le Temps» berichtet hat, bestätigen ihn die Delegierten nun aber möglicherweise nicht im Amt und wählen an seiner Stelle einen altbekannten Mann: den Oberst im Generalstab Stefan Holenstein, der bereits zwischen 2016 und 2021 als Präsident fungierte. Am 9. März kommt es in Lugano zum Showdown.
Hintergrund ist ein Streit um die strategische Ausrichtung der SOG. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs vor zwei Jahren hat sich die geopolitische Lage fundamental verändert, fast alle europäischen Staaten sind im Begriff, ihre militärischen Ressourcen massiv auszuweiten – darunter auch die Schweiz. Wie schnell der Ausbau vonstattengehen soll, ist Gegenstand heftiger Debatten. Nachdem das Parlament 2022 noch beschlossen hatte, das Armeebudget bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts ansteigen zu lassen, zögerte es den Aufwuchs letzten Dezember bis 2035 hinaus. Die Armee verliert damit rund zehn Milliarden Franken.
«Funkstille. Abwarten»
Die Offiziersgesellschaft sprach sich stets für das Ziel 2030 aus. Doch hat sie dies auch mit der nötigen Vehemenz gegenüber allen massgebenden Akteuren getan? Unter anderem über diese Frage ist in den letzten Monaten eine lebhafte Querele ausgebrochen.
Die NZZ hat Einblick in eine ganze Reihe von internen Dokumenten, die in dieser Zeit entstanden sind. Sie haben es in sich. Den Takt gibt eine Gruppe von Offizieren vor, die unter dem Namen «Allianz für eine starke SOG» auftritt. Am 31. Januar schreibt sie zuhanden von Mitstreitern eine Stellungnahme, deren Forderung schon im Titel unmissverständlich klargemacht wird: «Offiziere fordern Neuausrichtung und Stärkung der SOG und einen Wechsel an deren Spitze».
Punkt für Punkt seziert die Allianz die «Herausforderungen», die «dezidiert anzupacken» seien: So habe die Offiziersgesellschaft keine eigenständige Position mehr und habe sich von der Basis entfernt. Eigene Themen habe sie kaum gesetzt und an Schlagkraft verloren. Bis heute habe sie sich nicht zur verlorenen Parlamentsabstimmung vom Dezember geäussert. «Funkstille. Abwarten ist das Motto der SOG-Spitze», schreiben die Offiziere.
Knill ist selbstkritisch
Weitere Kritikpunkte betreffen die Zusammenarbeit mit den Sektionen, die Finanzplanung oder den Kampf gegen den Mitgliederschwund. Für die Aufständischen ist klar: Knill muss weg. Am liebsten wäre ihnen, wenn sich der amtierende SOG-Präsident freiwillig zurückzöge.
Knill jedoch denkt nicht daran, das Feld kampflos zu räumen. Auch er hat sich schriftlich in die Diskussion eingeschaltet und verteidigt sein (bisheriges) Wirken. Wie Rückmeldungen aus Sektionen, Politik, Verwaltung und Wirtschaft zeigten, habe man in den vergangenen drei Jahren «vieles richtig gemacht». Die eigenen Positionen seien bekannt und würden von den genannten Akteuren ernst genommen. Gerne stelle er sich für ein weiteres Jahr in den Dienst der SOG, so Knill.
Im Stile eines Wahlkämpfers präsentiert der Appenzeller einen Sechs-Punkte-Plan, den er – sofern er bestätigt wird – in der kommenden Amtszeit umsetzen will. Dieser reicht vom Weibeln für einen höheren Effektivbestand über die Begleitung der Dienstpflichtdebatten bis zur Sanierung der Militärzeitschrift.
Selbstkritisch schliesst Knill, dass er den Austausch mit der Basis «hätte vertiefen sollen». Das Format der Präsidentenkonferenz sei zu wenig zweckmässig und die Unzufriedenheit gegenüber dem Generalsekretariat spürbar. All dieser Änderungsbedarf sei nun aber erkannt.
Co-Präsidium denkbar?
Die versöhnlichen Worte reichen den Kritikern freilich nicht, um das Kriegsbeil zu begraben. Kurz vor Ablauf der Anmeldefrist haben sie den Gegenkandidaten Holenstein aus dem Hut gezaubert – und auch dieser hat sich nunmehr mit einem Schreiben in eigener Sache eingebracht. Der Zürcher präsentiert sich darin als «erfahrener Problemlöser, militärisch und beruflich», und verspricht «Leadership vom ersten Tag an, ohne lange Einarbeitung».
Wie der Machtkampf ausgehen wird, zeigt sich in einer Woche – per Stand heute scheint es durchaus möglich, dass sich die «Putschisten» durchsetzen. Holenstein, der seine derzeitige Funktion als Präsident des Verbands Militärischer Gesellschaften Schweiz für ein Jahr aussetzen würde, verspricht auf Anfrage, mit Ende der Übergangsphase einen Nachfolger evaluiert zu haben. Knill würde ohnehin 2025 abtreten.
Bereits jetzt gehen deshalb die Diskussionen über die Zeit danach los. Dem Vernehmen nach haben namentlich die zuletzt leer ausgegangenen Romands Anspruch auf den einflussreichen Chefposten. Es gibt unter den (Deutschschweizer) Offizieren gar Stimmen, die ein Co-Präsidium über den Röstigraben hinweg befürworten würden. Für die Schweizer Armee wären dies ganz neue Töne, galt doch bis anhin: «ein Raum, ein Chef, ein Auftrag».