Zwei Winterthurer büssen für ihre verhängnisvolle Treue zu den fanatischen Gotteskriegern. Sie werden zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Sie waren glühende Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat. Der 23-jährige Nico und der 29-jährige Mauro (beide Namen geändert) lernen sich in der Winterthurer Islamistenszene kennen und werden zu treuen Gefährten. Jahrelang sind sie das, bis sie schliesslich auf Schritt und Tritt von den Behörden überwacht werden.
Inzwischen zeigen sich beide reumütig. Vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona sagt Nico, der sich in einem Deradikalisierungsprogramm befindet: «Im Gefängnis habe ich gemerkt, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Ich habe entschieden, dass ich vom IS weg will, weg vom Terrorismus.»
Und Mauro erklärt: «Es war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Aber ich kann sagen, dass ich heute an einem ganz anderen Punkt im Leben stehe. Ich distanziere mich vom IS und will nichts mehr damit zu tun haben.»
Am Montag hat das Bundesstrafgericht ein Verdikt über ihre Vergangenheit gefällt. Und über eine zentrale Frage entschieden: Welche Rolle spielten die beiden Männer? Waren sie bloss eifrige ideologische Unterstützer der Terrormiliz oder waren sie weit mehr – IS-Mitglied und wichtige Propagandisten?
Für die Richter ist der Fall klar: Er spricht Nico vom Vorwurf der Beteiligung an einer terroristischen Organisation frei. Er spricht ihn jedoch der Unterstützung einer terroristischen Organisation schuldig, genauso wie der Entgegennahme und Weiterleitung von Spenden zugunsten des IS, der Ausreise zum IS sowie der Kryptowährungstransaktionen zugunsten des IS. Nico erhält eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten, davon 18 Monate unbedingt, zudem muss er eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Franken bezahlen.
Nico wird angewiesen, die begonnene Distanzierungsarbeit weiterzuführen.
Mauro wird ebenfalls vom Vorwurf der Beteiligung an einer terroristischen Organisation freigesprochen. Er erhält aber einen Schuldspruch für die Unterstützung des IS sowie der Planung einer Ausreise nach Syrien. Zudem diverse Propaganda-Aktivitäten und Transaktionen zugunsten IS. Er erhält eine Freiheitsstrafe von 35 Monaten sowie eine bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 30 Franken.
Die Geschichte von Mauro und Nico
Nico wächst in einer kleinen Landgemeinde in der Ostschweiz auf, doch nach dem Umzug nach Winterthur bewegt sich der Jugendliche bald in den islamistischen Kreisen in Winterthur. Nico sagt: «Ich hatte nichts im Leben, mir ging es schlecht, ich suchte nach Halt und Identität.»
Zusammen mit anderen jungen Salafisten trifft er sich zeitweise in einem Proberaum im Winterthurer Stadtteil Töss. Dort beten sie, schauen gemeinsam Propagandavideos und streiten über die richtige Glaubensauslegung.
Auch den Strafverfolgungsbehörden bleiben die Vorgänge nicht verborgen, sie verwanzen die Räumlichkeiten, beobachten die Islamisten. Nico wird wegen Verstosses gegen das IS-Gesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
Nico bezieht Sozialhilfe, einige Zeit ist er nach islamischem Recht mit einer jungen Frau aus Niedersachsen verheiratet, gegen die wegen Terrorverdachts ermittelt wird. Im Dezember 2020 verhaftet die Polizei sie in Winterthur und schiebt die Frau nach Deutschland ab.
Auch Mauro gehört zum harten Kern der Winterthurer Islamistenszene. Er ist sechs Jahre älter als Nico und galt einst als Fussball-Nachwuchstalent. Er verkehrt in der berüchtigten Winterthurer An-Nur-Moschee. Dort ist er in eine Strafuntersuchung verwickelt, wird aber später freigesprochen.
