Geschichte einer brutalen Fehde zwischen FCZ- und GC-Anhängern.
Zürich, Haltestelle Mattenhof in Schwamendingen. Es ist der 27. Januar, kurz nach 23 Uhr 30. Dunkel gekleidete FCZ-Ultras, die Kapuzen ihrer Hoodies tief in die Gesichter gezogen, werfen Steine in die Seitenfenster eines 7er-Trams, in dessen Innern die verfeindeten GC-Anhänger stehen. «Hurensöhne», «Hurensöhne» hallt es durch die Nacht, immer wieder, dann Polizeisirenen. Die Steinewerfer sprinten davon, rund zwei Dutzend vermummte GC-Ultras verfolgen sie einige Meter.
Zurück bleiben fünf Verletzte. Einen Mann nehmen die Einsatzkräfte fest. Der Angriff sei organisiert gewesen, ist später aus Ermittlerkreisen zu hören. Die Angreifer seien für die Attacke eigens mit Autos angereist.
Zu sehen sind die Szenen der Zerstörungswut in einem knapp dreissigsekündigen Video auf einem einschlägigen Telegram-Kanal, auf dem sich Hooligans und Ultras mit ihren Taten brüsten. Versehen ist der Beitrag mit allerlei Beschimpfungen wie «Südgurke» oder «U16-Hools». Das seien halt die Jungen vom FCZ, schreibt jemand. Die Alten würden so etwas nie machen. Jemand anders findet, das Ganze sei doch nur wieder «Futter für die Scheiss-Politiker».
Am Tag darauf der nächste Vorfall, dieses Mal in Winterthur. Dort jagen sich gewalttätige Fans beider Lager durch den Bahnhof und durch die Innenstadt. Die Polizei nimmt neun Personen fest.
Regelmässige Gewaltexzesse
Immer wieder flammt die Gewalt zwischen den berüchtigten Ultras der beiden Zürcher Stadtklubs GC und FCZ auf. Sie führen einen brutalen Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt. Die Fehde unter ihnen schwelt schon lange, auf ruhigere Phasen folgen regelmässig Gewaltexzesse.
Das zeigen neue Zahlen, welche die Stadtpolizei Zürich für die NZZ erhoben hat. In den vergangenen fünf Jahren schwankte die Zahl der registrierten Straftaten beträchtlich. Nie aber passierte mehr als 2019. Damals registrierte die Polizei in der Stadt Zürich 109 Vorfälle. Danach sank die Zahl der gewaltsamen Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen markant, 2021 waren es 31. Allerdings gab es dort aufgrund der Pandemie viele Einschränkungen, die das Bild verfälschen. In den letzten beiden Jahren verzeichnete die Stadtpolizei wieder einen Anstieg auf 56 beziehungsweise 53 Vorfälle, bei denen es zu Gewalttaten oder Sachbeschädigungen kam.
Anzeigen gab es 2019 insgesamt gegen 137 Personen, 2022 waren es 87 und 77 im vergangenen Jahr. Immer wieder registrierten die Behörden auch Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten. Im vergangenen Jahr kam es zu sechs solchen Attacken, im Jahr davor zu fünf. Dabei gab es aufseiten der Polizei auch mehrfach Verletzte.
Die Gewalt der Ultras entlädt sich nicht allein in den Stadien, sie hat sich auf andere Stadtteile oder in die Agglomeration verlagert. Unter den Opfern sind längst nicht mehr nur Anhänger des gegnerischen Lagers, sondern auch zahlreiche Unbeteiligte. Dies zeigen Vorfälle aus den vergangenen Jahren.
Züri-Fäscht 2023. Gewalttätige FCZ-Fans überfallen am Volksfest einen Stand des Rivalen GC. Zum Zeitpunkt der Attacke, es ist später Nachmittag, halten sich dort auch viele Familien auf. Sie und die Standmitarbeiterinnen werden von den Angreifern mit Pfefferspray eingedeckt. In der Nacht kommen die Ultras zurück, Bänke und Tische fliegen durch die Luft. Videos der Raserei machen später in den sozialen Netzwerken die Runde. Der Spuk dauert nur kurz, die Polizei kommt zu spät.
Urdorf 2022. GC-Fans sind nach einem Cup-Spiel in Wettswil am Albis auf der Rückreise, als ihr Zug von FCZ-Ultras in Urdorf gestoppt wird. Diese stürmen den Zug, ziehen die Notbremse, attackieren die gegnerischen Anhänger. Zeugen berichten von Reizgas, die Angreifer hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Bilanz des Augustsonntags: ein demolierter Zug, fünf verletzte Fans.
