Nur wenige Paare gründen und führen zusammen ein Unternehmen. Yasemin und Bilâl Tahris wagen es. Dadurch müssen sie auch einiges aufgeben.
Yasemin und Bilâl Tahris’ Liebesgeschichte klingt zunächst einmal sehr klassisch: Es war einmal ein junger Mann, der in der Zürcher WG einer Studentin den Geschirrspüler reparierte. Die beiden verliebten sich, heirateten und bekamen zwei Töchter. Gewöhnlich ist ihre Geschichte aber nur auf den ersten Blick. Denn Yasemin und Bilâl führen nicht nur eine, sondern zwei Beziehungen: eine aus Liebe und eine fürs Geschäft.
Yasemin und Bilâl sind beide 37 Jahre alt und wohnen mit ihren Kindern in der Nähe von Zürich. Im Dezember 2020 haben sie zusammen ein Unternehmen gegründet. Seither sind sie immer beides, Lebens- und Geschäftspartner. Geschäftliches besprechen sie abends auch einmal beim Familienznacht. Für viele Paare käme so etwas nicht infrage. Für Yasemin und Bilâl ergibt es Sinn.
Liebe und Arbeit sind die Eckpfeiler des Glücks, soll schon Sigmund Freud gesagt haben. Sowohl in der Geschäfts- als auch in der Liebesbeziehung wünscht man sich Beständigkeit. Was aber passiert mit dem Glück, wenn man die beiden Bereiche vermischt? Läuft es beruflich gut, freut sich die Beziehung. Kriselt es in der Liebe, kann das aber das Geschäft belasten.
Auch Yasemin und Bilâl mussten sich fragen, ob sie das wollen. Was macht es mit der Beziehung zweier Menschen, wenn sie ein Unternehmen aufbauen und führen? Und wie riskant ist es für das Geschäft?
Chef mit 24 Jahren
Bilâl erzählt zuerst. Er war 24 Jahre alt und hatte gerade seinen Bachelor in Betriebsökonomie abgeschlossen, als er die Firma seines Vaters übernahm, ein Unternehmen, das auf die Montage von Waschmaschinen und anderen Haushaltsgeräten spezialisiert ist. Bilâl musste schnell in die Rolle des Chefs hineinwachsen. Manches habe ihn genervt, sagt er. Endjahresgespräche mit standardisierten Fragebögen etwa. Deshalb entwickelte Bilâl ein Bewertungs-Tool, das online verfügbar ist und auf dem Handy oder dem Tablet ausgefüllt werden kann.
Als andere ihn nach dem Tool fragten, wurde Bilâl klar, dass die Software nicht nur eine unternehmensinterne Lösung bleiben sollte. In welchen anderen Branchen sie sonst noch gebraucht werden könnte, besprach er mit seiner Frau. Yasemin ist gelernte Fachfrau Gesundheit, hat nach der Lehre Arbeits- und Organisationspsychologie studiert. Sie arbeitete als Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz, zwischen den Geburten ihrer beiden Kinder machte sie den Doktortitel.
Mit zwei anderen gründete das Paar im Dezember 2020 das Unternehmen Flowit, das Software für das Personalwesen anbietet, etwa elektronische Bewertungsfragebögen für Führungskräfte und Mitarbeitende. Sie waren damals beide 33 Jahre alt. Heute hat das Unternehmen mit Sitz in Opfikon dreissig Mitarbeitende. Yasemin und Bilâl sind Teil der Geschäftsleitung, Bilâl ist CEO, Yasemin Chief Experience Officer.
«Plötzlich musste ich zuhören»
Dass seine Frau ihm auf einmal gegenübersass, am Sitzungstisch, hat Bilâl anfangs herausgefordert. Es sei eine Umstellung gewesen, dass jemand ihm widerspreche, sagt er heute. «Zuvor, in unserem Familienbetrieb, war ich der Einzige mit einem Studienabschluss. Welche Strategie wir festlegen und was es an Marketingmassnahmen braucht, konnte ich lange mit niemand anderem diskutieren.»
Er sei es einfach gewohnt gewesen, selbst zu entscheiden. «Plötzlich musste ich zuhören», sagt Bilâl. Ein halbes Jahr habe er gebraucht, um sich umzustellen.
Immer wieder nickt Yasemin, als wolle sie gleich auch etwas sagen, wartet aber. Sie lächelt. Sie kennt Bilâl, lässt ihn ausreden. Wenn sie etwas sagt, tut sie es überlegt und spricht dann schnell.
«Vor dem Startup hatte ich meinen eigenen Weg», sagt Yasemin. Mit der Gründung seien zwei Welten aufeinandergeprallt. Sie mussten sich erst finden. «Bilâl ist strukturiert und rational. Ich bin emotional, neugierig und arbeite gerne mit Menschen.» Sie habe viele Ideen und wolle alle am liebsten gleich umsetzen. Bilâl bringe sie wieder auf den Boden.
Sie verstünden, wenn der eine oder die andere einmal länger arbeiten müsse. Bilâl sagt, dass jemand von ihnen zu Hause sitze und sage «Du bist immer am Arbeiten, das Geschäftsessen ist dir wichtiger, als mit mir den Abend zu verbringen» – das gebe es bei ihnen nicht.
