Top-Führungskräfte sind meist mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein gesegnet, was schnell einmal in Grössenwahn kippen kann. Paradebeispiel ist Elon Musk. Schaden sie damit den Unternehmen, oder ist Selbstüberschätzung vielmehr von Vorteil?
Sie ist die Lehrbuch-Hochstaplerin schlechthin: Elizabeth Holmes. Die ehemalige Chefin des Startups Theranos hat mit falschen Bluttests Hunderte Millionen Dollar von Investoren ertrogen. Der Wert ihrer Firma betrug einst geschätzte 9 Milliarden Dollar. Investoren glaubten an das Potenzial von Theranos, das laut Holmes das Gesundheitswesen revolutionieren sollte.
Die junge Gründerin wurde als Genie gefeiert, als weiblicher Steve Jobs. Wie dieser trat Holmes gerne im schwarzen Rollkragenpullover auf, und sie trainierte sich eine tiefere Stimme an. 2015 schaffte sie es als jüngste Milliardärin auf die «Forbes»-Liste. Doch kurz darauf wurde klar, dass der Blutschnelltest, der angeblich 240 Krankheiten nachweisen konnte, weitgehend unwirksam war und Holmes dies wusste. 2018 musste Theranos den Betrieb einstellen. Holmes, die die Betrugsvorwürfe bis zuletzt abgestritten hatte, wurde 2022 zu über 11 Jahren Haft verurteilt.
Legendärer Aufstieg und Niedergang von Bankman-Fried
Auch Sam Bankman-Fried, der einstige Chef der nun insolventen Krypto-Börse FTX, wurde einst als Krypto-Guru hochgejubelt. Nun hat ihn ein New Yorker Gericht wegen Milliardenbetrugs und Geldwäscherei schuldig gesprochen. Bankman-Fried droht eine lange Haftstrafe.
Ähnlich wie bei Holmes ranken sich um Bankman-Fried Legenden, die seinen Aufstieg mitgeprägt haben. So soll er sich die Zeit während einer telefonischen Besprechung mit den legendären Investoren von Sequoia Capital mit Online-Spielen vertrieben haben. Es ging dabei immerhin um eine Finanzierungsrunde von 1 Milliarde Dollar.
Bankman-Fried war der Liebling der Krypto-Szene. Strubbelmähne, T-Shirts und Shorts gehörten zu seinen Markenzeichen. In der Öffentlichkeit trat er gerne als Altruist auf, der den grössten Teil seines Vermögens an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden versprach. Vieles deutet darauf hin, dass es sich dabei um eine Fassade handelte. 8 Milliarden Dollar an Kundengeldern soll der 31-Jährige veruntreut haben, um damit zu spekulieren und einen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren.
Es handelt sich um Extrembeispiele. Doch inwiefern gehören Hochstapelei und ausgeprägte Selbstvermarktung zum Stellenprofil von Unternehmenschefs? Ein gutes Selbstbewusstsein ist zweifellos von Vorteil: Schliesslich ist es ihre Aufgabe, Kunden, Aktionäre und Investoren von der Firmenstrategie sowie den eigenen Produkten und Dienstleistungen zu überzeugen. Mitarbeiter gilt es zu motivieren und zu begeistern. Gleichzeitig treffen CEO oftmals Entscheide mit weitreichenden Auswirkungen. Selbstzweifel sind hierbei fehl am Platz.
«Von Führungskräften wird erwartet, dass sie auch einmal bluffen»
Die Soziologin Sonja Veelen von der Philipps-Universität Marburg ist dem Phänomen der Hochstapelei in Forschungsarbeiten und Büchern* auf den Grund gegangen. Ob es in Führungsetagen besonders oft vorkommt, lässt die Forscherin zwar offen. Offensichtlich ist für Veelen aber, dass oft gerade von Führungskräften erwartet wird, dass sie auch einmal bluffen oder Dinge anders, besser darstellen können, als sie sind.
Laut Veelen handelt es sich bei Hochstaplern um ganz unterschiedliche Typen und Charaktere. Kennzeichnend sei aber, dass man ihnen selten sogleich ansehe, dass sie ein falsches Spiel trieben. Viele wirkten freundlich, sympathisch, zugewandt – und lockten gerade damit auf die falsche Fährte. Es ist somit kein Zufall, dass sowohl Bankman-Fried als auch Holmes viele Leute in ihren Bann gezogen haben. Sie wussten gut, wie man auftritt, sein Gegenüber um den Finger wickelt, eine Fangemeinde aufbaut und bei Laune hält. Der Wunsch, am Erfolg der Hochstapler teilzuhaben, dürfte gleichzeitig das Urteilsvermögen vieler geprellter Investoren erheblich getrübt haben.