Der Soziologe und Sicherheitsberater Maurice Illi verfolgt das Thema Sicherheit rund um Fussballspiele seit über zwanzig Jahren. Er sieht die Tendenz, dass sich ein Teil der FCZ-Ultras in den letzten Jahren radikalisiert habe. Diese Gruppe agiere extremistisch und militant und schrecke vor Aktionen gegen unbeteiligte Gruppen oder Polizisten nicht zurück. «Ein ‹falsches› Fan-Emblem genügt für eine Gewalttat.»
Illi geht beim jüngsten Tram-Vorfall von einer abgemachten Sache aus. Von einem Kräftemessen am Vorabend des Derbys. Die Aktion erinnere an klassischen Hooliganismus, wenn Schläger die Gewalt unter ihresgleichen suchten. Früher hätten die Köpfe der Szene zu derlei Treffen abgemacht, heute sei davon auszugehen, dass die Gruppen durch die neuen Medien oder mittels Kundschaftern jeweils sehr gut über die Gegenseite informiert seien.
Dem Szenekenner bereitet der Umstand Sorgen, dass oftmals sehr junge Ultras beteiligt seien. Er redet von 15- bis 20-Jährigen, welche die alten Regeln nicht mehr kennten, sich aber durch Aktionen ausserhalb der Stadien profilieren wollten.
In der FCZ-Südkurve befinden sich regelmässig rund 5000 Personen. Illi bezeichnet sie deshalb als «grösstes Jugendhaus des Kantons». Wegen des schnellen Wachstums der vergangenen Jahre und des Unterbruchs während der Pandemie seien viele Jugendliche dazugestossen, die nicht genügend in der Fankurve sozialisiert worden seien. «Die Selbstregulierung innerhalb der Kurve holt nicht mehr alle ab.»
Generell sieht der Experte für die heutige Jugend immer weniger Ventile und Gelegenheiten, wo Frust oder Übermut abgebaut werden könnten. «In der Kurve ist dann plötzlich vieles erlaubt, was sonst tabu ist, dort können diese Jungen ausbrechen», sagt Illi. Dazu gehöre auch, dass sie in den gegnerischen Anhängern plötzlich ein Feindbild sähen. Hier sieht er die Klubs in der Pflicht. «Bitte macht gemeinsame Sache: Schickt eure Spieler zusammen in Klassen und lebt Fairplay vor. Das macht einem Zwölfjährigen Eindruck.»
Das grosse Schweigen
Bei aller Feindschaft, etwas eint die militanten Anhänger aller Klubs: der Hass auf Justiz und Polizei. Wird jemand aus der Ultra-Szene verhaftet, dann heisst das oberste Gesetz: Schweigen. Kein Wort zu Polizisten, Staatsanwältinnen oder Richtern. Auch viele Opfer verweigern jegliche Kooperation und schweigen lieber.
Wie diese Woche am Bezirksgericht in Zürich. Vor Gericht steht ein 27-jähriger FCZ-Anhänger.
Es geht um Ereignisse vom 23. Oktober 2021. Derby im Zürcher Letzigrund. Die Stimmung ist damals aufgeheizt, schon vor dem Spiel kommt es zu Tumulten – weil rund hundert GC-Fans den Eingang ins Stadion stürmen und weil sich ein FCZ-Fan in den gegnerischen Sektor verirrt und evakuiert werden muss.
Unmittelbar nach dem Ende des Spiels eskaliert die Situation vollends. Rund sechzig FCZ-Ultras vermummen sich in einer der Toilettenanlagen. Danach verlassen sie das Stadion durch die bereits geöffneten Ausgänge und gelangen danach durch die Tore bei der Gegentribüne wieder ins Innere des Letzigrunds. Auf der Tartanbahn des Stadions zünden einige Ultras Seenotfackeln und werfen sie in die GC-Fankurve. Glücklicherweise wird niemand durch die rund 2000 Grad heissen Pyros getroffen und verletzt.
Im Nachgang zum Derby nimmt die Polizei Ermittlungen gegen über zwei Dutzend Ultras der beiden Vereine auf. Einer von ihnen ist der 27-jährige Zürcher. Er soll sich mit den anderen vermummt haben und dann ins Stadion gestürmt sein. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn deswegen mit Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs und Widerhandlung gegen das Vermummungsverbot verurteilen. Doch er akzeptiert den Entscheid nicht.