Trotzdem oder gerade deshalb hadert das Paar mit seinem Privatleben.
Die Freizeit als Herausforderung
Die Arbeit ist für Yasemin und Bilâl zentral. Wie andere Gründer arbeiten sie viel und definieren sich auch über ihre Arbeit. Abends kämen sie nach Hause und müssten sich zusammenreissen, um nicht noch weiter über die Firma zu sprechen, sagt Yasemin. «Es ist schon vorgekommen, dass wir am Abend zusammen ausgegangen sind und nicht mehr wussten, über was wir reden sollten.»
Yasemin sagt: «Ich habe gelernt auszuhalten.» Sie ist in Schwamendingen als Kind einer schweizerisch-türkischen Familie aufgewachsen. Einer Familie, die sehr wenig hatte, wie sie sagt. In ihrer Jugend sei sie häufig unterschätzt worden. Etwas, was sie rückblickend noch stärker gemacht habe. Aber auch heute noch sagt sie: «Als Unternehmerin bekomme ich häufig zu hören, was ich alles nicht kann.»
Yasemins Erfahrungen sind beispielhaft für eine ganze Personengruppe in der Branche. «Frauen haben es in der Startup-Szene generell schwieriger», sagt Gudrun Sander. Sie leitet das Kompetenzzentrum für Diversität und Inklusion an der Universität St. Gallen. Frauen erhielten seltener Startup-Finanzierung von Investoren. Wenn doch, dann seien die Beträge tiefer. Ausserdem schätzten Frauen die Erfolgschancen ihrer Unternehmen tendenziell als zu tief ein, während Männer sie überschätzten.
Yasemin sagt dazu: «Bilâl und ich sind beide Gründer und Gründerin, sind beide in der Geschäftsleitung. Wir sind gleichgestellt. Aber wir werden anders wahrgenommen.» Yasemin sei immer diejenige, die gefragt werde, wie die Kinder denn betreut seien. «Entweder, man sagt mir, dass ich als Mutter doch keine erfolgreiche Gründerin sein kann. Oder als Unternehmerin keine gute Mutter bin.» Bilâl jedoch werde schon gefeiert, wenn er einen Papi-Nachmittag pro Woche mache. Yasemin sagt, die Kritik bestärke sie in ihrem Lebensentwurf. «Ich möchte meinen Töchtern zeigen, dass auch Frauen ein Startup gründen und erfolgreich ein Unternehmen führen können.»
Das Paar ist ein Randphänomen
Yasemin und Bilâl sind als Gründerpaar ein Randphänomen in der Schweizer Gesellschaft, über das hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Manchmal bewundernd. Manchmal mit einem misstrauischen Unterton.
Denn Paare, die ein Startup gründen, gehen in mehreren Bereichen ihres Lebens ein Risiko ein. Yasemin und Bilâl gehören zur Minderheit in einer Szene, die nicht für ihre Diversität bekannt ist. Immer noch ist der typische Startup-Gründer in der Schweiz männlich, Frauen sind untervertreten. Dass Paare zusammen ein Startup gründen und danach gleichgestellt führen, ist selten. Raphael Tobler, der die Schweizer Startup Association leitet, bestätigt das.
Tobler sagt: «Dass beide alles auf ein unsicheres Startup setzen, ist riskant und ungewöhnlich.» Auch einige Investoren sind skeptisch. Das bestätigen die Schweizer Risikokapitalgeber und Business-Angels Andreas Göldi und Thomas Dübendorfer.
«Manche Investoren scheuen sich davor, Startups zu finanzieren, die von Paaren gegründet und geführt werden», sagt Göldi. Dübendorfer sagt, viele betrachteten die Vermischung von Persönlichem und Geschäftlichem mit Vorsicht. Sie fürchteten das Risiko, dass das Startup scheitern würde, sollte die Beziehung irgendwann an der Zusatzbelastung zerbrechen.
Sie haben besonders viel zu verlieren
Auch Bilâl und Yasemin Tahris haben diese Skepsis bei Investoren erlebt. «In der Zeit des Fundraisings haben sich einige Investoren zurückgezogen, als sie erfuhren, dass wir ein Paar sind», sagt Bilâl. Für ihre jetzigen Investoren sei dies jedoch nie ein Thema gewesen. Bilâl dreht das Argument um: Gerade weil sie als Paar und Eltern so viel zu verlieren hätten, sei ihr Durchhaltewillen umso stärker. «Bei uns hängt die Familie auf beiden Seiten dran.»
Die Familie unterstützt Yasemin und Bilâl denn auch bei der Kinderbetreuung. Yasemin sagt: «Meine Schwiegermutter schaut zurzeit drei Tage die Woche auf die Mädchen – auch heute, wo ich auf der Bühne stehe.»
Yasemin muss gleich los, in einer halben Stunde hält sie auf einer Schweizer Startup-Veranstaltung einen Vortrag. Bilâl schaut seine Frau stolz an und lächelt. Er wird heute Abend zuhören.