Philip Morris und Japan Tobacco International verdienen im russischen Markt weiter Millionen. Die Firmen, deren Geschäfte aus der Westschweiz gesteuert werden, handeln sich damit weit mehr als einen Imageschaden ein.
Der Vorwurf der Ukraine gegen den weltweit zweitgrössten Tabakkonzern, Philip Morris International (PMI), wiegt schwer. Weil er im russischen Markt geblieben sei und dort Steuern in Millionenhöhe zahle, unterstütze er die Kriegsmaschinerie des Kremls, heisst es aus Kiew.
Firmen mit Schweizer Zentrale
Derselben Kritik sieht sich die Nummer vier im internationalen Geschäft mit Zigaretten, Japan Tobacco International (JTI), ausgesetzt. Auch JTI figuriert seit August vergangenen Jahres auf der Liste internationaler «Kriegssponsoren», die von der ukrainischen Antikorruptionsbehörde zusammengestellt wurde.
Pikant: Beide Unternehmen werden aus der Schweiz heraus geführt. PMI hat den Sitz in Lausanne, die Zentrale von JTI befindet sich in Genf. Dadurch sind beide Firmen auch in der Schweiz bedeutende Steuerzahler.
Andere Grössen in der Tabakindustrie haben sich nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine rasch entschieden, den Markt zu verlassen. So gab British American Tobacco (BAT) bereits im März 2022 bekannt, sich nicht mehr als der richtige Eigentümer zu sehen. Eineinhalb Jahre später, im September 2023, wurde die Veräusserung an ein lokales Konsortium angekündigt, das von Führungskräften der russischen Tochterfirma angeführt wird.
Liefertreue bei russischen Rauchern geht vor
Imperial Brands kehrte Russland nur knapp zwei Monate nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine den Rücken zu. Auch in diesem Fall wurden russische Investoren zum neuen Eigentümer der Aktivitäten.
In einem Artikel der Branchenpublikation «Tobacco Reporter», der Anfang März 2024 erschien, wurde ein russischer Sprecher von JTI mit den Worten zitiert, der Konzern habe Kunden in Russland nicht den Zugang zu vertrauten Produkten entziehen wollen.
Ähnlich argumentieren grosse Nahrungsmittelunternehmen wie Nestlé sowie Medikamentenhersteller wie Roche und Novartis, die bis heute Geschäfte in Russland machen. Sie stellen sich zudem wie die Tabakindustrie auf den Standpunkt, dass ihre Produkte nicht zur Kriegsführung eingesetzt würden.
Dabei bleibt indes das Problem, dass jedes Unternehmen, das weiterhin in Russland tätig ist, direkt und indirekt – beispielsweise über die Lohnsteuern seiner Mitarbeiter –, dem russischen Staat zu Fiskaleinnahmen verhilft.
Wegen der grossen Macht bei der Preissetzung, die Tabakfirmen im Geschäft mit ihren nikotinabhängigen Kunden geniessen, sind die Margen in der Herstellung und Vermarktung von Zigaretten besonders hoch. Ihre substanziellen Gewinne verschaffen den Anbietern von Tabakprodukten in fast jedem Land einen Platz in der Topliga der Steuerzahler. Der Zigarettenhersteller PMI rühmt sich auf seiner russischen Website weiterhin damit, einer der grössten Steuerzahler in Russland zu sein.
Russland gilt als sechstgrösster Absatzmarkt der Tabakindustrie. Für PMI ist es sogar, gemessen an den letztjährigen Verkaufsvolumen in Stückzahlen, der drittgrösste Markt nach Indonesien und der Türkei. Der Konzern ist geografisch breit aufgestellt und gehört in den meisten Ländern zu den führenden Anbietern. Laut eigenen Angaben erreicht er in 100 Staaten einen Marktanteil von mindestens 15 Prozent, in Russland sind es sogar fast 32 Prozent.
Dank der breiten Diversifizierung fällt kein Land bei PMI besonders stark ins Gewicht. Dennoch trug Russland 2023 immerhin 6 Prozent zum Konzernumsatz von 35,2 Milliarden Dollar bei.
Gewinnsprung dank reduziertem Wettbewerb
Der russische Tabakmarkt schrumpfte im vergangenen Jahr, auf Basis verkaufter Stückzahlen, um knapp 4 Prozent. PMI begründete dies vor allem mit Preiserhöhungen, die Raucher offenbar zu gewissen Einschränkungen bewegten. Dennoch stieg laut russischen Medienberichten der Gewinn des Konzerns in Russland gegenüber dem Vorjahr um über die Hälfte. Dies habe wohl der Umstand ermöglicht, dass PMI wegen des Ausscheidens von Konkurrenten weniger Wettbewerb ausgesetzt sei.
Eine andere Aufstellung, die von der ukrainischen Wirtschaftsuniversität Kyiv School of Economics stammt, besagt, dass der Tabakkonzern aus Lausanne letztes Jahr 14 Prozent höhere Steuern von umgerechnet 220 Millionen Dollar in Russland entrichtet habe. Damit rangiere er unter den in Russland verbliebenen internationalen Firmen auf Platz drei der grössten Steuerzahler, übertroffen lediglich vom österreichischen Finanzkonzern Raiffeisen Bank International und vom chinesischen Autohersteller Chery. Auf Rang vier – mit Fiskalabgaben von 182 Millionen Dollar – liegt JTI.
