Seit acht Jahren paddelt Freya Hoffmeister Nordamerika entlang, zurzeit umrundet sie ihren dritten Kontinent im Kajak. Die 60-Jährige sammelt dabei Rekorde – und übersteht zahlreiche brenzlige Situationen.
Wenn Freya Hoffmeister nach langem Sitzen aufsteht, knirscht es in ihrem Körper. Sie leidet unter rheumatoider Arthritis. Eigentlich tue es ihr überall weh, sagt sie. Bloss beim Paddeln, wenn die Gelenke «geschmiert und geölt» seien, spüre sie die Schmerzen kaum.
Wie gut, dass ein fünfeinhalb Meter langes Kajak so etwas wie das zweite Zuhause für die Deutsche ist. Und sosehr Hoffmeisters Körper zuweilen auch knirschen mag: Er leistet immer noch Dinge, die kein anderer geschafft hat. Oder die noch niemand versucht hat. Denn Freya Hoffmeister, die im Mai 61 Jahre alt wird, paddelt um ganze Kontinente herum. Und trotzt dabei Orkanen und Haien oder entgeht versuchten Entführungen.
2009 bewältigte sie 15 000 Kilometer um Australien, als erst zweiter Mensch und als erste Frau. Zwischen 2011 und 2015 umrundete sie während 27 000 Kilometern Südamerika. Und nun, seit 2017 und vermutlich noch bis 2027, fährt sie um Nordamerika herum. Das sind 50 000 Kilometer, auf denen Hoffmeister Gefahren der Natur, von Menschen und Tieren ausgesetzt ist. «Aber bisher bin ich immerhin ohne grösseren Schaden aus allem herausgekommen», sagt sie in ihrer nüchternen norddeutschen Art in einem langen Telefongespräch.
Gerade ist Hoffmeister von einem Abschnitt in Mexiko und den USA zurückgekehrt und verbringt ein paar Wochen zu Hause in Nordfriesland. In Husum besitzt sie zwei Eiscafés, die genug abwerfen, damit sie ihr Leben und ihre Abenteuer finanzieren kann. Sie paddelt in Etappen abwechslungsweise im Norden und Süden des Kontinents, da dies klimatisch Sinn ergibt, und mit Pausen – sie verbringt jeweils ein paar Wochen oder Monate im Kajak, ein paar daheim. Dort überraschen sie keine Eisbären im Schlafzimmer. Und sie muss für einmal nicht abschätzen, ob sie trotz Wellen sicher anlegen kann, um die Nacht im Zelt zu verbringen. Oder ob sie im Kajak durch die Nacht weiterpaddeln muss.
Freya Hoffmeister kam eher spät zum Kajakfahren. Als Kind betrieb sie Leistungsturnen, nahm später an Bodybuilding-Wettkämpfen teil und hat weit über tausend Fallschirmsprünge absolviert, 500 davon mit Passagieren. Als sie mit 32 Jahren Mutter wurde, hörte sie mit dem Fallschirmspringen auf und begann mit Kanufahrten, zuerst gemütlich auf Flüssen und Seen und mit dem Kleinkind an Bord. Die ersten grossen Kajak-Expeditionen unternahm sie 2007, als sie Island und die Südinsel Neuseelands umrundete.
Hoffmeister vergleicht ihre Leidenschaft gerne mit dem Bergsteigen. Alpinisten hörten auch nie damit auf, Berge zu besteigen, sagt sie. So geht es ihr mit dem Meer: Sie ist immer neugierig darauf, was nach der nächsten Ecke auf sie wartet. «Es ist der Reiz der Sache, dass ich nicht weiss, was auf mich zukommt.» Teil der Herausforderung ist es, sich nicht einfach die Highlights herauszupicken. Sondern das zu nehmen, was eben kommt. Das gilt für «sterbenslangweilige» Abschnitte ebenso wie für Situationen, die innert Minuten ins Lebensbedrohliche kippen können.