Vor Gericht schweigt der junge Mann. Am Ende fällt das Gericht einen Teilschuldspruch wegen Verstosses gegen das Vermummungsverbot, wie «20 Minuten» berichtete. Laut dem Richter ist eine Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs nicht möglich. Der Grund: Auf den Videobildern kann man den Zürcher nicht eindeutig identifizieren. Es sei zwar gut möglich, dass er dabei gewesen sei, sagt der Richter. Aber für eine Verurteilung reiche dies nicht.
Dies sei die grosse Schwierigkeit, berichten Ermittler. Wenn Ultras in ihre Uniform schlüpften – schwarze Jacke, Jeans, weisse Turnschuhe –, gehe es ihnen nicht um die Zusammengehörigkeit, sondern allein ums Vereiteln einer Strafverfolgung. Ein Ermittler sagt dazu: «Wenn wir nur ein Video haben, den Straftäter aber nicht in flagranti erwischen, wird es schwer.»
Die Behörden ziehen die Schraube an
24. Januar 2024, Bahnhof Altstetten. Nach dem Spiel gegen den FC Basel greifen rund hundert FCZ-Ultras die Einsatzkräfte der Polizei mit brennenden Fackeln, Rauchpetarden, Feuerwerk, Steinen und Flaschen an. Sie errichten Barrikaden mit Abfallcontainern, die Stadtpolizei setzt einen Wasserwerfer und Gummischrot ein.
Es ist der eine Anlass zu viel. Seit Jahren schon ringen die Behörden um eine Antwort auf die Gewalteskalation im Umfeld der grossen Fussballklubs. Auf die neue Saison hin haben Kantone und Städte eine härtere Gangart angekündigt. Ihr Kaskadenmodell orientiert sich an der Schwere und der Häufigkeit der Regelverstösse: je gravierender ein Ereignis, desto folgenschwerer die Sanktionen.
Nach dem Vorfall in Altstetten machen die Stadtzürcher Behörden Ernst. Sie entscheiden, die Südkurve beim Heimspiel gegen Lausanne zu schliessen. Sektorenschliessungen gehören zu den Konsequenzen, die bei Gewalt gegen Personen oder beim Einsatz von Waffen und Pyrotechnik angeordnet werden können. Als Ultima Ratio vorgesehen sind Geisterspiele und Punktabzüge.
Der Sicherheitsexperte Maurice Illi bezeichnet das Kaskadenmodell als «wenig zielführend». Er sieht, anders als die Basler Regierungsrätin Stephanie Eymann, das Modell als das falsche Zeichen an die gemässigten Fans. «Diese werden damit eher noch verärgert.» Es sei naiv zu glauben, dass man mithilfe der anständigen Fans Druck auf die anderen aufbauen könne. «Kein normaler Fan geht deswegen zu gewaltbereiten Ultras und redet diesen ins Gewissen.» Im Gegenteil: Die Kollektivstrafen führten dazu, dass sich die Fans mit den Ultras solidarisierten, womit das Problem sogar noch verschärft werde.
Illi rät vielmehr zu gezielter Repression, Täter müssten rascher identifiziert und verurteilt werden. «Die dreissig bis vierzig ernsthaften Troublemaker pro Verein müssen konsequent aus dem Verkehr gezogen werden.» Der Soziologe plädiert weiter für eine Meldeauflage, bei der sich bekannte gewalttätige Ultras während der Spiele ihres Klubs auf der Polizeistelle ihres Wohnorts melden müssen. Tun sie dies nicht, werden sie belangt. Damit liessen sich fehlbare Ultras von den Stadien fernhalten.
Wenige Stunden bevor es in Schwamendingen zur Tram-Schlägerei kommt, kontrolliert die Polizei die GC-Ultras, die sich später im Tram befinden. Beschlagnahmt werden Messer, Stöcke, Pfeffersprays, Mundschutze und weitere Schlägerutensilien. Für Illi ist es unverständlich, warum die Polizei die Gruppe nach der Kontrolle wieder hat laufen lassen. «Dafür gibt es die Polizeihaft von bis zu 72 Stunden, schliesslich bestand die Gefahr von Landfriedensbruch, das Derby stand kurz bevor.»
Nach dem Derby ist vor dem Derby. Diesen Samstag ist es wieder so weit. FCZ und GC treffen im Letzigrund aufeinander. Für die Behörden bedeutet das: erhöhte Alarmbereitschaft.