Das ehemalige Spitzenpersonal der CS ist weitgehend abgetaucht. Es erzählt eine andere Geschichte über den Niedergang der Bank als die Sieger.
Die dramatischen Tage im März 2023 liegen zwei Jahre zurück. Die Credit Suisse gehört heute der UBS. Mittlerweile gibt es viele Geschichten über den Untergang der Grossbank. In einem Punkt sind sich fast alle einig: Die Credit Suisse war eine miserable Organisation. Schon 2016 habe er gemerkt, dass die CS in Schwierigkeiten stecke, sagte etwa Colm Kelleher, der Präsident der UBS. Die Kultur der CS sei verdorben gewesen, die Bank seit Jahren dem Ende geweiht. Das ist die Geschichte der Sieger.
Die Verlierer erzählen eine andere Geschichte. Die NZZ hat mit mehreren ehemaligen Managern der Grossbank gesprochen, die alle anonym bleiben wollten.
Das Verdikt der Öffentlichkeit über die Bank wiederum deckt sich mit dem der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK): Die Verantwortung für den Vertrauensverlust und den Niedergang liege vor allem beim Verwaltungsrat und bei der Geschäftsleitung der CS in den letzten Jahren.
Zum Beispiel bei Axel Lehmann. Der letzte Präsident wehrte sich bis ganz am Schluss gegen die Not-Übernahme durch die UBS. Er konnte aber keine valablen strategischen Alternativen präsentieren.
Axel Lehmann: der blinde Kapitän
Lehmann glaubte bis am 19. März 2023, dass er die CS retten könne. Der 66-Jährige kommt trotz unbestritten gutem Willen im Bericht der PUK schlecht weg: Lehmann habe sich der finanziellen Realität der Bank verweigert und zu lange den Ernst der Lage nicht erkannt.
Lehmann zog sich nach dem CS-Ende aus der Finanzbranche zurück. Heute ist er akademisch tätig und publiziert. Auch an gesellschaftlichen Anlässen in Zürich wurde er gesichtet. An der Kaderschmiede IMD veröffentlichte er jüngst ein Arbeitspapier mit dem Thema «Verwaltungsräte in der Krise». Damit kennt sich Lehmann aus.
Der 19. März – das Datum der Übernahme – sei für ihn nach wie vor ein Trauma, erzählt ein ehemaliger Manager. Hautnah habe er miterleben müssen, wie die ehemalige Bankspitze die CS an die Wand gefahren habe. Sie sei den Skandalen nicht entschieden genug entgegengetreten.
Andere Ex-CS-Führungskräfte wiederum sehen sich selbst ungerechtfertigt an den Pranger gestellt. Für sie war die Bank lange wirtschaftlich gut unterwegs und hatte ihr Risikomanagement im Griff. Bei vielen Skandalen und milliardenteuren Rechtsfällen sei die Grossbank einfach Opfer von Betrug geworden.
Fatal für die CS war die Implosion des Hedge-Fund Archegos im März 2021. Während andere Banken durch rasches Handeln ihre Verluste im Geschäft mit dem toxischen Kunden eindämmen konnten, stiegen sie bei der CS auf 5,5 Milliarden Franken.
Zu den fatalen Ereignissen und Milliardenverlusten gehören auch der Kollaps der Greensill-Fonds sowie ein Korruptionsskandal in Moçambique. Das drückte die CS im Jahr 2021 noch tiefer in die Krise und damit auch den damaligen Bankchef Thomas Gottstein.
Thomas Gottstein: der gefallene Dealmaker
Thomas Gottstein übernahm mitten in der Corona-Pandemie die Führung der gesamten Bank. Er war der erste Schweizer CS-CEO nach Lukas Mühlemann. Seine bodenständige Art, der Auftritt in der TV-Sendung «Samschtig-Jass» und der Erfolg des Corona-Kreditprogramms für KMU kamen ihm zugute. Viele trauten Gottstein den Neuanfang zu.