«Tiere kann man zumindest halbwegs einschätzen»
Solche Situationen hat Hoffmeister in den vergangenen 30 Jahren zuhauf erlebt. Mit Tieren etwa. Bei der Umrundung Australiens biss ein Hai in ihr Kajak. Es war die einzige Situation, in der sie mit ihrem Unterfangen kurz haderte. Doch sie setzte es fort – und hatte seither nie mehr eine gefährliche Begegnung mit einem Hai.
Auf der anderen Seite der Erdkugel, beim Befahren der Nordwestpassage, dem Seeweg zwischen Grönland und dem Norden Kanadas und der USA, beging sie einmal einen Fehler: Sie stellte nachts beim Campieren den Sicherheitszaun nicht auf. Dieser knallt, sobald ein Bär den Stolperdraht einreisst.
In jener Nacht erwachte Hoffmeister von einem Geräusch. Es rührte von einem Eisbären her, der sich an den Kajaks vor dem Zelteingang zu schaffen machte – und dann guckte er oben beim offenen Reissverschluss ins Zelt hinein, so erzählt es Hoffmeister. Mit lauten Buh-Rufen und ein paar Schüssen zur Abschreckung mit der Pumpgun vertrieben Hoffmeister und ihr damaliger Paddelpartner den Eisbären.
Mehrheitlich erlebt sie ihre Begegnungen mit Tieren aber als ergreifende Momente. Während sie übers Wasser gleitet, bewundert sie Wale, Delfine, Walrosse, Seelöwen, Seehunde, Seeotter oder Vögel aus nächster Nähe. Sie sagt: «Tiere kann man zumindest halbwegs einschätzen. Das ist bei Menschen schwieriger.» In Lateinamerika begleitete sie aus Sicherheitsgründen oft die Marine des jeweiligen Landes und erhielt auch an Land Schutz. In El Salvador etwa standen jede Nacht sechs Polizisten um sie herum, während sie am Strand campierte.
Eine brenzlige Situation erlebte sie im Grenzgebiet zwischen Nicaragua und Honduras: Die nicaraguanische Marine hatte die Begleitung bereits beendet, jene von Honduras war aber noch nicht ganz angerückt, als Hoffmeister weiterpaddelte. Plötzlich bedrängten sie Einheimische in einem Motorboot, gegen ihren Willen wurde Hoffmeister an den Deckleinen des Kajaks an Land geschleppt. Welche Absichten die Gruppe hatte, fand sie nicht heraus. Die ecuadorianische Marine kam noch rechtzeitig und befreite sie aus der unangenehmen Situation.
Zu Beginn ihrer Südamerika-Umrundung nahm sie Kontakt mit der jeweiligen deutschen Botschaft vor Ort auf. Diese erschlossen Hoffmeister dank ihrem Netzwerk weitere Kontakte, etwa jener zur Marine. Hoffmeister nahm die Unterstützung dankbar an. Und kommentiert sie rückwirkend mit trockenem Humor. «Wenn man die Arbeitsstunden der vielen Soldaten berechnet, bin ich wohl die teuerste Kanutin der Welt.» Wie viel sie in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich ausgegeben hat, rechnet sie nicht aus. Mit den Eisdielen, die im Alltag längst ohne sie operieren, sowie dem einen oder anderen Sponsor oder Vortrag kann sie sich ihre Ziele und Träume erfüllen.
Der Wind am Kap Hoorn kam früher, heftiger und aus einer anderen Richtung als angekündigt
Meistens bleibt die Natur bei den Expeditionen das grösste Limit. Ein besonders dramatisches Erlebnis hatte Hoffmeister am Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas. Das Kap ist auch für grössere Schiffe gefährlich und bei Seeleuten gefürchtet. Wer in einem fünf Meter langen Kajak unterwegs ist, braucht ein besonders günstiges Wetterfenster, um die südlichste Insel Isla Hornos umfahren zu können. Drei verschiedene Wetterberichte bescheinigten Hoffmeister und den Marine-Posten vor Ort, dass an diesem Tag bis zum Abend aussergewöhnlich ruhige Verhältnisse herrschen würden.
