Der 65-Jährige hat viel geleistet im deutschen Fussball, ein Titel mit einem grossen Team fehlt ihm aber noch. Nun lässt sich Rangnick auf das notorisch schwierige Milieu in München ein.
Wie lange mag der Gedanke, einmal Trainer des FC Bayern München zu werden, wohl schon in Ralf Rangnick geschlummert haben? Verraten hat Rangnick es bisher nicht, obschon gewöhnlich gut informierte Kreise wissen wollen, dass es so gut wie sicher ist, dass der 65-jährige Schwabe die Bayern zur kommenden Saison übernehmen wird – als Nachfolger von Thomas Tuchel, der zum Saisonende vorzeitig geht. Rangnick selber hat zuvor ebenfalls noch ein Mandat zu erledigen: Er wird Österreichs Nationalmannschaft an der Europameisterschaft in Deutschland betreuen.
Auf den ersten Blick erscheint es als eine konsequente Entscheidung: Rangnick ist kein Unbekannter im deutschen Fussball, man kann ihn sogar als einen der massgeblichen Trainer der letzten Jahrzehnte bezeichnen. Zwar hat er nie eine Meisterschaft gewonnen, doch er verstand es, an zwei Orten Strukturen zu schaffen, mit denen ein Klub – jeweils kräftig finanziert von einem Mäzen – aus einer Amateurliga in die höchste Spielklasse gehievt wurde.
Rangnicks Ideen brachten Hoffenheim und Leipzig nach oben
Ralf Rangnick ist das Mastermind hinter den Bundesligaklubs Hoffenheim und Leipzig, hinter den grossen Ambitionen des Red-Bull-Konzerns im Fussball, für den er nach dem Ausscheiden aus Hoffenheim tätig war. Ein Architekt, der nicht bloss den Augenblick beachtet, sondern – anders als im kurzatmigen München – weit vorausplant. Doch obwohl der FC Bayern als ein notorisch schwieriges Milieu gilt: Die Aussicht, im letzten Karriereviertel noch einmal einen der ganz wenigen Vereine trainieren zu können, die das Prädikat Weltklub verdienen, dürfte reizvoll genug für ihn gewesen sein.
Es ist ein schwieriger Auftrag. Gerade die letzten Jahre, die Zeit nach dem Ausscheiden von Uli Hoeness, dem Präsidenten, und Karl-Heinz Rummenigge, dem Vorstandschef, haben zu Erosionen geführt. Die Granden griffen ein und warfen das Führungsduo – Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic – hinaus, räumten sich selber wieder mehr Mitsprache ein. Rangnick, so war zu erfahren, war der Kandidat des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge; die Bayern redeten parallel mit Julian Nagelsmann, dem Vorgänger Tuchels, der nun das deutsche Nationalteam trainiert.
Dessen Vertragsverlängerung im Deutschen Fussball-Bund (DFB) war die endgültige Absage an eine Rückkehr zu den Bayern, die dadurch für einen Augenblick die Kommunikationshoheit verloren. Unmittelbar nach der Nachricht von Nagelsmanns Entscheid kursierte plötzlich das Gerücht, die Bayern seien an Zinedine Zidane dran – ein allzu durchsichtiges Manöver, um die Diskussionen von Nagelsmann wegzulenken.
Nun stehen die Bayern also vor der Verpflichtung eines Mannes, der als der Prototyp vieler erfolgreicher Trainer der Generation nach ihm betrachtet werden kann. Rangnick leistete Pionierarbeit, indem er die Deutschen Ende der 1990er Jahre als Trainer des SSV Ulm für taktische Feinheiten sensibilisierte: Raumdeckung statt Manndeckung, Viererkette statt Libero. Das klang seinerzeit geradezu revolutionär, obwohl es im europäischen Ausland schon Standard war. Wozu der Taktiker Rangnick immer noch fähig ist, war beim Spiel gegen einen seiner Epigonen zu sehen: Julian Nagelsmann hatte im Spiel der DFB-Auswahl gegen Österreich dem routinierten Kollegen wenig entgegenzusetzen, die Österreicher gewannen im November 2:0.
Rangnick kennt die Risiken in München
Nun also Bayern München. Rangnick sei sich durchaus bewusst, auf welches Wagnis er sich in München einlasse, heisst es aus vertrauten Kreisen. Sein Vorgänger Thomas Tuchel, der Rangnick in Sachen Qualität gewiss nicht nachsteht, hatte sich in diesem Punkt offenbar verschätzt: Er traf auf keine Mannschaft, sondern auf eine Ansammlung von Spielern mit Partikularinteressen. Zu besichtigen war dies immer, wenn einer der Hochbegabten gross aufspielte, um bei den Vertragsverhandlungen bessere Argumente zu haben. Dass Tuchel ganz wesentliche Wünsche nicht erfüllt wurden, wie die Verpflichtung eines defensiven Mittelfeldspielers, trug zum Scheitern seiner Mission in München bei.
Dass ein Trainer wie Tuchel, der vor allem international grosse Erfolge errungen hat, an den Münchnern verzweifelt, muss für Rangnick allerdings keinen Nachteil bedeuten. Vielmehr sind dadurch allerhand Defizite aufgedeckt worden. Es brachte ihn zudem in eine günstige Verhandlungsposition. Gewisse Vorstellungen, wie die Wahl des Trainerteams, dürfte er als selbstverständlich erachtet haben, ebenso dürfte er auf einen grossen Einfluss bei der Kaderplanung pochen. Genau das war eine seiner Stärken in Hoffenheim und auch in Leipzig. Die Münchner haben zudem allerlei Spieler in ihren Reihen, die die Rangnick-Schule durchlaufen haben: Joshua Kimmich, Dayot Upamecano und auch Konrad Laimer kamen via Leipzig nach München.
Rangnick trifft auf alte Bekannte
Insofern trifft Rangnick im FC Bayern auf alte Bekannte, die er schätzt. Auch den Sportdirektor, Christoph Freund, dem es gelang, Erling Haaland nach Salzburg zu lotsen, kennt Rangnick aus dem Red-Bull-Fussballimperium und weiss, wie dieser arbeitet. Anders ist es bei Max Eberl, dem Bayern-Sportvorstand, der als Gewährsmann von Uli Hoeness gilt und der in der aktuellen Diskussion um den Klub einen eher trüben Eindruck hinterliess.
Eberl wird es mit einem sehr fordernden Trainer zu tun bekommen. Dessen Ehrgeiz dürfte umso grösser sein, als Rangnick sich bewusst ist, dass seine Karriere einen Makel hat: Er hat nie einen wirklich grossen Klub erfolgreich trainiert. Zwar war Rangnick interimistisch bei Manchester United tätig (aus dieser Zeit stammt auch eine recht despektierliche Aussage von Cristiano Ronaldo über den Deutschen, wonach dieser «nicht einmal ein Trainer» sei). Doch dieser Job war nicht auf Dauer angelegt.
Insofern bietet sich für Rangnick beim FC Bayern eine einmalige Chance: Noch immer ist die finanzielle Ausstattung des Klubs grosszügig, und die Strukturen sind beileibe nicht so marode, dass nichts damit anzufangen wäre. Die Frage ist bloss, ob die Bayern Rangnick genug Spielraum lassen. Den Anspruch, mehr als ein Trainer auf Durchreise zu sein, wird er in München nicht aufgeben wollen.