Unter seiner Ägide fanden gar geheime Fusionsgespräche mit der UBS statt: Er selbst soll als CEO der fusionierten Bank vorgesehen gewesen sein. Aus dem Zusammenschluss wurde nichts, Gottstein verkleinerte das Investment Banking, fokussierte die CS auf Vermögensverwaltung. Es war zu wenig, zu spät. Der Druck wurde immer grösser, Gottstein verliess die Bank im Juli 2022 aus gesundheitlichen Gründen. Wegen Greensill hat Gottstein noch heute ein Verfahren der Finma am Hals. Er hat sich selbständig gemacht und berät Firmen bei M&A-Transaktionen.
Was in den Gesprächen mit den Ex-CSlern immer wieder spürbar wird: der Stolz auf die Bank und die geleistete Arbeit. Insbesondere bei der Credit Suisse (Schweiz). Im Gegensatz zur bürokratischen UBS sei sie im Kreditgeschäft agiler gewesen, sagt ein ehemaliger Topmanager. Die CS verstand sich als Bank für Unternehmer. Nicht die Firmen mussten den starren Bonitätsansprüchen der Bank entsprechen, sondern CS-Berater entwickelten gemeinsam mit dem Unternehmen eine passende Finanzierungslösung, wie ein Insider erzählt. Diese flexible Art der Zusammenarbeit beherrsche die UBS bis heute nicht: Der Platzhirsch kommt mit einem festen Angebot, entweder der Kunde akzeptiert dieses oder nicht.
In Erinnerung bleiben trotzdem vor allem die Skandale. Zwischen 2010 und 2022 musste die CS rund 15 Milliarden Franken an Bussen bezahlen, wie die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) festhielt. Im selben Zeitraum beliefen sich die Boni, welche die Bank auszahlte, auf 39,8 Milliarden Franken, gleichzeitig fuhr sie Verluste in Höhe von 33,7 Milliarden ein. «Bedauerliche Einzelfälle», so hiess es jeweils von der Bankspitze.
Das Muster war stets das gleiche: Die Bankführung entschuldigte sich und gelobte Besserung – bis zum nächsten Skandal. Zum Beispiel die Spygate-Affäre im Jahr 2019, als Spitzenkräfte beschattet wurden.
Der CS-Präsident Urs Rohner sprach dem CEO Tidjane Thiam, den er 2015 zur Bank geholt hatte, auch während des Skandals das Vertrauen aus. Trotzdem war Thiam kurz darauf seinen Job los, als weitere Bespitzelungen bekannt wurden.
Ein Insider beschreibt eine paranoide Stimmung, die in der Bank damals zeitweise geherrscht habe. Er berichtet von Sitzungen, an denen Mitglieder der Geschäftsleitung der Bank sich nur noch mit Botschaften auf Papierzettelchen austauschten. Aus Angst, abgehört zu werden.
Tidjane Thiam: der paranoide Versicherer
Etliche Banker bringen den Niedergang der CS mit dem Amtsantritt von Tidjane Thiam in Verbindung. Die damals eingeleitete Neuorganisation und die Ausrichtung auf Asien sahen strategisch sinnvoll aus, doch unter Bankern verschaffte sich der Ivoirer damit keinen Respekt. Der «Versicherungsfachmann» verlor bei der CS immer mehr den Rückhalt und schaffte sich intern Gegner, so den Wealth-Management-Chef Iqbal Kahn, später auch den Schweiz-Chef Gottstein.
Nach seinem erzwungenen Abgang im Februar 2020 blieb er überaus aktiv, ging beim Luxusgüterkonzern Kering in den Verwaltungsrat, leitete eine rwandische Regierungsagentur. 2023 kehrte der einstige Minister Thiam nach Côte d’Ivoire zurück und wurde Vorsitzender der demokratischen Partei. Er will sich für die Präsidentschaftswahlen im Oktober aufstellen lassen.
Dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung der CS stellte die PUK ein ausgesprochen schlechtes Zeugnis aus. Diese hätten sich gegenüber «zahlreichen Interventionen der Finanzmarktaufsicht renitent gezeigt», schreibt die Kommission in ihrem Bericht. Doch ehemalige CS-Führungskräfte widersprechen: Die Aufforderungen der Finma habe man gar nicht ignorieren können. Innerhalb der Bank habe es sogar ein spezielles Team gegeben, das nur damit beschäftigt gewesen sei, sich um die Auflagen des Regulators zu kümmern.