Lohnsteigerungen begünstigen Konsum
In den ersten neun Monaten dieses Jahres nahmen die verkauften Stückzahlen bei Zigaretten und Tabakerhitzern in Russland um über 6 Prozent zu. Russische Raucher scheinen sich mit den letztjährigen Preiserhöhungen weitgehend abgefunden zu haben.
Trotz allen Sanktionen, die westliche Staaten verhängt haben, gibt es in Russland keine Wirtschaftskrise – im Gegenteil. Viele Beschäftigte geniessen wegen der deutlichen Verknappung des Angebots an Arbeitskräften Lohnsteigerungen, die auch in den Tabakkonsum fliessen. Russland gehört zwar nicht zu den Ländern, in denen der Anteil der Raucher an der Bevölkerung im Alter von über 15 Jahren besonders hoch ist. Doch geben 25 Prozent an, täglich zu rauchen. Auf vergleichbarem Niveau liegt der Anteil in der Schweiz und in Österreich.
PMI hatte ursprünglich geplant, sich ebenfalls schnell aus Russland zurückzuziehen. Zunächst hätte dies bis Ende 2022 der Fall sein sollen. Doch im Februar 2023 unterstrich Jacek Olczak, der aus Polen stammende Konzernchef, gegenüber der britischen Wirtschaftszeitung «Financial Times», dass er am Russlandgeschäft lieber festhalte, als es zu einem unvorteilhaften Preis zu veräussern.
Schweigen zu Russlandstrategie
Mittlerweile will das Unternehmen keinerlei Fragen zum Geschäftsgang sowie zur Strategie im russischen Markt mehr beantworten. Auch der Pressestelle von JTI ist das Thema Russland unangenehm. Sie teilt auf Anfrage lediglich mit, dass man ab März 2022 neue Investitionen sowie Marketingaktivitäten eingestellt habe. Zudem würden Tabakerhitzer der Marke Ploom nicht mehr in Russland angeboten.
Die entsprechende Produktlinie von PMI, Iqos, ist hingegen weiterhin verfügbar. Tabakerhitzer gelten wegen ihrer niedrigeren Besteuerung weltweit als noch lukrativeres Geschäft als jenes mit herkömmlichen Zigaretten.
Je länger der Krieg in der Ukraine anhält, desto mehr laufen die Tabakkonzerne Gefahr, nicht nur einen Reputationsschaden, sondern auch finanzielle Nachteile zu erleiden. Die vielfältigen Wirtschaftssanktionen, die westliche Länder gegen Russland verhängt haben und die unter anderem die Ausfuhr diverser Materialien sowie sämtlicher Maschinen für die Herstellung von Tabakprodukten umfassen, erschweren den Betrieb in russischen Fabriken zunehmend.
Ersatzteile fehlen
So sind PMI und JTI nicht nur gezwungen, Stäbe von Juristen zu beschäftigen, die peinlich die Einhaltung des Sanktionsregimes überwachen. Wie PMI im letztjährigen Geschäftsbericht selbst offenbarte, führen die zahlreichen Einschränkungen auch immer wieder zu Unterbrüchen in den Lieferketten. So liefern westliche Hersteller für ihre in Russland verbreiteten Produktionsanlagen keine Ersatzteile mehr. Laut dem «Tobacco Reporter» hat JTI notgedrungen damit begonnen, bestehende Anlagen auszuschlachten.
Zugleich hat das Ausharren im russischen Markt den Preis, den die Unternehmen für einen Ausstieg bezahlen müssten, in die Höhe getrieben. Um internationale Firmen zum Bleiben zu zwingen, hat der Kreml die Hürden für die Veräusserung russischer Vermögenswerte seit Kriegsausbruch laufend erhöht. Im Fall einer Devestition seien «wesentliche Wertberichtigungen» wahrscheinlich, schreibt PMI denn auch warnend im Bericht zum vergangenen Geschäftsjahr.
Weniger Fälscherware aus Weissrussland
Insbesondere in Westeuropa hat der Krieg zwischen Russland und der Ukraine aber auch noch einen gewichtigen Vorteil für Zigarettenhersteller. So profitiert die gesamte Branche davon, dass dank dem Einsatz von Nato-Soldaten die Grenze mit Weissrussland kaum noch für Fälscherware durchlässig ist.
Aus weissrussischen Produktionsbetrieben gelangten in der Vergangenheit besonders viele Kopien von Zigaretten bekannter Marken in Länder wie Frankreich und Grossbritannien. Jüngst seien «wegen geopolitischer Faktoren» die Volumen im illegalen Handel in verschiedenen Märkten zurückgegangen, hielt das Management von PMI bei der Präsentation der Geschäftszahlen für das dritte Quartal Ende Oktober zufrieden fest.
So gesehen liesse sich sagen, der Konzern profitiere vom Krieg gleich doppelt: in Russland dank weniger Konkurrenz und in Westeuropa wegen wesentlich weniger Fälschungen. Gleichzeitig droht PMI ebenso wie JTI im russischen Markt zunehmend in einer Sackgasse zu landen.