Doch der Wind kam früher und heftiger als angekündigt. In ihrem Buch «Kap Hoorn wird dir nicht geschenkt» beschreibt Hoffmeister die folgenden Stunden und Tage: Sie kämpfte verzweifelt gegen die Wellen und den Wind, näherte sich der einzigen Landestelle der Insel bis auf einen Kilometer, schaffte die letzten Meter aber nicht und trieb vorbei. Vor ihr: offenes Meer bis zur Antarktis. Also konsultierte sie ihre GPS-Karte noch einmal und fand auf der Nachbarinsel eine mögliche Landestelle. Dort krachten die Wellen auf den schmalen Steinstrand, doch es war ihre letzte Chance. Zum Landen suchte sie eine Stelle, an der der Aufprall durch Seetang etwas gemildert wurde. Das Kajak erlitt einen Schaden, das Paddel brach, doch Hoffmeister überlebte.
Fünf Tage lang harrte sie auf der unbewohnten Insel aus, zuerst im Orkan mit 200 km/h Wind. Dann hatten sich Wind und Wetter so weit beruhigt, und sie hatte das Kajak so weit geflickt, dass sie die Insel verlassen konnte. Ein Freund von Hoffmeister, der in der gleichen Region in einem Kajak unterwegs war, hatte weniger Glück: Er verlor in jenem Sturm sein Leben – was Hoffmeister per Satellitentelefon erfuhr, noch während sie gestrandet war.
Wie verhält man sich in einer solchen Situation? «Eiskalt», sagt Hoffmeister. «Man funktioniert nur noch, und das ist auch das Beste. Wenn du Panik bekommst und zu schreien beginnst, hilft das ja nicht.» Den Reiz, Aussergewöhnliches zu erleben, verspürt auch Hoffmeisters Sohn: Er ist Soldat und zurzeit im Irak stationiert.
Erzählungen davon, wie diese Abenteuer ihre Persönlichkeit verändert haben, sind von Hoffmeister nicht zu erwarten. Auf ihrer Homepage schreibt sie zu dieser Frage: «Wenn du nach mentalen Erleuchtungen oder ähnlichem Psychokram fragst, nein. Ich bin immer noch derselbe Mensch, aber in jeder Hinsicht stärker.»
Die Etappen sind kürzer geworden, das Risiko minimiert
Mittlerweile aber spürt Freya Hoffmeister das Alter nicht nur wegen der knirschenden Gelenke. Nun paddelt sie kürzere Etappen pro Tag, eher 40 statt 60 Kilometer, was immer noch neun Stunden auf dem Wasser bedeutet. Aber sie lässt sich länger Zeit für die Erholung. Und ist vorsichtiger geworden. «Ich renne nicht mehr sehenden Auges in die Gefahr wie früher», sagt sie. Heute sucht sie sich gerne einen sicheren Platz für ihr Zelt, bleibt auch einmal länger an Land, wenn die Bedingungen draussen auf dem Meer garstig sind. Und sie paddelt öfter in Begleitung, was jedoch nicht immer einfacher oder sicherer ist.
Und sie kürzt die kommende Etappe etwas ab. Sie paddelt von New York aus den Hudson River entlang und über Montreal bis nach Neufundland und Labrador, lässt kleinere Provinzen in Kanadas Südosten aber aus. Noch drei Sommeretappen benötigt sie im Norden, für die Hudson Bay und die Nordwest-Passage bis nach Kugaaruk, wo sie im vergangenen Sommer wegen zu viel Eis abbrechen musste. Gewisse Passagen sind nur wenige Wochen pro Jahr befahrbar, was Hoffmeisters Unterfangen in die Länge zieht. Weiter südlich fehlt ihr noch das Stück zwischen Houston und New York.
Im Mai geht es wieder los. «Spätestens in Labrador kommen dann wieder die Eisbärchen ins Spiel», sagt Hoffmeister. «Es passiert immer wieder etwas.»