2018 hält sich Mauro in der Türkei auf – zusammen mit seiner Ehefrau. Das Paar aus Winterthur lässt sich am Stadtrand der Millionenmetropole Istanbul nieder, gerät dort aber ins Visier der türkischen Behörden. Die beiden werden zusammen mit ihrem Kind schliesslich aus der Türkei ausgewiesen. Am Zürcher Flughafen wird Mauro dann kurzzeitig festgehalten und befragt, danach aber wieder auf freien Fuss gesetzt.
Doch schon bald taucht sein Name wieder auf dem Schirm der Behörden auf. Der Grund: Mauro hatte den Attentäter, der in der österreichischen Hauptstadt Wien im November 2020 minutenlang wahllos auf Passanten schoss und vier von ihnen tötete, in seiner Wohnung besucht. Er tat es ein halbes Jahr vor dem Anschlag, zusammen mit weiteren Islamisten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Mauro sagt: «Als ich ihn erkannt habe, war ich schockiert.» Er habe gewusst, dass er deswegen Probleme bekomme.
Über ein Jahr lang ermitteln die Behörden unter anderem wegen Gehilfenschaft zu Mord gegen Mauro, fast ein halbes Jahr lang sitzt er in Untersuchungshaft. Das sommerliche Treffen in Wien wurde zwar beschattet, aber belastende Dokumente oder Chats im Zusammenhang mit dem Attentat finden die Ermittler am Ende keine. Für eine Anklage reichen die Beweise nicht aus.
Es bleibt bei einem Strafbefehl wegen Verstosses gegen das IS-Gesetz und einiger Gewaltdarstellungen Anfang 2022.
Immer tiefer in einen Strudel geraten
Auch nach den Verurteilungen machen Nico und Mauro unbeirrt weiter. Sie befeuern sich gegenseitig in ihren Plänen. Und sie geraten immer tiefer in den Strudel aus Glauben, fanatischen Einflüsterern und Terrorpropaganda.
Zusammen mit einem 60-jährigen Terrorveteranen aus Deutschland sind an der Propagandafront aktiv. Sie übersetzen Texte und Audiobotschaften des IS, um diese auf dem Telegram-Messenger zu veröffentlichen.
Dabei bleibt es nicht: Im Dezember 2021 versucht Nico ein erstes Mal, nach Syrien zu kommen. Von einem IS-Vertrauensmann hat er zuvor eine sogenannte «tazkyia» erhalten, eine Erklärung seiner Vertrauenswürdigkeit. Doch er kommt nur bis in die Türkei. Am Flughafen fangen die Behörden den jungen Mann ab und schicken ihn zurück in die Schweiz.
Doch auch danach ist die Ausreise immer wieder Thema. Nico sagt, es sei bloss noch Geschwätz gewesen, konkrete Pläne habe es nicht mehr gegeben. Doch die Behörden sehen es anders: Am 13. Juni 2022 schlagen sie zu und verhaften die Männer.
In den Augen der Bundesanwaltschaft waren die beiden weit mehr als blosse Unterstützer. Sie seien vollwertige Mitglieder der Terrormiliz gewesen. Sie hätten sich auch von den Sicherheitsbehörden nicht abhalten lassen, ihre Leben für eine barbarische Terroristenbande zu opfern, sagte der Staatsanwalt des Bundes in seinem Plädoyer vor dem Bundesstrafgericht.
Nico und seinem Compagnon sei es gelungen, in den engeren Zirkel der Propaganda-Abteilung der Terrormiliz vorzustossen. Noch am Tag seiner Verhaftung sei Nico vom IS sogar zum Anführer einer Kompanie ernannt worden – etwas, das der 23-jährige Schweizer in Abrede stellt. Er sei bloss ein Unterstützer gewesen.
Sie hätten zudem ihre klandestine Ausreise in das Kriegsgebiet in Syrien geplant. Nico habe mit dem westlichen Diesseits abgeschlossen gehabt. Zudem hätten die beiden Schweizer Spenden gesammelt für Exponenten aus dem IS-Milieu.
Urteil SK.2024.62 vom 24. 3. 25, noch nicht rechtskräftig.