Weshalb hochgestapelt wird, liegt auf der Hand. Es verschafft Personen einen höheren Status, Anerkennung, Macht, Prestige oder persönliche Freiheiten und Privilegien. Die Grenzen zwischen guter Selbstvermarktung und Hochstapelei sind dabei fliessend. «Sie sind je nach Kontext unterschiedlich und verlaufen jeweils da, wo das gesellschaftlich akzeptierte Mass an übersteigerter, unehrlicher Selbstdarstellung aufhört», sagt Veelen. Ganz eindeutig überschritten sei die Grenze, wenn es kriminell werde, wenn beispielsweise gefälschte Urkunden, Zeugnisse oder Testate ins Spiel kämen.
Selbstüberschätzer sind von ihrem Können überzeugt
Hochstapelei geschieht ausserdem bewusst, mit der Intention zu täuschen. Wenn hingegen jemand im Glauben, seine Fähigkeiten und Talente korrekt zu beschreiben, übertreibt, spricht man nicht von Hochstapelei, sondern von Selbstüberschätzung. Und tatsächlich sind Selbstüberschätzer von den eigenen Fähigkeiten und Taten überzeugt.
Dies bestätigen Forschungsarbeiten von Peter Schwardmann, Assistenzprofessor an der Carnegie Mellon University in den USA, der in verschiedenen Untersuchungen die Ursachen und Folgen von «overconfidence» analysiert hat. Als aufschlussreich erwiesen sich vor allem Experimente in Debattierklubs: Die Teilnehmenden wissen bei solchen Wettbewerben gerade einmal 15 Minuten vor der Debatte, welchen Standpunkt eines Themas sie zu vertreten haben. Ob man den Pro- oder den Contra-Standpunkt einnimmt, ist Zufall.
Schwardmann und sein Team haben nun die Teilnehmenden nach 15 Minuten Vorbereitungszeit mit Einschätzungen und Fakten konfrontiert, die entweder den zu vertretenden Standpunkt oder denjenigen des Gegners untermauerten, und stellten bereits eine deutliche Polarisierung fest: Die Befragten glaubten eher denjenigen Fakten, die die Sicht bekräftigten, die sie zu verteidigen hatten. Und sie sind laut dem Verhaltensforscher auch bereits nach kurzer Zeit davon überzeugt, dass sie die besseren Argumente auf ihrer Seite haben.
Wir belügen uns selbst, um andere zu überzeugen
«Wenn wir nun also Anreize haben, andere von etwas zu überzeugen, überzeugen wir uns im Nebeneffekt selbst davon», erklärt Schwardmann. «Und manchmal belügen wir uns, weil es uns dann leichter fällt, andere zu überzeugen.»
Dass ein erhöhtes Selbstbewusstsein von Vorteil ist, zeigt auch ein Experiment mit Probanden, die zu einem Vorstellungsgespräch antreten mussten. Kandidaten, die zuvor von den Forschern ein positives Feedback erhalten hatten, wirkten im Interview deutlich überzeugender als die zweite Gruppe, die im Vorfeld keine positive Bestätigung bekommen hatte. Personen, deren Selbstbewusstsein gestärkt worden war, wurden von den potenziellen Arbeitgebern als die besseren Performer eingestuft. Eine grosse Rolle spielte hierbei nicht nur, was sie sagten, sondern vor allem auch die Körpersprache und die Ausstrahlung.
Ähnlich wie bei Bewerbern ist bei selbstbewussten CEO schwer feststellbar, ob ihre positive Selbsteinschätzung auch gerechtfertigt ist. Bei Top-Führungskräften dürfte im Urteil von Schwardmann der «Bestärkungs-Effekt» besonders prägend sein: Personen, die während ihrer Laufbahn die Karriereleiter fortwährend nach oben geklettert sind, haben möglicherweise immer nur bestärkende Rückmeldungen erhalten und sind entsprechend selbstbewusst.
Dies sagt aber wenig darüber aus, ob sie tatsächlich erfolgreich sind oder ob der Zufall ein grosses Stück mitgeholfen hat. Die übersteigerte Selbsteinschätzung dürfte aber Fehlentscheide begünstigen: «Wenn man erfolgreich und berühmt ist, gibt es immer weniger Leute, die einem sagen, wenn man furchtbar falschliegt», erklärt der Verhaltensforscher.
Gravierende Folgen bei Übernahmen
Die Folgen der Selbstüberschätzung können derweil gravierend sein, nicht zuletzt wenn es um Fusionen und Übernahmen geht. Wie die Forschungsarbeit von Ulrike Malmendier und Geoffrey Tate zeigt, überschätzen übermütige CEO ihre Fähigkeit, Renditen zu erzielen. Infolgedessen zahlen sie zu viel für ihre Übernahmeobjekte und führen wertvernichtende Akquisitionen durch.