Diese zeigten offenbar keine Wirkung. CS-Insider kritisieren insbesondere Urs Rohner, Präsident der CS von 2011 bis 2021. Unter ihm habe eine problematische Kultur geherrscht, sagt ein ehemaliger Mitstreiter. Und ein anderer ergänzt, Rohner habe sich nicht wirklich für seine Mitarbeiter interessiert. Warnungen, dass die Bank in ihrer Existenz gefährdet sei, habe er nicht hören wollen.
Urs Rohner: der Wegbereiter des Untergangs
Urs Rohner steht für eine Geisteshaltung, die den Weg zum Niedergang ebnete: «Persönlich haben wir sicher eine weisse Weste. Eine andere Frage ist die der Bank», sagt er 2014, als die CS mit einem Skandal um Steuerhinterziehung zu kämpfen hatte. Als verantwortlich sah er sich nie, obwohl in seinen zehn Jahren als Präsident zahlreiche Skandale, Bussen und Milliardenverluste fielen.
Unter seiner Führung habe der CS-Verwaltungsrat seine Überwachungsfunktion nicht wahrgenommen, so die PUK. Die Bank ging Risiken ein, ohne diese ausreichend abzusichern. In Rohners Zeit fällt der Wertzerfall der CS-Aktie. Nach seinem Abgang 2021 fand Rohner zwar noch den Weg in den Verwaltungsrat des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline und gründete ein Startup. Heute ist er mit eigener Beratungsfirma unterwegs, tritt aber gesellschaftlich kaum noch in Erscheinung. Aus dem Stiftungsrat des Lucerne Festival etwa trat er zurück.
Die Möglichkeit, dass die Bank untergehe, wollten denn auch nur die wenigsten wahrhaben. Die Spitze der Bank hielt sich für unangreifbar. In der Schweiz habe die CS zwar die richtigen Strategien verfolgt, habe diese aber nicht umsetzen können, erzählt ein Ex-Manager. Wichtiger war für die Bankführung, dass die Zahlen stimmten. Vor den Quartalszahlen gab es oft Druck vom Finanzchef David Mathers, die gewünschten Ziele zu erreichen. Notfalls mit Einsparungen.
Trotzdem sei man bis zuletzt überzeugt gewesen, dass die Bank dank harter Arbeit und Durchhaltewillen einen Ausweg aus der Krise finden werde, sagt ein anderer ehemaliger Manager. Die Mitarbeitenden hätten sich noch stärker für die Kunden eingesetzt und diese zu beruhigen versucht. Anfang 2023 sah es in der Schweiz in den Zahlen nach einer gewissen Stabilisierung aus. Doch der Schein trog.
David Mathers: der diskrete Zahlenakrobat
Als Finanzchef ab 2010 kannte David Mathers jedes finanzielle Detail der CS. Ob Thiam, Gottstein oder Körner – sie alle brauchten Mathers. Der Brite hat etwa dafür gesorgt, dass ihre Kapitaldecke besser aussah, als sie war, und hat die CS-Organisation zu einem unübersichtlichen Firmengeflecht ausgebaut.
Beobachter staunten deshalb, dass er für den PUK-Bericht nicht befragt wurde. Persönliches Fehlverhalten konnte ihm indes nie nachgewiesen werden. Mathers verliess die Bank im Oktober 2022. Heute widmet er sich mit der «Mathers Foundation» der Orchideenzucht in England.
Als sich die Lage im Sommer 2022 zugespitzt habe, habe man die eigene Objektivität verloren, sagt ein CS-Insider. Was in Übersee oder in der Investmentbank vor sich ging, drang oft nicht bis in die Schweiz. Er sei nur noch am Funktionieren gewesen, sagt der Insider, und habe gar nicht mehr registriert, in was für einer katastrophalen Situation sich die Bank befunden habe.
Immer wieder äussern die ehemaligen CS-Manager in Gesprächen ihr Bedauern darüber, dass die Bank nicht aus ihren Skandalen und Fehlern lernen konnte. Darin sind sich fast alle einig.