Ein übergrosses FCZ-Graffiti an der denkmalgeschützten Lindenhof-Mauer bringt das Fass für viele Politiker zum Überlaufen.
Dieses Graffiti war eines zu viel.
Die Zürcherinnen und Zürcher sind zwar einiges gewohnt, wenn es darum geht, dass Fussballfans ihre Vereinsliebe ostentativ zur Schau stellen.
Es findet sich in der Stadt kaum mehr eine Ecke, die nicht mit Graffiti oder Klebern vollgekleistert wäre. Auf den meisten dieser Werke wird der FC Zürich bejubelt.
Die drei überlebensgrossen Buchstaben («FCZ») an der denkmalgeschützten Mauer am Lindenhof waren aber mehr als ein Graffiti. Sie glichen vielmehr einer Kampfansage.
Stadtrat Filippo Leutenegger, zuständig für den Sport in Zürich, sagte ernüchtert zu Tele Züri: «So eine schöne Stadt. So wüste Graffiti.» Natürlich müsse man dieses schleunigst entfernen.
Die Stadt hat Anzeige erstattet und Offerten von externen Reinigungsfirmen eingeholt. Im Verlauf der Woche soll die historische Mauer gereinigt werden.
Derlei Verunstaltungen kommen den Steuerzahler teuer zu stehen. Vor zwei Jahren machte die Stadtregierung anlässlich einer schriftlichen Anfrage im Stadtparlament die Rechnung. Das Entfernen von Graffiti auf öffentlichem Grund kostete die Stadt innert fünf Jahren rund 9 Millionen Franken. Dabei handelt es sich aber nicht ausschliesslich um Fussball-Sprayereien.
Rechnet man die privaten Eigentümer mit ein, ist der Schaden von Vandalen um ein Vielfaches höher. Für das Jahr 2022 beziffert die Stadt einen Schadensbetrag von rund 2,6 Millionen Franken für alle geschädigten Parteien.
Der Drang, das fussballerische Revier zu markieren, treibt derweil immer seltsamere Blüten. Manch ein Sprayer macht auch vor der Natur nicht halt und platziert sein Graffiti an Bäumen im Park.
In der Aargauer Gemeinde Bremgarten versteckte ein Vandale eine Rasierklinge hinter einem FCZ-Kleber, um diesen so vor anderen Vandalen zu schützen. Prompt erlitt ein junger Mann schwere Fingerverletzungen, weil er den Aufkleber entfernen wollte.
Sollen die Klubs für die Reinigung aufkommen müssen?
Dass mit der Verschandelung des Lindenhofs ein gewisses Mass überschritten sein könnte, zeigte sich in der Reaktion des FCZ-Präsidenten Ancillo Canepa. «Bitte hört auf», sagte er Anfang Woche in einem Video, mit dem er sich an die Fans richtete.
Derlei Aktionen seien «Sachbeschädigungen und illegal» und schadeten dem Image des Vereins sowie der Fans. Canepa erklärte, er habe in letzter Zeit viele Reklamationen von Geschädigten erhalten: «Das hat dazu geführt, dass wir immer wieder Rechnungen für Reinigungskosten kriegen.»
Die Rechnungen der Betroffenen beglichen hat der FCZ allerdings nicht. «Wir sind weder rechtlich noch moralisch verpflichtet, solche Rechnungen zu übernehmen», sagt Canepa zur NZZ. «Verantwortlich sind einzig und allein die Verursacher.»
Auf die Sportklubs könnten aber trotzdem Kosten zukommen. Zumindest wenn es nach den FDP-Stadtparlamentariern geht. Nach dem Lindenhof-Graffiti erhöht die Partei per Postulat den Druck auf die Sportvereine, namentlich auf den FCZ.
Die Klubs sollen für Sprayereien und Sachbeschädigungen «in die Verantwortung genommen werden». Die Rede ist von Massnahmen wie dem «Einbehalten von städtischen Mitteln» oder dem Aussetzen von Spielbewilligungen. «Bis die betreffenden Klubs nachweislich wirksame Präventivmassnahmen gegen Sachbeschädigungen durch ihre Fans ergriffen haben.»
Allerdings wird im Vorstoss nirgends erklärt, wie das rechtlich funktionieren soll. Ein Verein kann schwerlich für seine Fans in Sippenhaft genommen werden.
Anruf bei Flurin Capaul. Der FDP-Gemeinderat und langjährige FCZ-Fan hat das Postulat mit Marita Verbali und Sebastian Vogel eingereicht. Er findet, wenn Tausende von Klebern und Hunderte von Graffiti die Wände verunstalteten, könne man einem Klub sehr wohl vorwerfen, dass er seine Fans nicht im Griff habe. Das Canepa-Video zeige, dass es der FCZ-Führung selbst nicht mehr wohl sei.
Klar sei das rechtlich nicht einfach umzusetzen, erklärt Capaul weiter, aber irgendwo müsse man anfangen. «Wir haben in Zürich ein Gewalt- und Dreckproblem, die Bevölkerung verliert die Geduld.»
Der Politiker hält es für denkbar, dass etwa ein Teil der Reinigungskosten den Klubs auferlegt würde. Auch müsse sich die Stadt überlegen, ob sie bei den Beiträgen an die Stadionmiete ansetzen wolle. Man sei aber durchaus offen für Vorschläge seitens des FCZ.
Capaul kann sich ausserdem eine Vereinbarung vorstellen, wie sie die Stadt mit McDonald’s vor Jahren abgeschlossen hat. Die Fast-Food-Kette sorgt freiwillig selber dafür, dass der öffentliche Raum vor ihren Filialen sauber bleibt.
Canepa: «Eine solche Forderung ist weltfremd»
Ancillo Canepa bezeichnet die Forderungen des Postulats als «weltfremd». Sie widersprächen «jeder kompetenten rechtlichen Beurteilung». Und der FCZ-Präsident erinnert auch hier an das Verursacherprinzip.
Den Grasshoppers werden laut eigenen Angaben keine Reinigungs-Rechnungen geschickt. Ein Sprecher des Vereins sagt, es würden bereits heute «umfangreiche präventive und repressive Massnahmen» ergriffen, um Sachbeschädigungen durch die eigenen Fans zu verhindern.
Während die politische Diskussion läuft, geht es für die Zürcher Stadtverwaltung um praktische Lösungen. Irgendjemand muss die Kleber an all den Parkverbotsschildern schliesslich wieder wegkratzen.
So sucht die städtische Dienstabteilung Verkehr derzeit nach einer externen Firma, die diese Sisyphusarbeit ab August für die kommenden fünf Jahre übernehmen soll. Der Auftrag ist öffentlich ausgeschrieben.
Die Reinigungsarbeiten würden zwar auch von städtischen Mitarbeitenden übernommen, allerdings seien die Ressourcen begrenzt, begründet eine Sprecherin die Ausschreibung.
Dieser geht ein Pilotprojekt mit einer Partnerfirma voraus, die von Herbst 2023 bis Ende 2024 für die Stadt auf Reinigungstour ging. Die Kosten beliefen sich auf rund 51 000 Franken.
Es gelte «sämtliche städtischen Verkehrssignale, links und rechts der Strasse, sowie auf Verkehrsinseln» zu reinigen, formuliert es die Stadt in der Ausschreibung. Denn: «Die Verschmutzungen von Signalisationen erstrecken sich über alle Kreise der Stadt Zürich hinweg.»
Was die Stadt im Inserat unerwähnt liess: Auf jeden entfernten Aufkleber folgt meist ein neuer. Sisyphus halt.