Die beiden Ökonomen haben die Selbstsicherheit der CEO anhand ihrer Darstellung in der Presse sowie der Höhe der Aktien- und Optionspakete gemessen, die sie am Unternehmen halten. Werden die Führungskräfte in der Presse als Superstars gefeiert und halten sie viel zu lange zu viele Anteile an ihrem Unternehmen, ist die Gefahr der Selbstüberschätzung gross. «Sie sind davon überzeugt, dass dessen Wert unter ihrer grandiosen Führung demnächst noch deutlich steigen wird», sagte die Professorin Malmendier jüngst in einem Interview. «Das ist meistens irrational.»
Gemäss ihrer Forschungsarbeit stellen selbstverliebte Charismatiker an der Spitze einer Organisation eine zentrale Ursache für unternehmerischen Niedergang dar. Beispiele von Superstar-CEO, die prominent im Rampenlicht standen und langfristig dem Unternehmen und seinen Aktionären geschadet haben, gibt es zuhauf: von Pierin Vincenz als ehemaligem Raiffeisen-Chef bis zur einstigen Führungsriege der Swissair oder der Credit Suisse.
Selbstbewusstsein ist positiv für das Unternehmen
Gleichwohl ist es ein Trugschluss, zu glauben, dass ein übersteigertes Selbstbewusstsein grundsätzlich schädlich sei. Eine jüngst veröffentlichte Meta-Analyse, die 199 Einzelstudien untersucht hat, kommt zu dem Fazit, dass sich übermässiges Selbstvertrauen von Firmenchefs im Durchschnitt positiv auswirkt auf die Unternehmensleistung. Erklärt wird dies von den Forschern damit, dass übermütige CEO eher bereit sind, Risiken einzugehen – was oftmals positiv für den Erfolg der Firma ist. «Selbstbewusste CEO handeln, anstatt untätig zu sein», sagt die Mitautorin Barbara Burkhard von der Aalto-Universität in Finnland.
Anders als die Forscher Ulrike Malmendier und Geoffrey Tate haben Burkhard und ihr Team sich nicht auf Fusionen und Übernahmen fokussiert. Als Indikator der eingegangenen Risiken haben sie die getätigten Ausgaben in Forschung und Entwicklung (F&E) oder die Investitionsausgaben analysiert. Damit dürften sich zumindest teilweise die unterschiedlichen Forschungsresultate erklären lassen. Es mag also durchaus sein, dass Selbstüberschätzung bei Firmenübernahmen in der Regel negative Konsequenzen hat. Andererseits kann ein übersteigertes Selbstbewusstsein des CEO, das sich in hohen F&E-Ausgaben niederschlägt, entscheidende Marktchancen eröffnen und den Unternehmenswert erhöhen.
Elon Musk: zwischen Selbstüberschätzung und Grössenwahn
Braucht es also mehr Führungskräfte wie Elon Musk, dessen Hang zu Selbstüberschätzung und Grössenwahn besonders ausgeprägt ist? Dass er ein begnadeter Visionär ist, Risiken auf sich nimmt und sein Umfeld für seine Ideen begeistern kann, ist unbestritten. Musks Unternehmen schicken Raketen ins All, krempeln die Automobilindustrie um und versorgen die Welt mit schnellem Internet. Mit seinen zahllosen Firmengründungen ist er zum Vorbild für eine Generation von Jungunternehmern geworden. Das Selbstbewusstsein des Exzentrikers scheint grenzenlos zu sein, und sein Vermögen liegt laut dem Informationsdienstleister Bloomberg im dreistelligen Milliardenbereich.
Doch die Wissenschaft hat für Musk eine unerfreuliche Nachricht bereit: Wie die oben zitierte Studie zeigt, kommt es nämlich auf das Ausmass der Selbstüberschätzung an. Die Aussage «Je mehr, desto besser» trifft laut Burkhard nicht zu. Der Zusammenhang zwischen Selbstüberschätzung des CEO und Unternehmenserfolg ist nicht linear, sondern kurvenförmig. Ein sehr hohes Mass an «overconfidence» ist dementsprechend nachteilig für die Entwicklung einer Firma. Das mag erklären, weshalb die Ideen von Musk nicht selten eine Gratwanderung zwischen Verlust und Gewinn sind. Nicht immer funktionieren seine extravaganten Pläne, wie auch die jüngsten Fehler und Niederlagen bei X (vormals Twitter) veranschaulichen. Seit der Übernahme des Kurznachrichtendienstes ist das Image des zuvor als Genie gehandelten Unternehmers stark beschädigt.
* Sonja Veelen: Hochstapeln: Eine kulturelle Praktik in Bewerbungs- und Personalauswahlverfahren. Beltz Juventa. Philipps-Universität, Marburg 2021. – Sonja Veelen: Hochstapler: Wie sie uns täuschen. Eine soziologische Analyse. Tectum-Wissenschaftsverlag, 2012.